du vorgehst …“
„Gern!“, zwang ich mich zu sagen und steuerte den von uns aus nächstgelegenem Tisch an. An ihm saßen zwei Erwachsene von der Gruppe getrennt. Die Frau hatte schulterlange Haare, der Mann die gleiche Frisur wie Joschka. Die Frisur schien echt der Renner zu sein.
„Hi, I am Silas. Nice to meet you“, sagte ich zu dem Mann und bekam einen festen Händedruck zurück. Vor Schmerz biss ich mir auf die Lippe.
„Hi, I´m Alex. Nice to meet you.“ Von Alex ging ich um den Tisch herum zu der Frau und streckte ihr meine leicht zerquetschte Hand entgegen. Ich hoffte, dass sie einen sanfteren Griff hatte.
„Hi, I am Silas. Nice to meet you.“
„Nice to meet you, too. My name is Michi. Alex’s wife.“ Ich nickte. Michi und Alex machten beide einen netten und freundlichen Eindruck. Ich vermutete, dass sie wie Dossie als Koordinatoren hier arbeiteten. Sie waren deutlich älter als alle anderen Volontäre. Ich lächelte sie an und ging weiter zum nächsten Tisch. Dreißig Händedrücke und „Hi I am Silas. Nice to meet you“-Sätze später setzte ich mich an den Tisch, wo auch schon Anna und Joschka Platz genommen hatten. Von da aus versuchte ich noch einmal alle Namen am Tisch durchzugehen. Neben mir saß links McHänsi, äh McKenzie, rechts Jessi und daneben Marlene. Ganz rechts auf der anderen Seite Anna und daneben Joelle. Neben Joelle saß dann Lara, nein Lena. Oder hieß sie doch Lara? Ich war mir nicht mehr ganz sicher. Neben Lara-Lena saß Nathalie, die sich gerade mit Joschka am Tisch unterhielt und mit ihm tiefe Blicke wechselte. Und dann noch der Junge mit dem Rasiererhaarschnitt, ganz links gegenüber von McKenzie. Er fing, meine ich, auch mit J an. John oder Johnny. Er machte einen ruhigen, ganz gelassenen Eindruck. Der erste Eindruck täuschte nicht. Er sprach auch so. Wie ich einige Tage später herausfand, war er sechsundzwanzig Jahre alt und bildete mit Anna zusammen eins der beiden „Couples“ auf der Farm. Neben Anna und Johnny waren noch Nathalie und Joschka ein Pärchen. Sie alle hatten sich zum ersten Mal auf der Farm gesehen und kennengelernt. Und anscheinend auch gleich gut verstanden. Schon romantisch, so eine Afrika-Lovestory …
Mein Blick fiel auf Lea, die zwischen Nathalie und Lara-Lena saß und mich im gleichen Moment auch anguckte. Ich lächelte sie an. Lea hatte naturbraune Haare, die sie, ähnlich wie Michi, bis zu den Schultern trug. Auf ihrem weißen Shirt war ein Regenbogen abgebildet, der sich vom einen zum anderen Ärmel zog. Sie hatte braune Augen und ein paar Sommersprossen im Gesicht. Sie ist echt hübsch, dachte ich mir und schaute schnell nach vorne zu Anna, damit mein Blick zu Lea nicht zu auffällig wurde. Anna hatte sich hinter der Feuerstelle an einem Tresen positioniert, auf dem bereits mehrere dampfende Töpfe standen.
„Okay, guys. Today we have spaghetti with tomato sauce.“ Sie machte eine kurze Pause. Ein Raunen ging durch die Manege.
„Everyone can have one big scoop spaghetti and one scoop of sauce. This sauce here is with meat and this sauce is for the vegetarians.“
„Snooboobs starts“, rief Joschka rein.
„Nice try Joschka“, lachte Anna. „Newbies starts, snooboobs are the last group.“ Enttäuscht verschränkte Joschka seine Arme. Auf dem Hinweg zur Farm hatten wir Newbies von den beiden schon erfahren, dass es unterschiedliche Gruppen gab. Jede Gruppe hatte ihren eigenen Namen und war für verschiedene Tiere auf der Farm zuständig. Gruppenweise ging es dann auch zum Essenholen. An manchen Tagen kam es so durchaus vor, dass man trotz knurrendem Magen erst als Letzter sein Essen abholen durfte.
Nachdem neben uns Newbies auch alle Crocs, Owls und Foreveralones ihre Teller mit Nudeln und Tomatensauce befüllt hatten, durfte dann endlich auch Joschka mit seiner Gruppe die Kelle schwingen. Zumindest war er in seiner Gruppe der Erste in der Schlange.
„Lass es dir schmecken“, sagte ich zu Joschka und schob mir die x-te Gabel in den Mund. Mein Teller war schon fast leer, so einen Hunger hatte ich gehabt. Ich wollte gerade am Tisch fragen, ob man sich ein zweites Mal nachnehmen durfte, da wurde ich auf einmal von einem panischen Schrei unterbrochen. Erschrocken und fast an einer Nudel erstickt schaute ich auf, von wem der Schrei kam. Es war Jessi, die sich die Arme schützend vors Gesicht hielt.
