Silas Jäkel

Afrika - Leben, Lachen, frei sein


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mehr bemerkbar. Ich hatte zwar noch eine Banane und zwei Brötchen mit Rührei in meiner Tasche dabei, doch diese waren eigentlich fürs morgige Frühstück vorgesehen. Ich beschloss, erst mal das Gate zu suchen. Bis zum Boarding war noch gut eine Stunde Zeit. Ich schaute auf mein Handy.

      „Gate 38. Aha. Gut, dass auf dem Ticket ein anderes Gate steht …“ Ich steckte das Handy zurück in die Hosentasche und schlenderte weiter den Gang entlang. Orientierungslos musste ich auf den Überwachungskameras ausgesehen haben, wie ich immer wieder im Gang stehen blieb und mich um die eigene Achse drehte. Es war das reinste Labyrinth. Die Zeiger wanderten auf der Uhr immer weiter. Langsam wurde ich nervös. Noch immer hatte ich das Gate nicht gefunden. Auch keine Person, die ich hätte um Hilfe bitten können. Mit jeder Minute wurde ich unruhiger, bis mir schließlich ganz schlecht war. Ich brauchte jetzt etwas zu essen. Ich wollte gerade aus der Not heraus meinen Rucksack absetzen und die Banane auspacken, als ich plötzlich einen Lebensmittelladen entdeckte, der zu meiner großen Freude um die Uhrzeit noch geöffnet hatte. Meine Freude wurde leicht getrübt, als ich die Lebensmittelpreise sah. Bei fast jedem Produkt standen zwei Zahlen vor dem Komma. Es war wirklich Wahnsinn, wie viele Schweizer Franken hier für eine Kleinigkeit zu essen verlangt wurden. Ich lief zwischen Obst- und Brotständen her, bis ich schließlich fündig wurde. Zumindest sah es eingeschweißt in Frischhaltefolie so aus.

      „Grüß Gott“, sagte ich zu einem älteren Mann hinter der Kasse, der mich freundlich anlächelte. „Ein Truthahn-Tomaten-Rucola-Sandwich für mich, bitte.“ Ich reichte ihm gleichzeitig mit dem Sandwich meine Kreditkarte über den Tresen. Das Brötchen des Sandwiches war recht schmal, dafür aber mit fast zwanzig Zentimetern recht lang. Wie eine Flöte sah es aus. Es fehlten nur die Löcher und das Mundstück zum Reinblasen.

      „Hoi. Wenn Sie möchtet, chönnt Sie gern no es zweits Sandwich näh …“Oh Gott, noch so einer. Ich drehte mich um, um sicherzugehen, dass er gerade wirklich mit mir sprach. Er tat es. Sein Schweizerdeutsch war noch schwieriger zu verstehen als das von Franz Huber im Lautsprecher. Ich schaute ein wenig hilflos in sein freundliches Gesicht.

      „Mir schließet sowieso in zeh Minute und sind am wegrumme und uffrumme.“ Zeh Minute? Uffruume? Ich verstand nur Bahnhof. Wahrscheinlich schwebten über meinem Kopf gerade lauter Fragezeichen und schlugen Purzelbäume in der Luft. Der Verkäufer griff nach einem zweiten eingepackten Truthahn-Sandwich.

      „No, no. Ähn. Nein, Nein.“ Ich wedelte mit meinem Zeigefinger durch die Luft. „Just one, äh, nur eins bitte.“ Er schien mich missverstanden zu haben. Ein Sandwich für sieben Franken reichte mir. Trotz meines Einwandes packte er beide in eine Tüte.

      „Das würde dänn insgesamt siebe Franke machen, da Herr.“

      „Ahh. Zwei für eins.“ Ich grinste. Erst jetzt hatte ich sein Angebot verstanden. Wieso sagt er das nicht gleich?

      „Mit dä Charte? Gern.“ Er nahm meine goldene Karte entgegen und steckte sie in das Kartenzahlungsgerät. Nach einigen Sekunden machte es piep und er gab sie mir wieder zurück. Ich steckte sie in meine Handytasche und griff nach der Tüte mit den beiden Sandwichbaguettes.

      „En guete!“, wünschte mir der Verkäufer zum Abschied.

      Danke. Ihnen auch. Pfiat di!“ Erst beim Ausgang fiel mir ein, dass „Pfiat di“ ja gar keine schweizerdeutsche, sondern vielmehr eine bayerische Abschiedsfloskel war. Ich musste lachen. Du und deine Sprachskills, Silas … Kopfschüttelnd biss ich beim Gedanken daran in den ersten Truthahn. Das kann ja mit deinen englischen Sprachkenntnissen was werden in Afrika. Gell, Richie?

