Silas Jäkel

Afrika - Leben, Lachen, frei sein


Скачать книгу

jedoch heißt es in jeder Religion „Wir und die anderen.“ Ich finde es gut und schön, wenn Menschen Kraft, Halt oder eine Aufgabe in ihrer Religion/in ihrem Glauben finden, jedoch sehe ich auch eine Gefahr, wenn man sich selbst zu sehr mit der eigenen Religion und deren Auslegung identifiziert. Siehe Glaubenskriege auf der Welt. Dementsprechend war auch meine Antwort auf ihre Frage etwas differenziert:

      „I believe, but not in a religious way. I believe in life and I would describe myself as a spiritual person. For me life is energy. Belief is an energy. You are energy. Yes, I am Christian, and I go to church on Christmas, but I am not religious. I am a believer, but not a religious believer. I believe in god, but god is for me life, you know.“ Sie verstand was ich meinte und freute sich über meine Antwort. Für sie war Glaube auch Energie, die Menschen, speziell vielen Menschen in Afrika, Kraft und Hoffnung spendete. Sie fand es schade und traurig, wenn Menschen im Namen ihrer Religion Kriege führten. Für sie hatte das nichts mit Religion zu tun. Glaube sei Liebe und verbinde Menschen, anstatt zu töten, meinte sie.

image

      „Love what you do, my friend“ Sie machte eine kurze Pause und lächelte. „ Be grateful for what life or God has given you. Love your life and love yourself. You are love, life is love.“

image

      Die Klimaanlage in Georgs Auto fühlte sich an wie ein heißer Föhn. Ich glaube, dass es ihm Spaß machte, mir die ganze Zeit heiße Luft ins Gesicht zu pusten. Die letzte Inspektion des Wagens musste schon Jahre zurückgelegen haben. Dank dieser Tatsache floss mir das Wasser wie ein reißender Bach die Schläfe hinunter, um von da auf meine Jeans zu tropfen. Die Jeans. Ich konnte den Moment kaum erwarten, wo ich sie mir von den Beinen reißen, gegen irgendeine Wand feuern und dann wild auf ihr herumtrampeln würde. Sie klebte wie ein Taucheranzug an meinem Körper. Mit jeder Hitzewelle entwickelte ich immer mehr Hass auf sie. Sie fühlte sich so eklig und falsch an meinem Körper an. Ich schwor mir, sie in den nächsten vier Wochen regelrecht zu ignorieren und sie keines Blickes zu würdigen. Was ich nicht ignorieren konnte, war die Temperaturanzeige im Auto. Sie zeigte 28 Grad an, doch das kaufte ich ihr nicht ab. Es waren bestimmt vierzig. Die Nachmittagshitze brannte ohne Pausen auf das Autodach herab und es machte nicht den Anschein, dass sie damit in den nächsten Minuten aufhören würde. Am Himmel war keine einzige Wolke zu sehen, die für einen kurzen Moment hätte Schatten spenden können. Seit gut zwanzig Minuten fuhren wir vorbei an ausgetrockneten und verbrannten Wiesen, auf denen ab und zu abgemagerte Rinder in der prallen Sonne standen und uns hinterherschauten. Georg war Mitarbeiter der Unterkunft, die für die nächste Nacht mein Schlafplatz und Zuhause sein sollte. Mitten in Windhoek, der Hauptstadt Namibias. Er hatte mich am Hosea Kutako International Airport abgeholt. Dieser lag mitten in der Pampa. Mit einem Schild, auf dem in Sauklaue mein Name stand, hatte er auf sich aufmerksam gemacht und mir zugewunken. Wie seine Schrift war auch sein englischer Akzent. Sein Nuscheln war kaum zu verstehen. Manchmal wusste ich gar nicht, wovon er gerade sprach und was er meinte. So lachte ich dann, wenn er auch lachte, oder nickte einfach nur, wenn ich es für richtig und angebracht hielt. Manchmal redeten wir auch gar nicht und starrten nach vorne auf die asphaltierte Straße, die uns über kleine Hügel und ausgetrocknete Flüsse führte. Oft erschrak ich, wenn ein Auto am Horizont aus der verschwommen Bodenhitze auftauchte und auf uns zufuhr. Nicht selten sah ich schon von Weitem eine Kollision kommen und meine Reise mit einem lauten Knall enden. Erst als wir dann links am entgegenkommenden Auto vorbeifuhren, erinnerte ich mich daran, dass in Namibia ja Linksverkehr herrschte. Der gute, alte Linksverkehr. Neben der unausstehlichen Hitze war der Linksverkehr wirklich die größte Umstellung für mich bisher. Auf dem Parkplatz wollte ich schon rechts ins Auto einsteigen und wunderte mich, als ich plötzlich ein Lenkrad am Beifahrersitz entdeckte. Georg staunte nicht schlecht, als er nach dem Verstauen meines Gepäcks im Kofferraum plötzlich jemandem auf seinem Fahrerplatz sitzen sah.

      „Do you want to drive?“, sagte er lachend in meine Richtung und wartete geduldig, bis ich die Situation verstand und den Platz mit ihm tauschte.

