Lernen einnehmen – nicht nur durch Zurückhaltung, sondern durch aktives Engagement −, stellt sich die Frage, in welcher Form Erwachsene dies tun sollen und können. Die empirischen Resultate sind nur zum Teil ermutigend. So lässt sich beobachten, dass Lehrpersonen von 4- bis 8-jährigen Kindern während der Spielsequenz ihren Fokus vielfach auf Management und Überwachung des Unterrichts legen und sich seltener förderlichen Aktivitäten widmen (McInnes et al. 2011; Kucharz et al. 2014; Edelmann et al. 2018).
Einig ist man sich auf jeden Fall, dass Lehrerinnen und Lehrer den Kindern Spiel- und Lernumgebungen zur Verfügung stellen sollen, die den Erwerb bestimmter Lernziele unterstützen. Zudem soll der Spiel- und Lernprozess der Kinder durch Erwachsene begleitet werden. Diese Spielbegleitung kann vielfache Formen beinhalten, wie beispielsweise das Mitspielen, offene Frage stellen, kurze impulssetzende Kommentare usw. (siehe dazu Weisberg et al. 2016; Hauser 2016; siehe auch den Beitrag von Franziska Vogt in diesem Band). Letztlich geht es darum, eine Balance zwischen dem selbstgesteuerten Spielen und Lernen der Kinder und den Impulsen der Lehrpersonen zu finden. Für Weisberg u. a. (2016, S. 178) ist dies der Kern des «guided play» und die Formel für wirksames Lernen von jüngeren Kindern. Insbesondere der Anfangsimpuls sowie die von Erwachsenen konstruierte Spiel- und Lernumgebung sollen hier vertieft thematisiert werden. Diese spielbasierten Lernumgebungen können auch als «mise en place» (ein Ausdruck aus der Kochsprache) (Weisberg et al. 2016) oder als «playful learning landscape» (Hirsh-Pasek et al. 2018) bezeichnet werden.
Ebenso wird deutlich, dass das alleinige Bereitstellen von Lern- und Spielmaterialien mit einem dahinterliegenden Lernziel noch nicht ausreichend für die Initiierung eines lehrplanbezogenen Lernprozesses ist. Erwachsene spielen eine zentrale Rolle im kindlichen Spiel, indem sie Materialen bereitstellen und das Spiel begleiten, kommentieren oder gar mitspielen. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen: Zum einen können Lehrpersonen fachlich und didaktisch durchstrukturierte Materialangebote bereitstellen und diese durch Massnahmen (siehe Spielimpulse unten) für die Kinder interessant und attraktiv machen. Im Weiteren können Erwachsene den Spielprozess der Kinder unterstützen, indem sie Fragen stellen, kommentieren oder auch mitspielen. Zum anderen gilt aber auch, dass Lehrpersonen unstrukturiertes Material bereitstellen und beim Einsetzen des Spielprozesses, durch die Spielbegleitung das Material anreichern beziehungsweise den Kindern Spielvorschläge machen können (siehe das Beispiel «Brücken» im Kapitel «NMG») (Weisberg et al. 2016; Hauser 2016, S. 145).
Nachdem nun die grundsätzlichen Überlegungen dargelegt wurden, versuchen wir in den beiden folgenden Abschnitten die Bedingungen für das Verbinden von kindgesteuerten Spielaktivitäten und Lernziel unterlegten Einflussnahme auf das Spielen der Kinder zu beschreiben. Dies sind einerseits die Konzeption der materiellen Umgebung (spielbasierte Lernumgebungen im engeren Sinne) und andererseits die didaktischen Überlegungen, wie wir die Angebote der spielbasierten Lernumgebung für Kinder interessant und attraktiv machen können und wie wir das Spiel als Erwachsene durch entsprechende Impulse begleiten können (spielbasierte Lernumgebungen im weiteren Sinne).
