Hansjörg Anderegg

Staatsfeinde


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schüttelte sie den Kopf. Es wurde allmählich zur Gewohnheit, was seine Laune nicht verbesserte.

      »Die ganze oberste Etage hat ein gewisser Albrecht Scholz gemietet, der bei der EU in Brüssel arbeitet, als Lobbyist der deutschen Automobilindustrie.«

      »Endlich mal ein vernünftiger Job. Was hat denn so einer in einem Kaff wie Aachen zu suchen?«

      »Wir sind dran. Der Background Check des Opfers und aller Anwohner läuft.«

      »Die sollen sich mal ein wenig Mühe geben. Und vergesst unsern Freund Phil Schuster nicht.«

      »Bin ich eine Anfängerin?«

      Er überhörte den Kommentar, sagte nur:

      »Dieser Lobbyist Scholz hat wohl auch nichts gehört oder gesehen, richtig?«

      »Keine Ahnung, er sagt bisher gar nichts. Niemand hat bis jetzt auf unser Läuten und Klopfen reagiert.«

      Er traute den Ohren nicht. Sein Gesicht lief rot an.

      »Herr Scholz ging wohl kurz Zigaretten holen, was?«, schnauzte er sie an. »Tür aufbrechen! Gefahr im Verzug, schon mal gehört?«

      Sie wandte sich kommentarlos ab, drehte sich jedoch nach zwei Schritten nochmals um.

      »Was? Noch so eine Überraschung überlebe ich nicht«, seufzte er händeringend.

      Sie ließ sich nicht beeindrucken.

      »Ich fürchte, da müssen Sie durch, Chef. Bei der Hintergrundprüfung ist unserem Analytiker aufgefallen, dass möglicherweise eine Verbindung zwischen dem Lobbyisten Albrecht Scholz und Phil Schuster besteht.«

      Die Welt hörte kurz auf zu drehen. Die Überraschung ließ ihn verstummen. Seine Augen hingen an ihren Lippen, als wäre sie im Begriff, Tausender-Chips zu spucken.

      »Sie haben doch selbst die Schmutzkampagne im Netz erwähnt. Sieht so aus, als sei Herr Scholz im obersten Stock das Ziel der Angriffe unter dem Hashtag #PlayboyScholz auf Twitter.«

      Er räusperte sich kraftvoll und spuckte dabei aus Versehen sein Gummibärchen aus. »Was hat das mit Phil Schuster zu tun?«

      »Vielleicht nicht so viel, wie wir vermuten. Die Hetze hat aber mit einigen Kommentaren eines gewissen @philister begonnen. Bisher konnten wir diesen Philister nicht identifizieren, aber ich denke, wir müssen den guten Phil Schuster zu diesem wohlklingenden Pseudonym befragen.«

      »Und ob«, krächzte er, »das erledige ich.«

      Beim Verlassen des Hauses fing ihn ein junger Uniformierter ab.

      »Was ist? Ich bin in Eile, wie man sieht.«

      »Entschuldigung Herr Hauptkommissar, ich denke, es ist wichtig.«

      »Na was denn? Lassen Sie›s endlich raus, Mann!«

      »Wir haben übereinstimmende Aussagen zweier Zeugen von gegenüber. Sie behaupten, ein Polizist sei ungefähr zur Tatzeit aus dem Haus gekommen und auf dem Motorrad Richtung Seilgraben davongefahren.«

      »Ein Kollege?«

      Der junge Mann nickte. »Motorradstreife, wie es scheint.«

      »Diesen Kollegen müssen wir so schnell wie möglich finden.«

      Der junge Polizist guckte verlegen aus der Wäsche.

      »Was ist jetzt schon wieder?«

      »Das Problem ist: Es gab zu der Zeit keine solche Streife in der ganzen Stadt. Wir haben alle Wachen angefragt. Niemand weiß etwas von diesem Kollegen.«

      Fischer spürte einen bitterem Geschmack im Mund, schob sich ein gelbes Gummibärchen ein und befahl:

      »Weiter suchen!«

      In Gedanken versunken betrat er das Haus, in dem Schuster wohnte. Der Kollege auf dem Motorrad war möglicherweise keiner. Dirty Harry – Phantom Harry, schoss ihm spontan durch den Kopf. Unwillkürlich fröstelte ihn. Aus Schusters Wohnung im zweiten Stock drang gedämpfte Klaviermusik. Er läutete und klopfte gleichzeitig. Kurz bevor er die Nerven verlor, öffnete Schuster die Tür einen Spaltbreit.

