war Anklage genug. Er war schuld an ihrem Absturz, da gab es für ihn keinen Zweifel. Dass er sie gerade noch früh genug entdeckt hatte, bevor sie an ihrem eigenen Erbrochenen erstickte, tröstete ihn kaum. Er erkannte in den langen Minuten, während sie auf den Notarzt warteten, dass sie auf ihn angewiesen war. Er war verantwortlich für dieses zerbrechliche Wesen, das sich oft nur hinter dem Panzer des Zynismus versteckte. Die Beinahekatastrophe öffnete ihm die Augen. Er erkannte die Aufgabe, und er würde seine Verantwortung wahrnehmen, denn er liebte sie. Daran änderten auch keine Heiratsurkunden und Eheverträge irgendetwas.
Wie in Trance fuhr er hinter dem Rettungswagen durch die Nacht. Nebelschwaden reflektierten das blinkende Blaulicht, als ginge ein stilles Gewitter nieder über die schlafende Landschaft am Rande des Schwarzwalds. In der Uniklinik setzte er sich an ihr Bett und wich keine Sekunde von ihrer Seite, bis sie die Augen erneut aufschlug.
»Jonas«, wisperte sie, »verlass mich nicht.«
Sie tastete nach seiner Hand, klammerte sich fest, als fürchtete sie, er wäre nur ein Trugbild. Sie fragte nicht, was geschehen und wie sie hierher gekommen war. Nur seine Gegenwart schien ihr wichtig. Lächelnd erwiderte er ihren Händedruck.
»Ich liebe dich«, sagte er leichthin, als wären es nicht die drei Wörter, die nur unter größten Vorbehalten und begleitet von tausend Zweifeln über seine Lippen kommen durften. Nur im richtigen Augenblick bedeuteten sie mehr als eine leere Floskel, und dieser Zeitpunkt war jetzt gekommen. Sie wussten es beide wie zwei verschränkte Elementarteilchen, die nur zusammen existieren und untergehen konnten. Sie zog ihn zärtlich zu sich. Ihre Lippen trafen sich, und für kurze Zeit gab es nur noch sie zwei im endlosen Universum.
Bis die Tür mit einem Knall aufflog. Lars stürmte ins Zimmer. »Tess, um Gottes willen!«, rief er schwer atmend.
Lars gab vor, Jonas nicht zu bemerken, der sich leise in den Korridor zurückzog. Er würde die beiden eine Weile allein lassen. Nicht sehr lange, nahm er sich vor. Dann würde er sich wieder ans Bett seiner Geliebten setzen, ohne sich von Lars oder sonst wem stören zu lassen.
Die Schonzeit war noch nicht abgelaufen, als Lars aus dem Zimmer kam und mit versteinerter Miene auf ihn zutrat.
»Sparen wir uns die Höflichkeiten«, brummte er in verhaltenem Zorn. »Hätten Sie nicht möglicherweise Tess das Leben gerettet, wären Sie jetzt fristlos entlassen, Dr. Herzog. Einzig diesem Umstand haben Sie es zu verdanken, dass sie nicht hochkant rausfliegen und in keinem Pharmaunternehmen in diesem schönen Land mehr Arbeit finden. Den Job bei Hauser sind Sie ab sofort los. Melden Sie sich morgen früh bei Herrn Caprese vom Vertrieb. Er wird Ihnen die letzte Chance in dieser Branche bieten. Ich kann nur raten: Ergreifen Sie diesen Strohhalm – und lassen Sie endgültig Ihre dreckigen Finger von meiner Frau.«
Seltsamerweise berührte Jonas die unerwartete Standpauke nicht mehr als ein Schnitt beim Rasieren. Er warf dem CEO von ›BWpharm‹ einen verächtlichen Blick zu und ging zurück ins Krankenzimmer. Dort beugte er sich lächelnd über das blasse Gesicht im Meer der roten Haare. Er küsste Tess sanft auf die Stirn und murmelte: »Alles wird gut.«
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