nicht, dass da ein Brötchen drin ist?“ Er zeigt auf die Tüte vom Spar.
„Da ist noch ein Käsebrötchen drin, das Jessi nicht gegessen hat. Magst‘s haben?“
„Boah geil, gib her. Ich habe seit einem Monat nur Toast gegessen. Ich würde alles für ein Weizenbrötchen mit überbackenem Käse geben.“ Ich schmiss Brötchen samt Tüte in seine Richtung. „Kannst haben. Hier.“
„Danke, Mann.“ Gierig verschlang er es mit mehreren großen Happen.
Von unserer Hütte aus waren es etwa dreißig Meter bis zu den Duschen und Toiletten. Dort standen auch schon Anna, Jessi und Marlene.
Die Toiletten und Duschen erinnerten von der Qualität an einen Ein-Stern-Campingplatz. Zu mehr Sternen reichte es bei den vielen Insekten, Spinnen, Ameisen und Käfern nicht, die die einen Quadratmeter große Toilette für sich beanspruchten. Neugierig krabbelten sie über die Klobrille.
„Ihh.“ Jessi war begeistert. Sie gehörte zu den Menschen, die schon zusammenzucken, wenn sie in ihrer Nähe nur ein Insekt mit den Flügeln schlagen hören.
„Manchmal kann man sogar den anderen beim Geschäft von der Nachbartoiletten hören“, lachte Anna. „Ganz witzig, aber auch nicht immer, haha.“ Wieder musste ich an diese grinsende Erdnuss denken.
Vorbei an den Toiletten gingen wir weiter durch den Busch. Es dauerte bestimmt zehn Minuten, bis wir von der Volunteer Village das Farmgelände erreichten. Nicht selten scheuchten wir auf dem Weg durch den Busch zur Farm Gnus auf, die uns erst irritiert anschauten und dann wild und mit panischem Gesichtsausdruck davonstürmten. Während die Gnus mit ihren langen Gesichtern ziemlich bescheuert dreinschauten, sahen die vielen Mangusten mit ihren Knopfaugen und feuchten Näschen richtig süß aus. Neugierig schauten sie unter einem Busch hervor. Vor allem die Jungtiere und Babys brachten einen fast zum Dahinschmelzen. „Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.“ Anna machte uns den Mangusten-Lockruf vor. Der wurde zur Fütterung verwendet. „Brrrrrr“, und schon sprinteten dreißig hungrige Mangusten auf einen zu, um die besten Leckereien abzubekommen.
Bild von Marlene Handler
Das Farmgelände konnte man von Weitem schon gut sehen. Entlang eines Bolzplatzes liefen wir direkt auf ein rotes Gittertor zu, hinter dem bereits mehrere Hunde ihre Nasen durch die Gitterstäbe streckten. Ihr Bellen hörte man schon aus weiter Entfernung. Rechts vom Tor standen unter einem Vordach mehrere Geländewagen, Safarijeeps und Autos, auf deren Ladeflächen Käfige gebaut waren. Sogenannte „Cage-Cars.“ In der Serie hatte ich bereits gesehen, wie in Cage-Cars Geparden gemeinsam mit Volontären durch den Busch kutschiert wurden. Verrückt, dass ich bald einer von ihnen sein würde.
„In dem linken Backsteinhaus wohnt Dossie mit ihrer Family. Und in dem rechten Teil des Gebäudes …“
„Meinst du das Gebäude mit dem bunten Spielzeuggerüst im Vorgarten?“, unterbrach ich Anna.
„Ja genau, da wo die Schaukeln und Rutschen sind. Da ist die Schule der Buschmänner.“
„Heißen die wirklich Buschmänner?“, fragte Marlene.
„Yes. Die Buschmänner arbeiten hier auf der Farm und bekommen neben einem kleinen Lohn Brot und eine Unterkunft gestellt. Und ihre Kinder gehen halt hier zu Schule. Manchmal dürfen wir Volontäre sogar den Unterricht übernehmen, wenn wir für School-Interaction eingeteilt sind.“
„Kids do not like me“, erwiderte McKenzie und fing an zu lachen. „They don´t understand me.“ Ach, echt? Ich konnte mir ein Lachen nur schwer verkneifen. Selbst Anna musste bei seinem Massachusetts-Englisch oft nachfragen, was er von einem wollte.
Wir schritten durch die kleine Eingangstür im roten Gittertor. Eigentlich rechnete ich fest damit, beim Durchtreten von gleich mehreren Wachhunden besprungen zu werden. Doch weit gefehlt. Nachdem sie uns vor wenigen Minuten aus der Ferne noch wild angebellt hatten, lagen sie jetzt faul auf dem Boden und streckten alle vier Beine von sich.
