Teller‘, und die Frage ist nur, bei welchen Titten, also Fressalien die Leute so richtig zugreifen?“
Er sah Gradoneg in die Augen, erwartete aber keine Antwort; stattdessen klatschte er wie ein begeistertes Kind in die Hände: „Bingo! Das sind die Bio-Lebensmittel! Bei Bio greifen die Geldsäcke zu, und alle machen es denen nach. Wie beim Golfen … Von den Bankmanagern bis zu den grünen Schwuchteln, alle stopfen sich das rein. Ist doch logisch: Jeder will gesund sein und sich dabei verwöhnen. Koste es, was es wolle. Dort liegt das Geld. Beim Fressen … und nicht mehr bei den Schwänzen und gespreizten Beinen. Kapierst du. Diese Ökofuzzis kaufen sich einen Tesla und fast schon eine so teure Küche. Und damit sie dort ihre gesunden Freunderl beeindrucken können, brauchen sie die besten Rezepte mit den teuersten Zutaten. Und genau das servieren wir ihnen mit unseren Magazinen: Rezepte und Bio. So ein pipifeines Fressen bringt nämlich auch pipifeines Geld. Wirst schon sehen, inserieren alle brav bei uns. Du brauchst nur bei den Firmen anzurufen und kannst ihnen gleich die Rechnungen schicken. Ist viel Geld für nichts, wie in der Politik.“
Thomas Kneisler hatte seine letzte Pizza-Schnitte verdrückt. Er rülpste, ölte seine Glatze zum wiederholten Male mit den fettigen Fingern ein und erhob sich gemächlich aus seinem Bürostuhl: „Gut, wir sehen uns dann morgen so gegen neun, ja? Kann auch zehn oder später sein, aber dann legen wir los. Ich muss jetzt zu einem Termin. Plane gerade ein Sondermagazin über Kapaun-Spezialitäten. Weißt du überhaupt, was ein ‚Kapaun‘ ist? Klingt so fein, ist aber in Wirklichkeit bloß ein kastrierter Gockel. Einfach super … Die schneiden einem Gockel die Eier ab und verlangen das doppelte Geld dafür. Auf so eine Idee musst du einmal kommen: Eier ab, und in der Kasse klingelt es. Dabei dürften die das mit den Eiern gar nicht, hab ich recherchiert. Ist vom Österreichischen Tierschutzgesetz her verboten. Aber was machen die mit den Gockeln? Sie transportieren die Viecher nach Slowenien und lassen ihnen eben dort die Eier absäbeln. Nur so viel zur Schlepperei an den Staatsgrenzen. Unsere Polizei findet ja nicht einmal einen kastrierten Gockel.
Ach ja, weil wir gerade beim Geld sind … noch kurz zu deinem Gehalt: Ich zahl prinzipiell immer mehr, als sich das jemand erhofft. Wird dir genauso gehen. Du arbeitest einmal einen Monat, zeigst mir, was du so drauf hast, und ich überweis dir was. Entweder du fällst mir zufrieden um den Hals, oder du schaust mich schief an. Ja?!“
Und Gradoneg fiel Thomas Kneisler einen Monat später sehr zufrieden um den Hals. Er und das Konto vollzogen geradezu einen Freudensprung. Seine Augen glänzten wie Kneislers Glatze, er liebte diesen Job. Irgendwie mochte er diesen „Porno-Saulus und Bio-Paulus“, der so deftig aß, wie er sprach. Und sogar Gradonegs Sohn Josef holte den ‚Bio-Papa‘ immer öfter und stolzer vom Büro ab. Wollte sogar unbedingt in Kneislers Redaktion sein schulisches Berufspraktikum machen. Was Gradoneg nicht schmeckte. Denn wer wünschte sich schon einen Sohn, der wie ein Pornoproduzent daherredete?
Ansonsten waren jedoch Thomas Kneisler und Gradoneg ein perfektes Gespann. Ihre Ideen sprießten wie die Pizzaschachteln, ein Magazin nach dem anderen warfen sie auf den Markt und begossen es hinterher mit Demeter-Wein.
Kneisler war ein Goldesel, auf gut Wienerisch ein ,Blitzgneißer‘.
Und gerade landeten die beiden ihren größten Coup: Eine ganze fünfköpfige Familie stellten sie von einer konventionellen Ernährung auf eine biologische Schlemmerkur um. Kneisler hatte diese Idee aus einem schwedischen Magazin gestohlen, war wie besessen davon und voll Tatendrang. „Kapierst du, einfach genial, diese skandinavischen Wickies … Die sind dort auf einer Uni draufgekommen, dass alle, die sich mit konventionellen Lebensmitteln vollstopfen, dann das chemische Zeugs von den Feldern und Pflanzen in sich drinnen haben. Verstehst du: Oben stopfen wir beim Fressen die Chemie rein und unten rinnt sie wieder raus. Lauter giftige Spritzmittel, die wir auspinkeln. Sogar in der Muttermilch ist was davon drinnen. Unsere Babys sind von Geburt an Spritzmittel-Junkies. Super, was? Aber nun kommt erst das Beste: Zum Glück kann man diese chemischen Rückstände im Urin messen. Gute Labors schaffen das. Und was die Schweden können, können wir schon längst: Wir schnappen uns auch ein paar Spritzmittel-Fresser, lassen sie in ein Röhrchen pinkeln, und ab damit ins Labor. Und in der Zwischenzeit füttern wir dieselben Personen ein paar Wochen lang mit Bio und lassen ihren Urin wieder im Labor testen. Verstehst du, was ich meine?“
Kneisler schlug begeistert mit der Faust auf den Bürotisch.