6.1 Annäherung an eine Definition spielbasierter Lernumgebung
Spielbasierte Lernumgebungen (im engeren Sinne) sind im Kern eine didaktisch aufbereitete Anreizstruktur mit dem Ziel, Spielen und Lernen zu verbinden. Allgemeiner ausgedrückt sind sie dem Alter der Kinder angepasste Lernaufgaben, die es Kindern ermöglichen, selbstständig (mit oder ohne Begleitung) Inhalte zu erkunden und Dinge spielerisch zu lernen. Reusser beschreibt es wie folgt: «Aufgaben als Aufforderungen zur gezielten Auseinandersetzung mit einem Inhalt sind als stoffinhaltliche Materialisierung und prozessdidaktisch inszenierte Lerngelegenheiten der Dreh- und Angelpunkt eines kompetenzorientierten Unterrichts» (Reusser 2014, S. 80). Überträgt man die Definition von «cleveren Lernaufgaben» auf die Beschreibung von Lernumgebungen, kann man nach Kübler (2018) folgende sechs Merkmale festhalten (die Merkmale gelten auch für schulischen Unterricht im Allgemeinen): 1. Sie enthalten ein für die Kinder interessantes und fachlich bedeutsames Thema, setzen beim Vorwissen an und wecken Neugier; 2. Sie führen schrittweise und steigernd zu neuen Erkenntnissen und Einsichten über das Thema; 3. Sie enthalten neben obligatorischen auch selbst gewählte Teile; 4. Sie ermöglichen verschiedene Sozialformen, verschiedene Lösungswege und Lernprodukte; 5. Sie sind so konstruiert, dass verschiedene Bearbeitungstiefen und Lerngeschwindigkeiten möglich sind; 6. Sie enthalten passende Hilfsmittel und Unterstützungsangebote für die Lernenden (Kübler 2018, S. 75).[4]
Darauf basierend und unter Berücksichtigung der entwicklungs- und lernpsychologischen Grundlagen können für die Gestaltung von spielbasierten Lernumgebungen für 3- bis 8-jährige Kinder folgende Merkmale abgeleitet werden (Zosh et al. 2018; Howard 2018; Deci & Ryan 1985; Trawick-Smith et al. 2014): Eine spielbasierte Lernumgebung orientiert sich a) am Lern- und Entwicklungsstand der Kinder, wobei thematische und situative Aspekte integriert werden, ermöglicht b) eine Differenzierung, sodass eine angemessene Herausforderung ermöglicht, eine Überforderung jedoch vermieden wird, berücksichtigt c) vielfältige Angebote, damit die Kinder Wahlmöglichkeiten haben. Das dadurch entstehende Autonomieempfinden erhöht die intrinsische Motivation und Fokussierung im Spiel. Eine spielbasierte Lernumgebung ist d) für die Kinder bedeutsam, weil die kindliche Lebenswelt und die Interessen der Kinder berücksichtigt werden; sie begünstigt e) soziale Interaktion, um ko-konstruktive Lerngelegenheiten zu ermöglichen und provoziert f) durch eine Ergänzung durch unstrukturierte Spielobjekte kreative Handlungen.
Auch unter Berücksichtigung dieser Merkmale muss man sich bei der Konzeption einer spielbasierten Lernumgebung ständig vor Augen halten, dass sie keine Garantie dafür ist, dass die Kinder sich auf die Umgebung einlassen, sie attraktiv finden oder sie in der gedachten Weise bespielen. Deshalb benötigen wir ein Grundkonzept, wie wir Spielen und Lernen durch Impulse von Erwachsenen verbinden können.
6.2 Spielimpulse in spielbasierten Lernumgebungen
Ausgehend von der Einsicht, dass spielbasierte Lernumgebungen allein meist nicht all die beschriebenen Merkmale erfüllen, müssen zusätzlich gezielte Spielimpulse gesetzt werden. Die wissenschaftliche Literatur spricht dabei von «anreichern» oder «scaffolding» (Weisberg et al. 2016, S. 148; Hauser 2016, S. 145). Das Modell in Abbildung 1 zeigt hierfür drei Handlungsfelder auf: Mit dem Materialimpuls (1) (Spielbasierte Lernumgebung im engeren Sinne); kann die Lehrperson mit einer prominenten Platzierung im Raum und der Auswahl spezifischer Spielmaterialien den Schwerpunkt auf ausgewählte Aspekte legen. Durch Anfangsimpulse (2) verfolgt sie das Ziel der Steigerung der Attraktivität durch Verknüpfen mit oder Wecken von Interesse der Kinder für das Materialangebot oder eine bestimmte Aufgabenstellung. Erfahrene Lehrpersonen setzen auf eine professionelle Spielbegleitung (3), die eine emotionale oder kognitive Aktivierung zum Ziele hat. Die Impulse dienen der Weiterentwicklung des kindlichen Spiels und können sowohl geplant als auch situativ oder indirekt beziehungsweise direkt gesetzt werden. Nachfolgend werden die drei Impulsformen erläutert. Unter Einbezug empirischer Befunde zeigen wir auf, wie und unter welchen Voraussetzungen die Impulse in der Praxis eingesetzt werden können.
Abbildung 1 Spielimpulse nach zeitlicher Abfolge
Materialimpuls
Durch das Bereitstellen von Spielmaterial kann die Lehrperson das Spiel der Kinder indirekt beeinflussen. Die Auswahl des Materials basiert – wie bereits ausgeführt – auf den unter 6.1 formulierten Merkmalen. Die Autonomie der Kinder wird nicht eingeschränkt, denn es ist den Kindern überlassen, Spielangebote zu wählen, das Material so zu verwenden, wie sie mögen und das Spiel selbst zu steuern (Zosh et al. 2018). Dennoch werden in Kindergärten die Angebote grösstenteils in sogenannten «Ecken» nach Spielform unterteilt: Zum Beispiel die Rollenspielecke, die Konstruktionsecke oder die Bewegungsecke. Über die gezielte Gestaltung dieser Angebote können Spiel- und Lernprozesse der Kinder gesteuert werden. Unter Angebote werden hierbei sowohl thematisch aufgebaute und fächerübergreifende Umgebungen (z.B. eine Arztpraxis mit entsprechenden Utensilien und Spielmaterialien) als auch einzelne Spielgegenstände