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Kontakt als erste Wirklichkeit


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eine Psychotherapie vorantreiben. Patienten möchten vom Therapeuten wahrgenommen werden und ihn wissen lassen, wie sie sich in ihrer Haut fühlen. (Stern 2005, 109)

      Wie der Begriff der Intersubjektivität schon sagt, geht es dabei nicht um eine Einbahnstraße. Im Englischen gibt es das Sprichwort: »It takes one to know one«, was man etwa so übersetzen kann: »Man muss selber so beschaffen sein wie der, den man erkennen will.« Beide, Klienten und Therapeuten, »bilden gemeinsam ein intersubjektives System reziproker, gegenseitiger Einflussnahme« (Stolorow et al. 1996, 65). Wenn Klienten von ihren Therapeuten erkannt und verstanden werden wollen, müssen sie ihre Therapeuten auch erkennen und verstehen – jedenfalls in einem gewissen Maß. Wie sollten sie sonst in der Lage sein zu wissen, dass sie erkannt und verstanden werden? Damit

      führen Intersubjektivität und ihre empathische Basis weg von dem simplen cartesianischen Bild eines isolierten individuellen Bewusstseins, das die Existenz des anderen durch Analogiebildung hochrechnen muss, und hin zu einer Vorstellung, in der subjektive Erfahrungsbereiche einander gegenseitig durchdringen – mit der Folge, dass Identität und Individualität eher relative als absolute Gegebenheiten sind. (Midgley 2006, 104)

      Was Midgley hier »gegenseitige Durchdringung« nennt, was Stolorow et al. oben als »reziproke gegenseitige Einflußnahme« bezeichnen und was Perls et al. als »gesunde Konfluenz«4 charakterisieren, lässt jene »Begegnungsmomente« möglich werden, über die Stern so eloquent schreibt. Er gibt auch ein schönes Beispiel:

      Denken wir zum Beispiel an die Patientin, die sich plötzlich aufsetzte, um ihre Therapeutin anzusehen. Unmittelbar nach dieser überraschenden Aktion starrten beide einander durchdringend an. Es herrschte Schweigen. Zwar wusste die Therapeutin nicht genau, was sie tun würde, aber ihr Gesichtsausdruck entspannte sich langsam, bis die Andeutung eines Lächelns ihren Mund umspielte. Dann beugte sie den Kopf ein wenig nach vorn und sagte: »Hallo!« Die Patientin blickte sie weiterhin an. Mehrere Sekunden lang blieben sie in diesem Blickkontakt gefangen. Einen Moment später legte sich die Patientin wieder hin und setzte ihre Arbeit auf der Couch fort; aber nun arbeitete sie intensiver und auf eine bislang unbekannte Weise, die neues Material zutage treten ließ. Die gemeinsame therapeutische Arbeit wurde dadurch drastisch verändert.

      Das »Hallo« (in Verbindung mit Gesichtsausdruck und Kopfb ewegung) konstituierte einen »Moment der Begegnung«, in dem die Therapeutin eine authentische persönliche Reaktion zeigte, die der unmittelbaren Situation (dem Jetzt-Moment) auf eine vollkommene Weise angepasst war. Die Reaktion bewirkte einen deutlichen Wandel der Therapie. Sie bildete einen Drehpunkt, an dem eine Quantenveränderung des intersubjektiven Feldes stattfand. (Stern 2005, 175 f.)

      Die Fähigkeit zur intersubjektiven Bezogenheit, das grundlegende »Mitsein« (Heidegger 1953, 113 ff.), das die Art und Weise von Menschen, in der Welt zu sein, prägt, das »eingeborene Du« (Buber 1936, 355) scheint primordial zu sein. Natürlich entwickelt es sich in Kindheit und Jugend weiter und nimmt im Laufe des Lebens zunehmend differenzierte Formen an, die sich auf der Basis wiederholter und vielseitiger Erfahrungen gegenseitiger Empathie herausbilden, wie ich in meinem kürzlich erschienenen Buch »Das Geheimnis des Anderen« vielfach belegt habe (vgl. Staemmler 2009) – aber es beginnt nicht erst dann; im Keim war es immer vorhanden, wie Heidegger betont: Das »fürsorgende Erschließen des Anderen [erwächst] … nur aus dem primären Mitsein mit ihm …. ›Einfühlung‹ konstituiert nicht erst das Mitsein, sondern ist auf dessen Grunde erst möglich« (1953, 124 f.). Um diesen Sachverhalt zu beschreiben, hat der Säuglingsforscher Stein Braten (2007) den Begriff der »altero-zentrierten Partizipation« geprägt. Stern fasst prägnant zusammen, was Braten damit meint, nämlich

      die angeborene Fähigkeit, das, was der Andere erlebt, ebenfalls zu erleben (gewöhnlich außerhalb des Gewahrseins). Sie ist ein unwillkürlicher Akt des Erlebens, in dessen Prozess das Zentrum der eigenen Orientierung und Perspektive im Anderen verortet zu sein scheint. Sie ist kein Wissen über den Anderen, sondern eine Teilnahme an seinem Erleben. Altero-zentrierte Partizipation ist die basale intersubjektive Fähigkeit, durch die Nachahmung, Empathie, Mitleid, emotionale Ansteckung und Identifizierung ermöglicht werden. Wiewohl angeboren, wird diese Fähigkeit im Laufe der Entwicklung erweitert und verbessert. (Stern 2005, 247)