„Denkt bloß dran, die Tore immer zu schließen“, sagte Joschka mahnend. „Sonst kommt Ham von draußen rein.“
„Wer ist Ham?“
„Ein Warzenschwein. Es versucht immer, die Farm zu stürmen und hier was Essbares zu finden. Wenn es sich einmal irgendwo einnistet, dann dauert es Stunden, bis man ihn von der Stelle bekommt. Letztens lag Ham einen ganzen Tag am Klo und versperrte den Durchgang mit seiner Plauze.“ Irgendwie stellte ich mir diese Situation ziemlich witzig vor. Erst Wochen später begriff ich, dass ein aufgedrehter Ham in einer Toilette mit seinen Hauern gar nicht mal so ungefährlich war. Dann war reinste Vorsicht geboten, um nicht wie die Hyänen von Pumbaa durch die Luft geworfen zu werden.
„Vor allem die Tore zur FoodPrep. In der FoodPrep bereiten wir das ganze Essen für die Tiere vor. Die Tore müssen dort immer, immer, immer geschlossen sein!“
„Was kann den passieren, wenn wir aus Versehen mal das Tor zu FoodPrep nicht schließen?“ Ich fragte aus reinem Eigeninteresse nach. Wenn man Schlüssel von außen an Haustüren stecken lässt, dann ist man in der Regel grundsätzlich auch ein potenzieller Kandidat dafür, Tore zur FoodPrep offen stehen zu lassen. Besser, sich der möglichen Konsequenzen bereits im Vorfeld bewusst zu werden. So schlimm konnte es schon nicht sein. Oder doch?
„Dann bringt Brutus alle Wachhunde hier draußen um!“
Uff! Mit dieser Konsequenz hätte ich jetzt nicht wirklich gerechnet. „Wer bringt hier wen um?“
„Brutus“, wiederholte Joschka. „Ihr werdet ihn noch früh genug persönlich kennenlernen.“ So richtig wusste ich nicht, wie ich das interpretieren sollte. Irgendwie löste dieser Name leichte Unruhe und Nervosität in mir aus. Brutus. Der Name klang schon gefährlich und brutal. Ein grauer Hund schien den Namen Brutus mitbekommen zu haben und streckte erschrocken den Kopf in die Luft. Ich schluckte. Auch wenn die Wachhunde sich gerade in einem faulen, trägen Zustand befanden, waren sie von ihrer Statur durchaus muskulös und kräftig gebaut. Ihre Zähne blinkten in der Sonne. Wer zu Hölle musste Brutus sein, der es gleich mit mehreren muskelbepackten Wachhunden aufnehmen konnte?
„Ihr werdet Brutus spätestens morgen vor der AM-Tour kennenlernen. Am besten, ihr kommt gut mit ihm aus“, empfahl uns Joschka grinsend.
Er behielt recht. Am nächsten Morgen lernten wir Brutus kennen und lieben. Mit seiner Freundin Beati, ebenfalls eine große Dogge, war er als persönlicher Bodyguard für die Volontäre in der FoodPrep, der Futtervorbereitungsstation tätig. Auf der Farm lebten nämlich auch Paviane, die gerne aus ihren Gehegen ausbrachen und die Farm und ihre Arbeiter auf Trab hielten. Und damit die Volontäre nicht schutzlos einem ausgewachsenen Pavian gegenüberstehen mussten, gab es in der FoodPrep den Brutus-Beati-Doggen-Security-Service. Neben seinem Beruf als Bodyguard war Brutus aber vor allem eine liebe Dogge, die es liebte, am Bauch und hinter den Ohren gestreichelt zu werden, Volontäre beim Fleischschneiden zu beobachten und ihnen das ein oder andere Stück Eselfleisch wegzufuttern.
In Gedanken an den blutrünstigen, gefährlichen Brutus beschloss ich mit mulmigem Gefühl, Joschkas Empfehlung nachzukommen und immer die Tore zu schließen.
Wir stiegen über ein, zwei schlafende Wachhunde und gingen an einem rostfarbenen Käfig vorbei. Die Sonne stand mittlerweile tief am Horizont und warf ein schlechtes Licht auf das Innere des Geheges. Im Dunkeln konnte man das dort wohnende Tier nur vermuten. Vor den dicken Stahlstangen stand ein elektrischer Zaun, auf dem zwei Schilder angebracht waren: „Jacobi“ und „Keep Distance“ stand dort jeweils geschrieben. Jacobi - klang niedlich.
„Bämmm.“ Ein dumpfer, lauter Ton schreckte uns alle auf. Er kam aus dem dunklen Gehege. Er klang gar nicht niedlich. Es war ein Ton, der nur dann entsteht, wenn etwas mit voller Wucht auf Stahl trifft. Ich zuckte zusammen, als ich zwei Augen im Dunkeln entdeckte, die von einem behaarten Körper umgeben waren. Schnell folgte ich den anderen. Was leben hier