„Ah, ein Affe. Hilfe.“ Affe? Hier? Ich dachte sofort an Jacobi, der vielleicht aus seinem Käfig ausgebrochen war. Joschka hatte von ihm erzählt, als wir zur Farmwiese gingen. Er lebte allein in seinem dunklen Käfig, weil er ein Problemaffe war. Bei Versuchen in der Vergangenheit, ihn in eine Paviangruppe zu integrieren, hatte es stets Verletzte gegeben. Mit ihm war wirklich nicht zu spaßen, vor allem, wenn es ums Essen ging. Die Schilder vorm Gehege hatten also ihren Grund. Aufgeregt schaute ich mich wie die anderen am Tisch um. Jacobi konnte überall sein. Vorsichtshalber ließ ich mein Essbesteck nicht aus der Hand. Plötzlich sah ich ihn. Jacobi, einen muskulösen, brüllenden Pavian mit großen Zähnen und Pranken? Nein, schlimmer. Erleichtert fing ich wie die anderen am Tisch an zu lachen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ein kleines Babyäffchen hüpfte vor mir über den Tisch. Mit seinem Schwanz stieß es fast eine Cola-Dose um.
In den Händen hielt es Jessis Feuerzeug, das es ihr mit einem Überraschungsangriff zuvor stibitzt hatte. Daher Jessis Schrei. Sie wurde von einem Baby attackiert. Siegessicher sprang Enrico, so hieß der Babyaffe, von Schulter zu Schulter, ehe er vor Joelle sitzen blieb und sich sein neues Spielzeug in den Mund steckt. Er hätte seine Flucht besser fortgesetzt. Ohne zu überlegen, packte Joelle ihn mit einer Hand am Rücken und versuchte, ihm seine Diebesbeute wegzunehmen. Doch er dachte nicht mal daran loszulassen.
„Enrico. Enrico. Lass los.“ Doch Enrico hörte nicht und griff stattdessen Joelle an die Nase. Nach ein paar Sekunden überließ er ihr das Feuerzeug. Er hatte etwas anderes entdeckt. Etwas Besseres, etwas Funkelndes - Jessis Nasenpiercing. Neugierig sprang er in Jessis Richtung, die schützend ihre Hände vors Gesicht riss. So schnell ihn seine kleinen Füße auch trugen, er kam nicht weit. Joelle packte ihn ein zweites Mal und zog ihn von Jessi weg.
„Eeennnricccooo Lllloooossss! Enrico. Lass Jessica in Ruhe. Loss.“ Doch Enrico dachte gar nicht daran aufzuhören. Er wollte das Nasenpiercing um jeden Preis haben. Wild zappelnd versuchte er sich aus Joelles Händen zu lösen. Das Nasenpiercing ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen.
„Enrico loss! Was ist denn mit dir?“ Kopfschüttelnd machte sie mit dem dreißig Zentimeter großen, energiegeladenen Enrico kurzen Prozess. Sie stopfte ihn unter ihren Pulli. Mit Joelles Aktion war Enrico gar nicht zufrieden. Sofort fing er unterm Pulli an laut zu quieken und wild mit den Beinen zu schlagen. Nach kurzer Zeit ging ihm jedoch die Kraft aus. Die Beinschläge wurden immer schwächer und langsamer, bis er schließlich ganz aufgab und sich seinem Schicksal ergab. Jetzt sah man nur noch eine atmende Beule unter Joelles Pulli.
„Na geht doch, warum nicht gleich? Hier ist dein Feuerzeug, Jessi.“
„Danke, ich habe ihn echt nicht kommen gesehen.“
„Steck es beim nächsten Mal am besten direkt in deine Hosentasche. Da ist es sicher vor dem kleinen Scheißer.“ Sie schaute durch den Kragen unter ihren Pulli. Von da griff ihr direkt eine Hand an den Mund. Liebevoll taste Enrico ihre Lippen ab. „Du bist ein Scheißer, hörst du. Ein kleiner Scheißer. Aber ein süßer.“
„Das Gleiche gilt für Kopfhörer. Die sind vor ihm auch nicht sicher“, sagte Lara-Lena zu uns Neuen. „Meine sind schon ganz durchgekaut.“ Enrico steckte beim Wort Kopfhörer neugierig seinen Kopf aus Joelles Kragen. Joelle ließ ihn gewähren.
„Nein, Enrico, da sind keine Kopfhörer. Beruhige dich.“ Sie setzte ihn zurück auf den Tisch und wickelte ihn in eine kleine Decke. „Hier, nimm deine Trinkflasche.“ Doch Enrico wollte keine langweilige Milch trinken. Er hatte etwas viel Besseres entdeckt. Freudig, nicht mehr unterm Pulli sein zu müssen, sprang er über Joelles Kopf zum Nachbartisch, an dem Michi und Alex saßen.
„Hey, Enrico? Wie gehts?“ Alex kraulte Enrico am Bauch, während dieser seine Zunge in Alex Saftflasche steckte. Es dauerte nicht lange, bis sich sein Fell am Kinn in den Farben des Saftes färbte.
Ich widmete mich wieder meinen Nudeln. „Wo ist Enricos Mutter?“, fragte ich in die Runde und schaute zu dem kleinen Vervet-Affen. Dieser saß mittlerweile nicht