Hansjörg Anderegg

Staatsfeinde


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      »Habe ich auch bemerkt, stellen Sie sich vor«, brummte er.

      Die Leiche lag mitten im Wohnzimmer. Erstaunlich wenig Blut hatte sich auf dem Teppich unter dem Kopf ausgebreitet.

      »Verblutet ist er nicht«, murmelte er wie zu sich selbst.

      Die Partnerin wagte zu spekulieren:

      »Sieht aus, als hätte er sich hinknien müssen und wäre mit einem Genickschuss getötet worden.«

      Für einmal stimmte er ihr uneingeschränkt zu.

      »Es war eine Hinrichtung«, stellte er fest, »eine verdammte Hinrichtung wie die Chinesen sie praktizieren, um Kosten für den Knast zu sparen. Wo bleibt eigentlich unser Medizinmann?«

      Der Rechtsmediziner trat ein, während die Technikerin die letzten Fotos schoss.

      »Gut geschlafen?«, begrüßte er ihn.

      Ein wütender Blick streifte ihn. »Das nächste Mal sollten Sie vielleicht gründlicher nachsehen, bevor sie mich ziehen lassen, Sherlock Holmes.«

      Die Arbeit des Mediziners war schnell erledigt.

      »Chirurgisch präziser Genickschuss wieder aus nächster Nähe«, diagnostizierte er, »hätte ich nicht besser hingekriegt.«

      »Wann?«

      »Vor drei, vier Stunden schätze ich.«

      »Also zur selben Tatzeit zwischen sechs und sieben heute Abend. Irgendwelche Abwehrverletzungen?«

      Der Mediziner schüttelte den Kopf. »Die Obduktion wird zeigen, ob es Fremd-DNA unter den Fingernägeln gibt aber sonst …« Nach kurzem Zögern fügte er grinsend hinzu: »Ist auch nicht verwunderlich.«

      Da der Arzt schweigend begann, sein Besteck einzupacken, herrschte er ihn an:

      »Finden Sie das lustig? Warum hat er sich nicht gewehrt?«

      »Sehen Sie mal in jenem Aschenbecher nach und riechen Sie daran.«

      »In diesem Boudoir riecht man gar nichts außer Nutten-Parfüm.«

      »Der Mensch riecht halt nur, was er kennt«, murmelte der unverschämte Medizinmann laut genug, dass er es hörte.

      »Marihuana?«, wagte die Partnerin einzuwerfen.

      »Da hören Sie›s, Herr Hauptkommissar. Der Mann war bekifft, als er die letzte Reise antrat. Vielleicht nicht die schlechteste Idee. Genaueres nach der Obduktion.« Bevor er das Zimmer verließ, fragte er die Partnerin dreist: »Sind Sie sicher, überall nachgesehen zu haben?«

      Die Bemerkung traf nicht sie, sondern ihn. Er stieß einen leisen Fluch aus und zischte:

      »Eines Tages knöpfe ich mir die Sau vor!«

      Eine Mitarbeiterin der Spurensicherung hielt ihm den Plastikbeutel mit dem sichergestellten Projektil hin, das den Körper des Opfers durchschlagen hatte und im Parkett stecken geblieben war.

      »Kaliber .45 wie im Antiquariat, vermutlich dieselbe Waffe.«

      Die Partnerin trat mit einem andern Beweisstücke herbei.

      »Das hier war definitiv eine geplante Hinrichtung, Chef.«

      In der Plastiktüte befand sich ein Zettel. Der Text, dessen Buchstaben aus einer Zeitung ausgeschnitten waren, lautete:

       WIR KRIEGEN EUCH ALLE.

       DIE GESCHWORENEN.

      »Der Zettel lag unter diesem Stein auf dem Tisch«, fügte sie hinzu, auf einen zweiten Beutel deutend.

      »Was soll ich mit einem Scheiß Stein?«, fauchte er.