      »Sie schon wieder. Ich hätte es mir denken können«, seufzte er und ließ ihn eintreten.

      »Machen Sie das Geklimper aus. Wir müssen reden.«

      »Das Geklimper nennt sich Nocturne Opus neun Nummer zwei von Frédéric Chopin, und am Flügel sitzt Maurizio Pollini. Nocturne ist übrigens französisch und bedeutet Nachtstück, passt also.«

      »Ich bin nicht gekommen, um mir eine verdammte Vorlesung anzuhören, und der Herr Pollini soll sich meinetwegen aufs Klo setzen.«

      Schuster erwies ihm immerhin die Gnade, die Musik leiser zu stellen, sodass er den Apparat nicht erschießen musste.

      »Worüber wollten Sie mit mir reden? Ich habe alles gesagt, was ich weiß.«

      »Genau das glaube ich nicht. Kennen Sie einen Herrn Albrecht Scholz?«

      Täuschte er sich, oder sah Schusters Gesicht plötzlich blasser aus? Der junge Mann verbarg etwas wie vermutet. Zu seinem Erstaunen trat Schuster nach kurzem Zögern die Flucht nach vorn an.

      »Den Playboy gegenüber?«, fragte er scheinbar amüsiert.

      Fischers Zunge schob den klebrigen Rest des Gummibärchens einige Mal hin und her, während er auf mehr wartete.

      »Klar kenne ich den Playboy Scholz«, fuhr Schuster fort. »Der wohnt in Jakobs Haus. Ich wette, jeder in unserer Straße kennt ihn. Der ist ja nicht zu übersehen bei seinem Lebensstil. Die Tussis, die er dauernd anschleppt – manchmal zwei oder drei gleichzeitig.«

      »Aber nicht jeder nennt ihn Playboy Scholz, Hashtag PlayboyScholz, um genau zu sein, nicht wahr, Herr Philister?«

      Treffer!, dachte er, denn Schuster hatte die Sprache verloren. Der Triumph währte nicht lange. Schuster setzte ein gezwungenes Lächeln auf und gab vor, kein Wort zu verstehen.

      »Sie sind dieser Philister auf Twitter, der die Hetze gegen Herrn Scholz angezettelt hat. Warum?«

      Der Frontalangriff verfehlte die Wirkung. Schuster hatte sich wieder gefasst.

      »Ich verstehe immer noch nur Bahnhof«, behauptete er kühl und drehte die Musik lauter.

      Er war jetzt überzeugt, dass Phil Schuster dieser Philister war, und fragte sich, weshalb er so ein Geheimnis daraus machte. Hetze im Netz war ja noch keine Straftat. Irgendetwas an diesem Schnösel störte ihn gewaltig. Im Moment waren ihm leider die Hände gebunden.

      »Was interessiert Sie überhaupt der Scholz?«, fragte Schuster gereizt. »Ich dachte, Sie suchen den Mörder des bedauernswerten Jakob Rosenblatt.«

      »Genau das machen wir.« Er verließ die Wohnung mit der Warnung: »Zehn Uhr im Präsidium.«

      Kaum im Treppenhaus, erreichte ihn der Anruf seiner Partnerin.

      »Das müssen Sie sich ansehen, Chef, sofort!«, sagte sie aufgeregt. »Wir sind in der Wohnung von Albrecht Scholz.«

      Die Tür zur Wohnung des Lobbyisten Scholz wies keinerlei Einbruchspuren auf.

      »Sie war nicht verschlossen«, bestätigte ein Techniker.

      Als er eintrat, schlug ihm eine Wolke süßlichen Parfüms der billigen Sorte entgegen, das zum gedämpften Rotlicht passte. Für einen Augenblick wähnte er sich im Puff über der Bar, die er einst als Drogenfahnder hochgenommen hatte. Eine Mitarbeiterin der Kriminaltechnik war dabei, Scheinwerfer zu installieren, um die Szene fotografieren zu können. Geblendet vom plötzlich aufflammenden Flutlicht, kniff er fluchend die Augen zu. Was er auf den ersten Blick gesehen hatte, verdarb ihm die Lust auf weitere Süßigkeiten.

      »Ihr habt nichts verändert?«, fragte er zur Sicherheit, was ihm nur strafende Blicke eintrug.

      Die Partnerin fasste zusammen:

      »Der