„Peng! Plötzlich sind alle giftigen Spritzmittel weg, und die ganze Familie ist glücklich. Das ist die perfekte Story, kapierst du, richtig zum Abspritzen! Bei dieser Geschichte inserieren alle Bio-Firmen. Wir krallen uns sofort eine Familie mit zwei, drei fetten Kindern und machen das. Möglichst sozial benachteiligte Fettsäcke aus einem Gemeindebau, dann springen noch mehr Inserenten auf. Mitleid zahlt sich aus.“
Und so war es, das Geschäft mit den Inseraten lief wie geschmiert. Via Facebook hatten Kneisler und Gradoneg eine Floridsdorfer Familie aufgetrieben, im hintersten Winkel eines heruntergekommenen Gemeindebaus. Absolut perfekte Probanden: Die Eltern arbeitslos, die Kinder brachten jede Menge Kilos auf die Waage, und alle ihre Urinröhrchen liefen vor chemisch-synthetischen Spritzmitteln über.
„Dass diese Menschen bei den Werten überhaupt noch leben“, schüttelte der Laborant auf der ‚Universität für Bodenkultur Wien‘ entgeistert den Kopf. „Ich habe ihre Urinproben drei Mal analysiert. Die könnten mit ihrem Urin den Rasen im Praterstadion düngen. Wusste gar nicht, dass es noch so viel Glyphosat in Österreich gibt. Also, das kann nicht gut gehen, nein … Bin schon gespannt, welchen Krebs die eines Tages haben.“
Dieser Laborant, ein gewisser Dr. Friedrich Randelsberger, war Gradonegs Geniestreich. Ein wissenschaftlicher Kapazunder, eine „Koryphäe“, von der berühmten Universität für Bodenkultur, der BOKU. Hundertmal hatte ihn Gradoneg telefonisch bekniet, zweimal zum Essen eingeladen und schließlich mit einer Kiste Bio-Wein und einem gut bestückten Kuvert für dieses wichtige Projekt an Bord geholt.
Ein seriöser Wissenschaftler, eine namhafte Universität und Kunden, die sich um den besten Inseratenplatz rauften! Ja, was wollte der Mensch mehr, was wollte Gradoneg mehr?
Selbst mit seinem Grant auf Währing schloss er in den letzten Monaten Frieden. Denn mit der Brieftasche schwoll ebenfalls sein Selbstbewusstsein an. Nicht alle Währinger waren so hochnäsig wie ihr Rathausturm, und nicht alle liefen als Biedermeier-Zombies durch die Straßen, kapierte Gradoneg allmählich. Man musste nur Geld haben – und Währing sah anders aus. Seine Ursula hatte recht: Währing war ein wunderschönes Kurstädtchen. Und könnte man Währing ausgraben und aufs Land verpflanzen, würden alle anderen österreichischen Städte vor Neid erblassen. Das Kärntner Velden würde sich beleidigt im Wörthersee ertränken und Kitzbühel würde sich wütend über die Hahnenkamm-Abfahrt in den Tod stürzen.
Und dies alles sollte er nun gewaltsam verlieren?!
Die Frau und die Kinder, den Beruf und die Ehre, das Zuhause und die Heimat?!
Alles, alles sich nehmen lassen … so wie sie es jetzt gerade in der Justizanstalt Josefstadt mit seinen Habseligkeiten taten?
Wie mit einem dreckigen Schwerverbrecher waren sie mit ihm dort vorgefahren und filzten ihn: Die Brieftasche mit der Bankomatkarte, dem Bargeld, der eCard und dem Identitätsausweis; das Handy mit dem zersprungenen Display, die Schlüssel und den Hosengürtel. Den Ehering zogen sie ihm ebenfalls vom Finger. Jede Tasche drehten sie ihm hundertmal um und leerten sie bis auf den letzten Stofffussel. Und mindestens so oft tasteten sie seinen Körper ab. Die Arme, die Achseln, den Brustkorb, die Hüften, die Oberschenkel und die Waden …. bis sie endlich begriffen, dass er längst nackt war, und ihn abführten.
Drei
Architektonisch und rein äußerlich betrachtet, ist die „Justizanstalt Josefstadt“ in der Wickenburggasse nicht hässlicher als so manch andere Wiener Gemeindebauten oder Amtsgebäude. Sogar mit dem verpfuschten Haas-Haus auf dem Stephansplatz hält sie optisch mit, die viel gerühmten Hundertwasser-Bauten sind auch nur bunter.
Ja, diese Justizanstalt ist ein stinknormaler, fantasieloser Betonklotz, der sich unauffällig in das Stadtbild fügt. Die Einfahrt mit dem Rollbalken könnte zu einem Krankenhaus gehören, der Besuchereingang zu einem