Hugo Caviola

In Bildern sprechen


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Grundbegriffe und Methoden spezialisierter Fachwissenschaft (wenn auch nicht in die wissenschaftliche Forschung) erfolgt auf der Sekundarstufe II meist über faktenorientierte Hand- und Schulbücher und zumeist ohne erkenntniskritische Reflexion der fachspezifischen Theorien und der sie begleitenden Metaphern und Bilder. Die Bildungsforschung ist sich weitgehend einig, dass diese wissenschaftspropädeutischen Grundlagen nicht erst im Universitätsstudium, sondern parallel zum Aufbau disziplinärer Kompetenz vermittelt werden sollten (Defila, Di Guilio 1996, 131; Schneider 1988 und 1993; Lepenies 1991, 157; Habel 1990).

      Die Methode dieses Lehrmittels geht von der Annahme aus, dass auch begrifflich verfestigte, «verblasste» oder «tote» Metaphern einen Teil ihrer Metaphorizität bewahren (vgl. Körper«bau» oder Nahrungs«kette»). Das Mittel zu ihrer «Wiederbelebung» ist die Reflexion der Analogiebezüge, die der Metapher zu Grunde liegen. Diese Reflexion zielt darauf ab, die metaphorischen Implikationen, die im Fachbegriff wirken, ohne aber bewusst kontrolliert zu werden, ins Bewusstsein zu rufen. Gelingt dies, so erreicht man eine Selbsterhellung der Wissenschaft, welche die Reichweite und Grenzen wissenschaftlicher Begriffe sichtbar macht. Beispiele: Die Kennzeichnung der Zelle als «Grundbaustein» hebt die Bauweise des Organismus hervor, blendet aber z.B. seine Schmerzfähigkeit aus. Die Speichermetapher der Neurologie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Memorierkapazität des Gehirns, übersieht aber, warum welche Inhalte gespeichert werden.

       Die pädagogische Relevanz der Metaphernreflexion liegt darin, dass sie Lernenden auf einer frühen Stufe disziplinärer Prägung den Zusammenhang zwischen Sprache (als Mittel der Wirklichkeitskonstruktion) und Wissenschaft anschaulich macht. Sie liefert einen Beitrag zur Allgemeinbildung, indem sie die impliziten Annahmen wissenschaftlicher Fragestellungen (hidden assumptions) freilegt, Grundbegriffe (in ihrer intra- und extradisziplinären Bedeutung) beleuchtet, Problemdefinitionen (und die Problemausblendungen) und die daraus folgende Aspekthaftigkeit des Wissens ins Bewusstsein der Lernenden ruft.

      c. Ideologiekritik

      Metaphernreflexion als Aufklärung und Ideologiekritik

      Metaphernreflexion dieser Ausrichtung macht die Perspektivität und Relativität des disziplinären Zugangs bewusst und hebt den «Denkzwang» der Metapher zumindest teilweise auf. Sie lässt sich deshalb mit Gewinn auch auf Metaphern ausdehnen, die nicht zu Fachbegriffen im strengen Sinn geworden sind, aber dennoch Irrtümer und Mythen mitführen können. Man denke etwa an Körper- und Gesundheitsmetaphern (wie Maschine oder Gleichgewicht), an Unternehmensmetaphern (wie Organismus oder Familie) oder die sog. absoluten Metaphern für Sinnbereiche wie Natur oder Zeit (z.B. Zeit als Geld, Fluss oder Baum), die in diesem Lehrmittel behandelt werden. Metaphernreflexion dieser Art ist Aufklärung über Sprache und Ideologiekritik zugleich.

      Ein solches Postulat der Metaphernreflexion im gymnasialen Sprachunterricht verlangt zunächst nach einer genaueren Differenzierung des Metaphernbegriffs. Genauere Hinweise zur Funktion der Metapher in der Wissenschaft und für das interdisziplinäre Denken folgen in den Abschnitten 4 und 5 dieser Einführung.

      3. Die wichtigsten Metapherntheorien im Überblick

      Seit über Metaphern nachgedacht wird, wird auch über sie gestritten. Der Ansatz dieses Lehrmittels nimmt Elemente verschiedener Theorien auf. Ihre Bedeutung für die Metaphernreflexion im Sprachunterricht wird im Folgenden kurz vorgestellt.

      a. Die Substitutions- und Vergleichstheorie

      Artistoteles, der Begründer der Substitutionstheorie, nennt die Metapher «die Übertragung eines fremden Nomens». Er versteht darunter die Übertragung eines Wortes, das «eigentlich» an eine andere lexikalische Stelle gehört. Ein Beispiel: «Das Alter, der Abend des Lebens». Die metaphorische Übertragung folgt Analogie- oder Ähnlichkeitsrelationen: So wie sich das Alter zum Leben verhält, so verhält sich der Abend zum Tag.

