Jana Zöller

Stolz ohne Vorurteil


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deutschen Hippies in den Siebzigerjahren nicht viel mehr als Müll dort hinterlassen haben, sehen es auch heute noch viele deutsche Inselbewohner nicht ein, die Sprache ihrer Wahlheimat zu lernen. Die ist in diesem Fall übrigens nicht Spanisch, sondern Mallorquinisch, was kein spanischer, sondern ein katalanischer Dialekt ist. Aber ob Spanisch oder Mallorquinisch: Durch die vielen deutschen Touristen kommen deutsche Inselbewohner auch mit ihrer Muttersprache zurecht und müssen daher für ihr eigenes Überleben weder Spanisch noch Mallorquinisch lernen.

      Auch ich habe selbstverständlich neben vielen positiven Erfahrungen mit Türken und türkischstämmigen Menschen überaus mäßige Erlebnisse gehabt, die durch die teilweise großen Unterschiede in den Kulturen zustande gekommen sind. Eine solche Erfahrung war zum Beispiel das Busfahren: Ich stehe als Erste an einer Bushaltestelle und warte auf den Bus. Eine Gruppe Türkischstämmiger mit zwei erwachsenen Frauen, vier Kindern und mindestens dreimal so vielen Plastiktüten kommt hinzu. Der Bus hält an, die Familie drängt mich beim Einstieg regelrecht zur Seite, betritt vor mir den Bus und setzt sich auf die einzigen noch freien Plätze. Eine absolute Unverschämtheit! Das habe ich damals so gesehen und finde es auch heute noch unmöglich. Aber ich verstehe jetzt zumindest ein bisschen, wo das Drängeln herkommt. Als ich für ein halbes Jahr in Istanbul gelebt habe, musste ich schnell einsehen, dass man mit höflichem Anstehen nicht sehr weit kommt. Wer an einem Bus (der schon bei der Ankunft fünfmal voller ist als ein Bus, den wir in Deutschland als voll bezeichnen würden) höflich ansteht, der fährt nicht mit – so einfach ist das. Wer es schafft, sich als Erstes hineinzuquetschen, der bekommt noch einen der letzten eigentlich schon nicht mehr vorhandenen Plätze. Genauso ist es auf dem Amt: Wer sich in eine Warteschlange stellt, der wird erleben, dass sich so viele andere vordrängeln, bis einem selbst gesagt wird, dass das Amt jetzt leider schließt und man nächste Woche wiederkommen solle. Oder übernächste. Das Vordrängeln mag eine für Deutsche höchst irritierende Art und Weise sein, aber in einer übervollen Stadt wie Istanbul ist das so lange gewachsen, dass es aus den Menschen nicht mehr herauszubekommen ist – selbst, wenn sie in Deutschland leben und im Bus nicht mehr kämpfen müssen.

      Unangenehm stößt mir zudem nach wie vor auf, wenn sich türkischstämmige Menschen in gewissen Situationen nicht so oft bedanken, wie ich das sonst gewohnt bin. Aber auch an dieser Stelle ist mir der Grund dafür beim offenbar höchst kulturell aufschlussreichen Busfahren in der Türkei klar geworden. Selbst in den vollgestopften Bussen herrscht eine ganz klare Hierarchie bei der Vergabe der Sitzplätze: erst alte Frauen und Schwangere, dann alte Männer und Kinder, dann die übrigen Frauen und erst dann (was vermutlich in den immer vollen Bussen niemals vorkommt) die restlichen Männer. Einer alten Frau den Sitzplatz anzubieten, hat in der Türkei nichts mit Höflichkeit zu tun, sondern ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Daher bedankt sich die alte Frau auch nicht dafür, dass man ihr Platz macht, sondern sie weiß einfach: Dieser Platz gehört mir, weil das hier so ist. Mittlerweile weiß ich also, dass es nichts mit Unhöflichkeit zu tun hat, wenn sich niemand aus diesem Kulturkreis bei mir bedankt, wenn ich nach einem harten Arbeitstag meinen Sitzplatz im Bus räume. Tatsächlich gilt es in der Türkei sogar als unhöflich, wenn man als nächster in der Sitzplatz-Reihenfolge das Angebot nicht annimmt. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, als einmal ein Platz entgegen der Fahrtrichtung frei wurde. Ich bekomme beim Fahrstil der türkischen Busfahrer sowieso schon beinahe einen Herzinfarkt und noch dazu wird mir – auch in Deutschland – beim Fahren entgegen der Fahrtrichtung schlecht. Also habe ich den angebotenen Platz mit einem »Nein, danke« abgelehnt, weil mein Türkisch für »Vielen lieben Dank, aber mir wird beim Fahren entgegen der Fahrtrichtung übel« nicht reichte. Dafür habe ich richtig böse Blicke geerntet, und man hat vehement darauf beharrt, dass ich mich setze. Habe ich natürlich gemacht – du kannst dir vorstellen, wie das ausgegangen ist. Kulturelle Unterschiede sind manchmal schwer zu überbrücken oder erfordern, wie in meinem Fall, schon mal eine mehr oder weniger große Opferbereitschaft. Ich denke, in manchen Bereichen kann man das trotzdem von Menschen erwarten, die sich für ein Leben in einem anderen Land entschieden haben. In anderen Fällen tun beide Seiten gut daran, aufeinander zuzugehen und zu akzeptieren, dass nicht alle Unterschiede überwundern werden können und auch nicht müssen.