      Der Text wühlte ihn auf. Die offene Drohung jagte seinen Puls in die Höhe. Am meisten ärgerte ihn, dass er es nicht verhindern konnte. Seine Partnerin war solche Stimmungsschwankungen gewohnt. Sie sprach ruhig aus, was er dachte:

      »Wenn es kein übler Scherz ist, kommt wohl noch einige Arbeit auf uns zu, Chef.«

      Er nickte. Nahm man den Text ernst, gab es nur eine Interpretation: Die Hinrichtung des Albrecht Scholz war erst der Anfang. Noch etwas erkannte er klar. Es handelte sich bei beiden Morden höchstwahrscheinlich um denselben Täter, aber die Vorgehensweise im Fall des Antiquars unterschied sich grundlegend von dieser Tat. Jakob Rosenblatt war nicht Opfer einer sorgfältig geplanten Hinrichtung geworden. Der Täter hatte ihn einfach kurzerhand beseitigt, wie man eine lästige Fliege klatscht.

      »Scholz war das eigentliche Ziel«, sagte er nachdenklich, »Rosenblatt vielleicht nur ein lästiger Zeuge.«

      Die Partnerin stimmte zu:

      »Habe ich mir auch gedacht. Die Umstände zeugen jedenfalls von äußerst skrupellosem Vorgehen.«

      »Also doch ein Profi?«

      »Oder ein Psychopath.«

      Ihm graute jetzt schon vor den tausend Fragen, die sie nun beantworten mussten, stets die Drohung dieses verfluchten Zettels im Nacken. Der Täter oder die Täterin würde wieder zuschlagen, plante vielleicht schon die nächste Hinrichtung. Wie sonst sollte er diese Drohung verstehen? Er hoffte inständig, es nicht mit einem Psychopathen zu tun zu haben. Die brauchten nicht einmal ein lausiges Motiv für ihr krankes Verhalten.

      »Haben Sie je von solchen Geschworenen gehört, Chef?«

      Er verneinte. Im schlimmsten Fall hatten Sie es mit einem ganzen Nest von Psychos zu tun, die aus Gott weiß was für Gründen Herr über Leben und Tod spielten.

      »Gibt es immer noch keine Spur von Phantom Harry?«, fragte er.

      Die Umstehenden stutzten. Es dauerte einige Sekunden, bis die Partnerin einen Gang höher schaltete.

      »Sie meinen den Geister-Cop?«, grinste sie.

      »Wenn es ihn denn gibt.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Das Phantom bleibt wie vom Erdboden verschluckt wie sein Motorrad.«

      »Bloß die Leichen sind leider keine Phantome«, knurrte er.

      Ihm reichte es für heute. Er brauchte dringend etwas zum Entspannen.

      »Sie wissen, was zu tun ist«, sagte er müde zur Partnerin.

      Er wandte sich ab, ging zur Tür und stoppte innerlich fluchend. Die breitschultrige Gestalt des Staatsanwalts versperrte ihm den Weg. Widerstrebend setzte er das falsche Lächeln auf, das er für falsche Kumpels aller Art stets bereithielt.

      »Jupp, schön dich zu sehen«, sagte er, ohne Anstalten zu machen, dem Staatsanwalt die Hand zu schütteln.

      »Schon die zweite Leiche an diesem Abend«, stellte Jupp Wagner mit einem angewiderten Blick ins Wohnzimmer trocken fest.

      Er korrigierte:

      »Genau genommen ist das die erste Leiche, Jupp. Der Antiquar unten war Nummer zwei. Meine Kollegin wird dir alles ausführlich erklären. Ich empfehle mich.«

      Jupp hielt ihn am Ärmel zurück. »Nicht so schnell, Tom. Nach zwei Morden am selben Abend im selben Haus und offensichtlich ohne familiären Zusammenhang empfiehlt sich hier kein leitender Ermittler. Nicht einmal ein Kumpel aus dem Schützenverein, mit dem ich hin und wieder ein Kölsch gekippt habe.«

      »Altbier«, verbesserte er ärgerlich, »aber unter diesen Umständen würde ich sogar ein Kölsch saufen.«

      Jupp könnte ihm ohne Zögern die Hölle heißmachen, also blieb er in Gottes Namen am Tatort und hörte sich den Bericht der Partnerin zusammen mit dem Staatsanwalt an.

      »Ein Phantom als Polizist in Aachen? Ich dachte, der Karneval wäre seit einem halben Jahr vorbei«, brummte Jupp angewidert. »Mehr habt ihr nicht?« Nach einem letzten Blick auf die sterblichen Überreste des Albrecht Scholz fügte er hinzu: »Das sieht mir eher nach Mafia-Methoden aus. Müssen wir diese Geschworenen ernst nehmen?«

      »Werde