abhalten, hier anzuheuern«, stellte Hauser nach einer Kunstpause fest.
»Ist das ein Problem?«
»Für mich nicht, überhaupt nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch, Dr. Herzog. Sie sind hochqualifiziert. Ach was, reden wir nicht um den heißen Brei herum. Sie sind überqualifiziert für diesen Job. Ich will nur verhindern, dass Sie Ihren Entschluss bald wieder bereuen. Das ist alles.«
Es war ein beruflicher Abstieg, ein Karriereknick, wie er im Buche stand. Das brauchte er nicht auszusprechen. Beide wussten es.
»Ich wäre nicht hier, wenn mich die Arbeit nicht interessieren würde«, versicherte Jonas und meinte es genau so.
»Sicher«, murmelte Hauser mit einem Blick auf die Uhr. »Über die Arbeit unterhalten wir uns später eingehend. Der Patron erwartet uns jetzt.«
Dr. Hubertus von Holzbrinck hieß der Patron. Er war der Gründer und Hauptaktionär der ›BWpharm‹. Die Firma hatte früher Kosmetika hergestellt, dann aber auf den lukrativen Markt der Arzneimittelkopien umgestellt. Der alte Holzbrinck machte nicht den Eindruck eines gemütlichen Opas, den Jonas mit der Bezeichnung Patron verband. Vor ihm stand ein strammer, asketischer Offizier in straffem Zivil, dessen Händedruck schmerzte. Die strenge Erziehung zu Disziplin und protestantischem Fleiß stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dazu passten die stahlblauen Augen und der schlecht verheilte Schmiss auf der Wange. Der einzige offensichtliche menschliche Makel an ihm war die Liebe zu seiner Pfeife, die er entweder ständig in der Linken oder im Mundwinkel hielt. Während der kurzen Besprechung ließ er keinen Zweifel daran: Hubertus von Holzbrinck war die Firma. Daran würde der Plan auch nichts ändern, in Kürze auf sein Weingut in Italien überzusiedeln.
Sympathisch, dachte Jonas. Je weiter von diesem Zuchtmeister entfernt, desto besser.
»Der Lars ist ein sehr zuverlässiger Statthalter«, bemerkte Holzbrinck zu Hauser, der folgsam nickte.
»Steigbügelhalter«, verstand Jonas zuerst. Keiner der Herren hielt es für angezeigt, ihm zu erläutern, wer dieser patente Lars war. Zurück in Hausers Büro, stellte er die Frage.
»Lars Brüderle, pardon, Dr. Lars Brüderle«, antwortete Hauser. »Unser CEO.« Sein abschätziger Ton verriet, dass er nicht sonderlich viel von seinem Chef hielt.
Jonas wusste nicht, warum, aber er fand auch das ganz sympathisch. Hauser war wenigstens ehrlich. »Man hat’s nicht immer leicht mit seinen Chefs«, meinte er lächelnd.
Es klopfte. Ein Mann etwa in Jonas’ Alter kam herein.
»Sind wir soweit?«, rief er begeistert.
Der Mann war haargenau Hausers jüngere Kopie, sah man ab von der fast nachlässigen Freizeitkleidung und dem breiten Grinsen in seinem Gesicht.
»Mein Sohn Patrick«, erklärte Hauser. »Biologe wie der Vater. Er steht Ihnen für alle fachlichen Themen zur Verfügung.«
Patrick gab ihm die Hand und meinte lachend: »Das war allerdings mein Text.«
Hausers Sohn sorgte wie ein Katalysator bei einer chemischen Reaktion dafür, dass Jonas in kürzester Zeit einen guten Draht zu den Strippenziehern in Holzbrincks ›Farm‹ fand. Vielleicht lag es ein wenig am Exotenbonus des schweigsamen Schweizer Singles mit der manchmal etwas holprigen Aussprache. Es gelang ihm jedenfalls, auch den CEO zu überzeugen, eine vielversprechende neue Produktionsmethode ernsthaft zu prüfen. Mit einem Schlag wurde aus dem langweiligen Job des Arzneimittelkopierers ein spannender Forschungsauftrag. Ein Generikum musste nach dem Gesetz dem kopierten Originalmedikament therapeutisch äquivalent sein, die gleichen Indikationen abdecken und es musste die gleichen Wirkstoffe enthalten. Über das Herstellungsverfahren gab es keine Vorschriften, ebenso wenig über Hilfsstoffe, die meist als Verunreinigungen nie ganz eliminiert werden können. ›BWpharm‹ hatte die Medikamente bisher fast ausschließlich chemisch erzeugt, die klassische Methode. Man imitierte den Herstellungsprozess des Originalpräparats eins zu eins. Das führte zwar sicher zum erwünschten Ergebnis, war aber genauso aufwendig