      Diese primordiale Fähigkeit zur intersubjektiven Bezogenheit ist auch auf der neuronalen Ebene fest verankert, z. B. in der Form der sogenannten »Spiegelneurone«, die in den frühen 1990er-Jahren entdeckt wurden6 und in denen einer ihrer Entdecker, Vittorio Gallese, nichts Geringeres als die »neuronale Basis der Intersubjektivität« (2003) sieht. Weil wir von Beginn unserer Existenz an so ausgerüstet sind, verfügen wir schon lange, bevor wir sprechen können und

      bevor wir in der Lage sind, das Verhalten Anderer zu erklären oder vorherzusagen, über die Fähigkeit, mit Anderen zu interagieren und sie auf der Ebene ihrer Gesten, Intentionen und Emotionen … sowie auf Basis dessen zu verstehen, wie sie sich gegenüber uns und Anderen in pragmatischen … Alltagsaktivitäten verhalten. (Gallagher 2005, 230)

      Und weil alle Menschen über diese neuronale Begabung verfügen, sind sie zugleich mit einem »überindividuellen neuronalen Format« (Bauer 2005, 166 – Hervorhebung im Original) versehen. Es bildet die neuronale Voraussetzung, die sie – zusammen mit den Voraussetzungen, die von Kultur und Sprache geschaffen werden – in die Lage versetzt, in einen »gemeinsamen zwischenmenschlichen Bedeutungsraum« (a. a. O. – Hervorhebung im Original) hineinzuwachsen und diesen mitzugestalten.

      Diese Ausstattung zeigt eine nahezu permanente Aktivität, die »offenbar Teil des Normalzustands des Gehirns ist; ohne Anstrengung oder Absicht evaluiert und analysiert es ständig vergangene, gegenwärtige oder mögliche zukünftige soziale Beziehungen, wann immer nicht-soziale Fragestellungen nicht die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen« (Iacoboni et al. 2004, 1171). Mit anderen Worten: Zusätzlich zu ihren unmittelbaren Kontakten mit Anderen sind Menschen mit virtuellen Kontakten beschäftigt, wann immer ihre aktuelle Situation es ihnen erlaubt. Wir sind nie allein; selbst wenn wir es aus der Sicht eines Beobachters zu sein scheinen, sind wir mit den Anderen durch das Erleben von ihrer Abwesenheit verbunden. Selbst dann bleibt der Kontakt unsere erste Wirklichkeit – der allgegenwärtige Hintergrund, vor dem das Alleinsein zur Figur wird.7

      Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zur Intersubjektivität entstammen der Beobachterperspektive. Sie stellen damit nur eine von mehreren Perspektiven dar, unter denen man Intersubjektivität untersuchen und feststellen kann, dass sie verkörpert ist. Aus der phänomenologischen Perspektive (der ersten Person) gesehen, die von Gestalttherapeuten bevorzugt eingenommen wird, begegnet man im unmittelbaren Kontakt mit der anderen Person jedoch »nicht einem reinen Körper mit einer versteckten Seele, sondern einem einheitlichen Ganzen« (Zahavi 2005, 150). Daher bestand Merleau-Ponty darauf: »Die Intersubjektivität ist eine Interleiblichkeit« (1972, 248), die sich in einer Vielzahl von unmittelbar erfahrbaren Phänomenen manifestiert; ich habe das an anderer Stelle (Staemmler 2009, 97 ff.) ausführlich dargestellt und möchte diesen Punkt hier nur kurz mit Varela zusammenfassen:

      Ich verstehe den Anderen nicht als ein Ding, sondern als eine Subjektivität, die der meinen als ein alter ego ähnlich ist. Durch seinen Leib bin ich mit dem Anderen verbunden, zunächst als mit einem Organismus, der dem meinen ähnelt, aber auch als mit einer wahrgenommenen verkörperten Präsenz … in meinem Erfahrungsfeld. (Varela 1999, 81)

      Kontakt als erste Wirklichkeit im therapeutischen Veränderungsprozess

      Bis hierher habe ich Kontakt als erste Wirklichkeit im Sinne einer entwicklungspsychologischen Sequenz sowie im Sinne eines fundamentalen Aspekts des menschlichen Wesens betrachtet. Im nun folgenden dritten Teil dieses Textes möchte ich mich mit persönlichem Kontakt als einem wesentlichen Bestandteil des Veränderungsprozesses in der Gestalttherapie befassen.

      Weil Gestalttherapeuten ihren Klienten vorzugsweise in einer »Ich-Du-Haltung« (Hycner & Jacobs 1995) gegenübertreten, schaffen sie die Voraussetzung dafür, dass »Begegnungsmomente« entstehen können, d. h. Momente, in denen der persönliche Kontakt zwischen den Teilnehmern der Begegnung eine ungewöhnliche intersubjektive Dichte erreicht (vgl. Sterns Beispiel oben). Solche Momente lassen sich auch als Beispiele