      Rums. Wieder ein Lkw, der mit vollem Tempo an uns vorbeirauschte und eine große Sandwolke aufwirbelte. Ich hatte ihn so schnell gar nicht kommen sehen.

      „It‘s so dry.“ Georg betätigte den Scheibenwischer, um die vielen aufgewirbelten Sandkörner von der Frontscheibe zu entfernen.

      „We had rain five weeks ago. This year is very dry.“ Er lachte. Die Scheibenwischer funktionierten nicht. Nach der defekten Klimaanlage wunderte mich das nicht.

      „Five weeks“, entgegnete ich ihm ungläubig. Der Lkw und die Staubwolke wurden im Rückspiegel immer kleiner. „Why do I need a rain-jacket?“ Ich dachte an meine Sieben-Euro-Regenjacke von Decathlon, die ich auf den letzten Drücker noch gekauft hatte. Bis vor drei Tagen war ich noch davon ausgegangen, dass ich eine Jacke besaß, ehe ich beim Kofferpacken eines Besseren belehrt wurde. Ich fragte mich echt, warum sie mit auf der Packliste stand.

      „It does not often rain here. Especially in Windhoek or in this area“, erklärte mir Georg, während er einen langsameren Transporter auf der Spur überholte. „But it is rain season in Namibia. Sounds strange, but it is true. I think you will experience a lot of rain when you live on the farm or you go to Etosha.“

      „Seriously?“ Beim Blick auf den wolkenlosen Himmel klangen seine Worte wirklich strange. Ich hatte zwar keine Ahnung, was er mit Etosha meinte, konnte mir aber nur schwer vorstellen, dass es in den nächsten Wochen irgendwo mal ein Regentröpfchen geben sollte.

      „Difficult to imagine. In Germany we have a lot of rain. Especially in Wuppertal.“

      „Wuppertal. What is that?“ Ich erzählte ihm von der Schwebebahn und meiner Heimat. Zu meiner Überraschung gab es zwischen Windhoek und meiner Heimatstadt viele Gemeinsamkeiten. Windhoek war vom Profil ähnlich hügelig. Es ging rauf und runter. Viele Häuser waren in den Berg gebaut, ähnlich wie zu Hause im Bergischen Land. Neugierig schaute ich aus dem Fenster und beobachtete das bunte Treiben auf den Straßen. Es war viel los in Windhoek. Die meisten Menschen hatten jetzt wahrscheinlich Feierabend und machten sich auf zu ihren Wohnungen und Familien. Ich erinnerte mich an die Worte meines Nachbarn, der mir von den vielen deutschsprachigen Straßennamen erzählt hatte. Es war unglaublich: Auf jedem zweiten Straßenschild war ein deutscher Name zu lesen: Bismarckstraße, Gartenstraße oder Schusterstraße, um nur wenige zu nennen. Auch die vielen deutsch benannten Schulen und Universitäten erinnerten an die deutsche Kolonialzeit vor hunderten Jahren. Alles wirkte sehr deutsch, bis auf die brüllende Hitze vielleicht. Erleichtert stieg ich vor einem quietschgelben Haus aus Georgs aufgewärmtem Auto. Per Knopfdruck öffnete er das grüne Einfahrtstor und begrüßte im Vorbeigehen einen neugierigen Papagei, der uns in seinem grünen Federkleid und mit lautem Gekreische hallo sagte. An der Rezeption stellte mir Georg seinen Sohn vor. Dieser war wie sein Vater braungebrannt, sprach zum Glück aber besser Englisch als er. Ich füllte einen Zettel mit meinen Daten aus und bezahlte meine Übernachtung mit Kreditkarte.

      Mein Zimmer lag in der ersten Etage. Georgs Sohn half mir beim Tragen des Koffers und wünschte mir einen schönen Aufenthalt und viel Spaß auf der Farm, ehe er sich zum Rugby-Training verabschiedete. Jetzt wusste ich auch, warum er meinen schweren Koffer mühelos mit einer Hand die schmale Treppe hatte hochtragen können. Er hatte Pranken wie ein Bär, Waden wie die eines ausgewachsenen Stieres und Muskeln an Stellen, an denen ich noch nicht mal Stellen hatte. Ich wollte gar nicht wissen, welche Gewichte er beim Bankdrücken stemmte. Auch wenn meine Oberschenkel von der Größe her zusammen einen seiner Oberschenkel ausmachten, tat ich mir schwer, sie aus der nassgeschwitzten Jeans zu bekommen. Ich hüpfte fast eine halbe Minute auf meinem rechten Bein durchs Zimmer, ehe ich mein linkes befreien konnte. Schnell hopste ich ins Badezimmer in der Hoffnung auf eine erfrischende kalte Dusche. Auch wenn das lauwarme, nach Chlor riechende Wasser aus dem Duschkopf nicht ganz meine Erwartungen erfüllen konnte, fühlte ich mich danach wie neugeboren. Erfrischt und gut gelaunt legte ich mich in kurzen Shorts aufs Bett, streckte alle Beine und Arme von mir und atmete einmal durch.

      21 Stunden, nachdem ich zum ersten Mal die Stimme von Franz Huber gehört hatte, war ich endlich da. 21 aufregende und intensive Stunden voller neuen