Julia Buchebner

Innen wachsen – außen wirken


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auch jede Studienrichtung ihre eigenen Normen und Regeln. So wird es Untersuchungen zufolge Jura-Studierenden in den USA während des Studiums förmlich abtrainiert, sich um andere zu sorgen oder für das Gemeinwohl einzustehen.56 Im Gegenzug dazu werden extrinsische Werte aktiviert und das eigene Aussehen nimmt an Bedeutung zu. Weiters deuten die Studienautoren darauf hin, dass die vielen berufsbezogenen Probleme – von Depressionen über exzessiven Konsum bis hin zum Mangel an ethisch-moralischem Verhalten – womöglich mit dem Ablauf des Rechtsstudiums selbst zu begründen sind.

      Was bedeuten diese Beispiele nun für die Macht sozialer Normen in Bezug auf unsere Gesellschaft? Betrachten wir doch nur ein paar der gängigen Beschreibungen unserer westlichen Welt, wie Leistungsgesellschaft, Konsumgesellschaft, Überfluss-, Wegwerf- oder Wohlstandsgesellschaft. Welche sozialen Normen kommen darin zum Ausdruck? Welche Werte sind uns als Bevölkerung dadurch wohl wichtig? Was macht solch eine gesellschaftliche Ausrichtung mit uns als Individuen? Und was denkst du, ist das Ergebnis von all dem, was wir bisher zum Thema Werte und Normen gehört haben?

      In einer konsumorientierten Welt wie der unsrigen scheint es die Norm zu sein, die Quelle des Glücks und den Sinn des Lebens in äußeren und materiellen Dingen zu suchen. Das würde so natürlich kaum jemand zugeben. Wenn wir in unseren Firmenseminaren die Leute fragen, was ihnen im Leben wirklich wichtig sei, so kommen »Familie«, »Freunde« und »Gesundheit« als häufigste Antworten. Doch sehen wir uns diese Antworten etwas genauer an. Bedenken wir einfach mal, dass trotz rückläufiger Zahlen ein Viertel aller unselbstständig Beschäftigten mit Vollzeitjob im Schnitt auf mehr als acht Überstunden pro Woche kommt.57 Oder dass freie Dienstnehmer im Mittel mehr als 45 Stunden pro Woche arbeiten und sich gleichzeitig die Mehrheit der in Teilzeit Beschäftigten eine Aufstockung ihrer Stunden wünscht.e

      Wenn wir dann noch hinzunehmen, dass wir jede Woche durchschnittlich acht bis zehn Stunden in Verkehrsmitteln verbringen, so stellt sich die Frage, wann denn bitte Zeit ist für die scheinbar so wichtigen Werte wie Familie oder Freunde.58 Weiterhin sei zum wiederholten Male gesagt, dass sich eine dauerhafte Überforderung in der Arbeit auch nicht mit dem Wert Gesundheit vereinbaren lässt. Belügen wir uns also selbst, wenn wir Familie, Freunde und Gesundheit als hohe Werte nennen? Nicht unbedingt. Doch unsere sozialen Normen wollen uns glauben machen, dass man seiner Familie etwas bieten muss, um geliebt zu werden, dass unsere Freunde unseren Status schätzen und dass unser Körper auch mit 50 noch so aussehen sollte, als hätten wir im Jungbrunnen gebadet. So rackern sich viele von uns Tag für Tag ab, für materielle Güter, Aussehen und Dienstleistungen. Und übersehen dabei, dass anstelle von »Familie, Freunde und Gesundheit« die Werte »Leistung und Status« das Steuer übernommen haben. Sie definieren ihr »gutes Leben« dann gern über ihren Besitz anstatt etwa darüber, wie sie sich fühlen oder wie sehr sie sich selbst verwirklichen können. Je mehr man hat, desto wertvoller ist man. Je mehr man leistet, desto mehr Anerkennung verdient man. Das sind nur ein paar unserer kollektiven Glaubenssätze. Erfolg wird noch immer im Außen gemessen, und so sind es vor allem die materiellen Güter, die den Grad des Erfolgs anzeigen sollen. Jede geschickte Werbekampagne greift auf diese sozialen Normen zurück und versucht uns einzureden: Sei jung! Sei schön! Sei erfolgreich!

      Wir Autoren sind immer wieder schockiert darüber, dass diese Strategie noch immer funktioniert, und es macht uns traurig, dass vor allem junge Menschen diesem Wahn oft anheimfallen: wie viele Menschen sich etwa bereits in jungen Jahren einer Schönheitsoperation unterziehen; wie viele sich hohe Kredite aufnehmen, nur um sich ein teures Auto leisten zu können; und wie viele es als ihr höchstes Ziel ansehen, um jeden Preis reich zu werden, ohne je einen Gedanken darüber zu verlieren, was wahres Glück für sie bedeuten könnte.

      Diese Entwicklung ist sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene sehr bedenklich. Wann werden wir endlich aufhören, diesen sogenannten »Idealbildern« hinterherzulaufen? Wann beginnen wir, zukunftsfähige Werte und Normen für uns zu etablieren und damit auch geistig in einem neuen Jahrhundert anzukommen?

      Wenn wir die Zukunft auf positive Weise gestalten wollen, so müssen wir uns über die Wirkung von sozialen Normen Gedanken machen. Es ist wichtig, individuelle wie kollektive Werthaltungen zu thematisieren, ihren Einfluss auf eine nachhaltige Entwicklung zu verstehen und letztlich Wege und Methoden zu finden, diese im Sinne der Zukunftsfähigkeit, Verantwortung und Lebensfreundlichkeit auf breiter Basis zu verändern. Nur wenn uns bewusst ist, wie uns Werte und Normen am Weg in eine zukunftsfähige Gesellschaft hindern bzw. fördern, können wir in Sachen Nachhaltigkeit auch wirklich etwas verändern.

      e Daten aus dem Jahr 2014.

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