      „Pardon?“ Richie schaute mich fragend an. Er kam aus Südafrika, wohnte in Stockholm und sollte für die nächsten zehn Stunden mein Sitznachbar auf dem Flug nach Johannesburg sein. Zufälligerweise arbeitete er auch in einer Bank, sodass wir gleich ein Small-Talk-Thema hatten. Wir verstanden uns auf Anhieb …

      „Sorry Bro, I did not understand …“

      „My display does not work!“ Während Richie schon die Mediathek von Swiss nach geeigneten Filmen durchstöberte, war mein Bildschirm an der Kopflehne meines Vordermannes immer noch schwarz. Er schien keine Lust zu haben, mich in den nächsten Stunden unterhalten zu wollen. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich mir. Verzweifelt suchte ich mit meinen Händen den Rand nach dem Power-Button ab.

      „Bro, just touching …“

      „Pardon?“ Erst als er mit dem Finger über sein Display strich, verstand ich, was er meinte. Ich berührte das Display und nach wenigen Sekunden flackerte das Swiss-Symbol auf. Erleichtert lehnte ich mich nach hinten, um kurz darauf wieder ganz nah mit meiner Nase an den Bildschirm zukommen. Auf dem Display leuchtete jetzt eine große Kugel hell auf. Umrandet von einem weißen Kranz sah ich die Erde und die Flugstrecke, die sich quer vom europäischen Kontinent bis fast zum südlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents hinunterzog. Ich staunte. Afrika war im Vergleich zu Europa riesig. Viel größer und gewaltiger, als ich je gedacht hatte. Auf Landkarten sah Europa im Vergleich zu Afrika immer viel größer aus. Nichts da. Der Abstand zwischen Namibia und zu Hause war gewaltig. Auf dem kleinen Bildschirm zwar nur wenige Zentimeter, doch in Wahrheit waren es zehn Flugstunden und Tausende Kilometer.

      „Crazy, right?“ Richie hatte mein Staunen über die Erdkugel bemerkt. „Africa is a very big planet, my friend.“ Ich nickte ihm beeindruckt zu.

      „Where do you want to fly?“

      „Namibia, Windhoek.“

      „Why?“ Er grinste und setzte sich interessiert seine Kopfhörer ab, um mich besser verstehen zu können. Von ihm wusste ich bereits, dass er in Südafrika seine Familie besuchen wollte. Zum ersten Mal würde er nach mehreren Monaten und Skype-Calls seine Mutter wieder in die Arme nehmen können. Er konnte den Moment kaum erwarten.

      „Why do I fly to Namibia?“ Ich musste kurz grübeln, um zu überlegen, wie ich es ihm mit meinem nicht so ganz perfekten Englisch am besten sagen sollte. „I think I was fifteen years old as I saw TV series about a farm in Namibia. Maybe you know the series. Volunteers worked there with wild animals. Lions, leopards, baboons and cheetahs. They prepared food, cleaned the enclosures of the animals and lived in the bush.“

      „I mean I heard of it.“

      „I saw this series each day in my holidays. Generally, I like to see documentaries about the African planet. Films about the nature, about wild animals, especially lions …“

      „Do you know the lion king?“, unterbrach mich Richie. „It is a film about lions. Very funny. Trust me.“ Er lachte. Wahrscheinlich dachte er gerade wie ich an den furzenden Pumbaa.

      „Hakuma Matata, I know“, ich grinste. „The lion king is my favorite film.“

      „Same. You know …“, man hörte richtig Richies südafrikanischen Slang raus, „the meaning is very impressive. Taking responsibility for your life and do not run away when life tries to teach you. I mean there are bad times, but you have to go through it.“ Bei Richies Sätzen bekam ich Gänsehaut. Ich dachte an Silvester, als ich neben meiner Familie im Theatersaal saß und bei einigen Szenen fast weinen musste, weil sie so tiefsinnig waren. Bei einigen Liedern und Szenen hatte ich tatsächlich Tränen in den Augen, die mir im zum Glück dunklen Saal über die Wange kullerten.

      „I like what you say, Richie. When you are in Germany, you have to visit the Lion King Musical in Hamburg. Trust me. I had the whole time Gänse, ähh, Gänse …“ Meine Vokabellücken klafften zum ungünstigsten Zeitpunkt wieder auf. „Do you know the bird, who …“ Richies Stirn legte sich leicht in Falten. „Who has an orange, you know …“ Ich hielt meine Hand vor den Mund und machte eine Schnabelbewegung.

      „Goose?“

      „No, Schnabel.“

      „Schnabel? Do you mean goose?“ Verwirrt schauten wir uns für einen kurzen Moment schweigend an.

      „Goes? What goes?“ Ich konnte mich nicht erinnern, jemals von diesem Wort gehört zu