Sulaiman Addonia
Schweigen ist meine Muttersprache
Aus dem Englischen von
Bernhard Jendricke
und Rita Seuß
Inhalt
Die abgelaufenen Sardinenbüchsen
Fernsehen: Die Befreiung eines Mannes
Männer sind leicht zu durchschauen
Frauen, die wie Männer sterben
Der erste Jungfräulichkeitstest
Für die Mädchen in unserem Flüchtlingslager, die meine Spielkameradinnen waren. Wir hatten keine Spielsachen, nur unsere Fantasie. An diesem Ort des Mangels war es unsere Freude am Spiel, die unseren Schmerz linderte. Immer wenn ich nah daran war aufzugeben, dachte ich an euch und an die Freunde aus der Kindheit, die wir zu Grabe trugen. Dieses Buch ist für euch.
Wir wissen nichts über die Beschaffenheit des himmlischen Hirsches (vielleicht weil niemand ihn jemals hat klar erblicken können), aber wir wissen, dass diese unglückseligen Tiere unter der Erde umherwandern und kein anderes Begehren kennen als das, ans Tageslicht zu gelangen.
Jorge Luis Borges
Der Prozess
Cinema Silenzioso
Am Abend, als der Gerichtsbote des Lagers den Prozess gegen Saba ankündigte, saß ich vor meiner Kinoleinwand auf einem Hocker. Cinema Silenzioso.
Auf die strohgedeckten Dächer senkte sich die Dämmerung herab. Über dem Lager, das ich durch meine Leinwand betrachtete, ging der Vollmond auf. Sein Licht sprenkelte die Mauern und Gassen wie dicke blaue Tintenkleckse, und die mit Holz befeuerten Herdstellen glühten rot.
Ich sah den Gerichtsboten auf seinem Esel durch die staubigen schmalen Straßen reiten. Seine Silhouette huschte zwischen den Hütten hindurch.
Ihr seid aufgefordert, an Sabas Prozess teilzunehmen, verkündete er über Megaphon. Der Gerichtssaal wird auf das Kinogelände verlegt.
Als ich ihren Namen hörte, sprang ich auf. Meine Zeichnung von Saba baumelte über dem offenen Feuer neben mir. Im Schein der Glut glänzten die Kohlestriche ihrer Brustwarzen. Ich blickte auf Sabas Quartier, das durch die Leinwand betrachtet aussah wie ein Gemälde. Sie selbst war nirgends zu entdecken. Ihr Limettenbaum stand reglos vor dem Lehmbraun der umliegenden Hütten. An den Halmen des Zuckerrohrs vor ihrem Fenster hingen Heuschrecken.
Als ich anfing, auf meinem Areal ein Kino zu errichten, inspirierte mich die Erinnerung an die fünfundvierzig Bullaugenlampen auf der Fassade des italienischen Cinema Impero in Asmara, wo ich gearbeitet hatte, bevor ich ins Lager flüchtete. Meine Kinoleinwand war ein großes weißes Bettlaken, das ich gebügelt und an zwei in den Boden gestampfte Holzpflöcke gebunden hatte, mit einem großen rechteckigen Ausschnitt in der Mitte. Ich platzierte sie ein Stück unterhalb des Hügelkamms, auf dem sich mein Quartier befand. Viele dachten, ich wollte auf diese Weise die Akteure auf der offenen Leinwand im vollen Licht des Mondes und der Sterne erscheinen lassen, mit dem abgegrenzten Flüchtlingscamp im Hintergrund. Wie ein Wandgemälde, ein Kunstgriff aus vergangenen Zeiten.
Der wahre Grund war ein anderer. Wenn man bei richtigem Licht von hier oben durch die Leinwand schaute, konnte man in Sabas Quartier blicken. Es war auf drei Seiten umzäunt, und der Hügel mit dem Kino diente als vierte Begrenzung. So konnte