      Metapher als Störung der sprachlichen ­Ordnung

      Nach Aristoteles drückt die Metapher eine «Störung der sprachlichen Ordnung» aus. In dieser Störung aber bringt sie die Erkenntnis einer Verwandtschaft der Dinge zum Ausdruck (Kurz 1988, S. 11). Aristoteles unterstellt, dass das, was die Metapher sagt, auch direkt gesagt werden könne, die metaphorische Aussage also ohne Verlust paraphrasierbar sei. Beispiel: «Achill ist ein Löwe». Der Lüge und dem Spiel verwandt, gilt die Metapher vor allem als Mittel der poetischen und persuasiven Rede.

      Metapher als verkürzter Vergleich

      Bei Quintilian finden wir die Metapher als verkürzten Vergleich. Anders als in einem ausformulierten Vergleich fehlt hier die Angabe des Tertium comparationis, dessen, was den verschiedenen Gegenständen gemeinsam sein soll. Die Metapher «Der Mensch ist ein Wolf» ergibt dann einen Sinn, wenn gemeinsame Merkmale von Mensch und Wolf wie Bösartigkeit und Hinterlist erkannt werden. Die Ähnlichkeitsrelation bleibt aber in der Metapher implizit, ihr Erkennen dem subjektiven Verstehensakt überlassen. Die Vergleichstheorie ist insofern ein Sonderfall der Substitutionstheorie, als sie suggeriert, dass die metaphorische Aussage durch einen wörtlichen Vergleich ersetzt werden könne.

       Die aristotelische Substitutionstheorie begründet eine bis heute wirksame Tradition, wonach Metaphern vor allem dem ästhetischen oder persuasiven Gebrauch angehören. In der Substitutionstheorie sind Wörter Etiketten für Dinge, deren Unterscheidung in einer vorsprachlichen Ordnung begründet liegt. Dieser alltagslogische Realismus ist bei Lernenden verbreitet. Metaphernreflexion kann (und soll) ihn hinterfragen und Lernenden die Sprache als Denk- und Erkenntnismittel erschliessen.

       Die Substitutionstheorie unterscheidet zwischen wörtlichem und metaphorischem Sprachgebrauch. (Beispiel: «Achill ist ein Löwe» = metaphorisch; «Achill ist mutig» = wörtlich.) Diese Unterscheidung ist auch im didaktischen Zusammenhang möglich. Die «wörtliche» Bedeutung der Begriffe ist aber nach heutigem Verständnis nicht wie bei Aristoteles in einer vorsprachlichen Ordnung begründet. Seit Saussure werden sprachliche Zeichen als arbiträr und konventionell beschrieben. Die «wörtliche» Bedeutung ist durch den Gebrauch in der Sprachgemeinschaft festgelegt und im Lexikon fixiert.

      b. Semantische Theorien der Metapher

      Die Interaktionstheorie

      Die heutigen Diskussionen der Metapher gehen im Allgemeinen zurück auf Max Blacks Interaktionstheorie (Black 1954). Nach Black wird in der Metapher das sog. Fokus-Wort auf den sog. Rahmen, den Aussagezusammenhang, übertragen. (Weinrich hat später für diese Unterscheidung die anschaulicheren Begriffe «Bildspender» und «Bildempfänger» eingeführt, die im Folgenden verwendet werden.) Durch die Übertragung wird die wörtliche Bedeutung des Bildempfängers verändert. In der Metapher «Der Mensch ist ein Wolf» erhält der Mensch Züge eines Wolfes. Gleichzeitig wirkt dieser neue Verwendungszusammenhang aber auf den Bildspender zurück. (Der Wolf erhält menschliche Züge.) Der Sinn metaphorischen Redens ist es aber nicht, stabile Bedeutung zu schaffen, sondern kontextabhängige Bedeutungseffekte zu erzeugen, die zum Nachvollzug auffordern. Eine Metapher wird verstanden, wenn es gelingt, ein «System von miteinander assoziierten Gemeinplätzen», die mit der wörtlichen Bedeutung des Bildspenders (des Wolfes) einhergehen, auf den Bildempfänger (den Menschen) zu beziehen. Geheimnis und Rätsel der

      Metapher als ­Wahrnehmungslenkung

      Metapher liegen in der «Resonanz» (Black 1977, S. 389), die im Zusammenwirken der beiden Bedeutungsfelder entsteht. Die durch die Metapher erzeugten Bedeutungseffekte sind kreativ und unabsehbar, da die gesamten Implikationen der beteiligten Begriffe interagieren.

      Die gedankenleitende Wirkung der Metapher

      Mit dem Verstehen einer Metapher geht eine Wahrnehmungslenkung einher, die im Rahmen dieses Lehrmittels als die gedankenleitende Wirkung der Metapher bezeichnet wird. Black vergleicht den Bildspender der Metapher mit einem Filter, die mit ihm assoziierten Gemeinplätze als die Linien, die den Durchblick auf den Bildempfänger eröffnen. Metaphern heben Einzelaspekte einer Sache hervor und blenden andere aus. Im Beispiel «Der Mensch ist ein Wolf» werden alle jene