      Man kann auch nicht behaupten, dass sich türkischstämmige Menschen gar nicht anpassen. Ich wähle mal ein ganz banales Beispiel: den Döner. So, wie wir ihn in Deutschland kennen, existiert er in der Türkei nicht. Wer in der Türkei einen Döner bestellt, bekommt nicht etwa ein gefülltes Fladenbrot, sondern ein Tellergericht serviert. Es besteht in der Regel aus dem Döner Kebab (»sich drehendes Grillfleisch«), einer Beilage wie Pommes oder Reis und Salat. In Deutschland wurde das Gericht den Geschmäckern und der Mitnehmkultur angepasst. Das Fladenbrot in seiner Ursprungsform gibt es in der Türkei nicht mal ganzjährig zu kaufen. Es ist nämlich das »Ramazan Pidesi« (Ramadan-Brot), und daher wird es in der Türkei nur in der Zeit des Fastenmonates flächendeckend in den Bäckereien angeboten. In Deutschland ist das Fladenbrot ganzjährig zu kaufen.

      Der dritte große und aus meiner Sicht besonders einflussreiche Grund für Differenzen zwischen Türkischstämmigen und »Deutschen« ist die Religion. Wenn man es einmal herunterbricht, ist das schon traurig: Einem Menschen, der an Gott glaubt (eine für ihn gute, friedliche, höhere Macht), wird deutlich vermittelt, dass er aufgrund seines Glaubens eine Gefahr für die deutsche Gesellschaft ist. Natürlich kommt diese Angst der »Deutschen« nicht von ungefähr. Jenseits von Rechtsradikalen haben sich die flächendeckenderen Vorbehalte gegen Muslime in Deutschland vor allem nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 in den USA ausgebreitet. Die Attentäter von New York haben, wie sie sagten, im Auftrag von Allah tausende Menschen umgebracht. Und das mitten in einer zivilisierten, modernen Gesellschaft. Danach war klar: Das kann uns in Deutschland auch passieren. Und wenn Muslime so etwas tun, dann sind sie gefährlich.

      Islamismus ist auch in Deutschland ein echtes Problem. Das lässt sich nicht kleinreden. Aber es ist wichtig, zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden. Im Vergleich zum islamischen Glauben ist Islamismus eine Form des politischen Extremismus. Muslime, die keine Islamisten sind – und das ist die absolut größte Mehrheit –, kritisieren diese genauso scharf wie andere Menschen auch. Und diese Muslime leiden am meisten unter den Islamisten: Sie können nicht nur genauso zu Opfern ihrer Gewalt werden, sondern es wird auch ihr Ansehen auf der ganzen Welt beschädigt. Ein Islamist ist aus der Sicht »normaler« Muslime kein Moslem, sondern jemand, der den Islam missbraucht, um seine politischen Ziele durchzusetzen. Das ist ein bisschen so wie im Fußball: Es gibt eine große Anzahl von »Ultras«, die vom Spiel selbst nichts mitbekommen, sondern die Sportveranstaltung nur dazu nutzen, Gewalt auszuleben. Aber niemand käme deswegen auf die Idee zu sagen, dass alle Fußballfans Schlägertypen sind.

      Gewalttätige Menschen mit verqueren Ansichten gibt es überall. Dabei ist es egal, welche Gruppe sich radikalisiert. Denn ob es jetzt Islamisten, rechts- oder linksradikale Deutsche sind: Radikale Menschen sind gefährlich für unsere Gesellschaft, und dagegen muss etwas unternommen werden. Aber alle Menschen islamischen Glaubens über einen Kamm zu scheren und davon auszugehen, dass ihr Glaube sie grundsätzlich zu Gotteskriegern macht, ist in etwa so zutreffend, wie alle Katholiken als Kreuzritter zu bezeichnen, nur weil im 13. Jahrhundert zahlreiche Katholiken zahlreiche Araber umgebracht haben.

      Ich glaube, die größte Angst vieler »Deutscher« ist, dass irgendwann von der eigenen Kultur (die stark durch christliche Werte geprägt ist) nichts mehr übrigbleibt und »der Islam« übernimmt. Mal ganz abgesehen davon, dass viele christliche und muslimische Werte gleich sind – zum Beispiel ein respektvoller Umgang miteinander oder Solidarität mit Ärmeren: Wie realistisch ist es, dass sich der Islam weiter in Deutschland ausbreitet? Fakt ist: Die Zahl der Muslime in Deutschland wird in den kommenden Jahren deutlich steigen. Das liegt zum einen daran, dass viele Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, Muslime sind. Zum anderen ist die Geburtenrate bei hier lebenden Muslimen viel höher. Das kommt wiederum auch daher, dass Familie bei den meisten praktizierenden Gläubigen (völlig egal, ob Christen oder Muslime) noch einen höheren Stellenwert einnimmt und Familien mit mehr als einem Kind eher üblich