und teuer wie die ursprüngliche Herstellung. Was dies bedeutete, war auch den Mitarbeitern klar, die keinen Leistungskurs in Betriebswirtschaft besucht hatten: geringe Margen. Lars Brüderles Verkaufsarmee war bestens darauf trainiert, geringe Margen durch Absatzvolumen wettzumachen, indem sie mehr oder weniger offen Ärzte und Apotheken durch Exklusivverträge gängelte – gegen angemessene Entschädigung. Aber zaubern konnten auch die Verkäufer nicht. Als Jonas sah, welchen Hauptwirkstoff das aktuelle Medikament ›XORACIN‹ zur Stärkung des Kreislaufs enthielt, kramte er die alten Unterlagen aus Boston hervor. Er hatte sich nicht getäuscht. Genau denselben Wirkstoff erzeugten genetisch veränderte E. coli Bakterien zehnmal effizienter als die Chemiker und mit minimalem Energieaufwand. Der Prozess dauerte nur unwesentlich länger, war also durchaus praxistauglich. Aus unerfindlichen Gründen versank diese spektakuläre Erkenntnis damals in den bodenlosen Archiven der Harvard Medical School. Das war seine Chance, frischen Wind in Holzbrincks ›Farm‹ zu pusten. Verblüfft verfolgten seine Mitarbeiter, wie der schweigsame Schweizer über Nacht echtes Charisma entwickelte. Seine Begeisterung steckte sogar die Chemikerin Isabella an, die jeder Hetero begehrte und keiner bekam, obwohl er im Grunde ihren Job gefährdete mit diesem Plan.
»Daran dürfte sogar unser CEO seine Freude haben«, murmelte Jonas eines Abends zufrieden, als er mit seinen Leuten die Auswertung der ersten Testreihe sichtete.
Patrick lachte spöttisch. »Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Warum?«
»Der gute Lars ist Anwalt und Betriebswirt, kein Kopfarbeiter wie wir, schon vergessen? Erst höhere Ertragszahlen werden ihn erfreuen, nehme ich an. Sicher weiß man’s nicht. Hier im Haus hat ihn nämlich noch keiner lachen sehen.«
»Nicht alle Anwälte sind Dummköpfe«, widersprach Jonas, während er den Produktivitätsanstieg seiner Kolibakterien über die letzten zwei Wochen bewunderte.
»Alle wahrscheinlich nicht«, grinste Patrick. »Lars ist zum Beispiel durchaus fähig, die größere von zwei Zahlen zu erkennen.«
»Wo du so wenig von deinem Chef hältst, frage ich mich, wie er unser CEO werden konnte.«
»Ganz einfach: gleiche Burschenschaft wie Holzbrinck und Heirat mit seiner Tochter.«
»Genug jetzt, Boys«, rief die schöne Isabella. »Lassen wir die Zwerge weiterschuften. Es ist schönes Wetter und Freitagabend, schon vergessen?«
Der Freitagabend im Biergarten oder im alten Brauhaus des ›Feierling‹ gehörte zu den angenehmeren Gepflogenheiten der Entwicklungsabteilung. Unter den alten Kastanienbäumen dieser Brauerei erfuhr Jonas in kurzer Zeit mehr über die Interna der ›BWpharm‹ als durch sorgfältiges Aktenstudium in seinen einsamen Nächten. Überdies lag das ›Feierling‹ bequem am Weg zu seiner Wohnung in der Gerberau. An diesem Abend hatte er allen Grund, mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Die Arbeit lief hervorragend. Er hatte neue Freunde gefunden, wenn auch von ganz anderer Art als Niklaus, dessen tiefgründigen Humor er gelegentlich vermisste. Patrick war ein feiner Kerl. Offen, ehrlich, aber auch oberflächlich, dass es manchmal schmerzte.
Jonas spürte einen leichten Stoß an der Schulter.
»Dort drüben«, flüsterte Patrick und grinste dabei bis über beide Ohren.
Verwundert blickte er in die Richtung von Patricks spitzer Nase. Die schöne Isabella begrüßte gerade eine unbekannte Rothaarige mit Beinen bis zum Hals. Die beiden küssten sich auf den Mund. Sie saugten sich aneinander fest, eng umschlungen, als wollten sie auf der Stelle in einem atomaren Blitz verschmelzen wie zwei aggressive Wasserstoffkerne zu edlem Helium.
»Potz Heidenblitz«, imitierte Jonas seinen alten Freund. »Darum also …«
Patrick freute sich königlich. »Hat sie dich auch abblitzen lassen?«
»Nein, um Gottes willen. Ich hab’s nicht versucht. Ich wunderte mich nur, warum sie noch Single ist.«
»Mit diesem Gestell, meinst du.«
»So ungefähr. Dass du es versucht hast, überrascht mich hingegen nicht im