Jana Zöller

Stolz ohne Vorurteil


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und lebendiger.

      In Bezug auf die Angst, dass Deutschland fest in muslimische Hände geraten könnte, wirkt aus meiner Sicht auf viele Nicht-Muslime einschüchternd, mit welcher Selbstverständlichkeit der Islam gelebt wird. Während die christlichen Kirchen in Deutschland zunehmend um ihre Mitglieder fürchten müssen und sich gerade junge Leute immer weniger von der Kirche angesprochen fühlen, ist der Glaube für viele Muslime – ob jung oder alt – fester Bestandteil ihres Alltags.

      Die Frage ist aber, wie »schlimm« das ist, dass diese Menschen nun mal einen muslimischen Glauben haben. Denn wirklich gefährlich wird ja nur, wer sich radikalisiert oder versucht, einen andersgläubigen Menschen mit Nachdruck zu bekehren. Natürlich gibt es diese Gläubigen auch, aber nicht jeder will uns dazu zwingen, Moslem zu werden oder eine Moschee mit zehn Minaretten vor die Tür setzen (zwei bis vier reichen sicher auch). Genauso wenig, wie alle Christen in Deutschland Missionare sind (auch nicht die streng katholischen), sind alle Moslems davon besessen, Andersgläubigen den Islam überzustülpen.

      Ich habe einmal mit einer Freundin die türkische Stadt Bursa besucht. Wir blieben beim Ruf des Muezzins zum Gebet vor einer großen Moschee stehen und wurden von einer Frau mittleren Alters angesprochen. Sie fragte uns, ob wir mit in die Moschee kommen wollten, um uns das einmal anzusehen. Wir hatten angenommen (warum auch immer), dass Muslime beim Gebet unter sich sein wollen. Da wir noch nie bei einem Gebet dabei waren, freuten wir uns über das Angebot. Die Frau nahm uns mit in die Waschräume, zeigte uns genau, wie man sich vor dem Gebet zu waschen hatte. Als wir in die Moschee kamen, waren wir erst einmal sehr überrascht, dass Männer und Frauen zusammen in dem großen Raum beteten. Wir kannten bisher nur das Klischee, dass Frauen in einen gesonderten Bereich »abgeschoben« werden würden. Doch hier standen alle zusammen. Danach unterhielten wir uns noch kurz mit der Frau, aber sie hat nicht mit einem Satz versucht, uns irgendwie zu bekehren. Sie war einfach stolz, uns zeigen zu können, woran sie glaubt.

      Was das Getrenntbeten angeht, ist es natürlich trotzdem in vielen Moscheen so, dass Männer im Hauptraum beten und Frauen entweder auf einer höheren Etage oder hinter einer Abtrennung. Dass aber auch das nicht alle muslimischen Frauen als Unterdrückung empfinden, hat mir eine Muslima in der Kölner Zentralmoschee erzählt. Im Islam wird sehr körperbetont gebetet – wie ich beim Gebet in der Moschee in Bursa selbst erfahren habe. Da macht man mehr Sport als in manchem YouTube-Yoga-Tutorial. Das heißt, die Gläubigen gehen dabei zum Beispiel auf die Knie und legen den Oberkörper ab, bis der Kopf die Knie berührt. Dabei strecken sie, so gesehen, manchmal ihrem Hintermann den Allerwertesten ins Gesicht. Die Muslima in Köln sagte mir, dass viele Frauen es deswegen angenehmer fänden, an einem getrennten Ort zu beten.

      Noch ein anderes großes Thema beschäftigt »die Deutschen« sehr: das Kopftuch. Es gilt für viele als Symbol der Unterdrückung muslimischer Frauen, denn sie können sich nicht vorstellen, warum sich jemand freiwillig zu einer so starken optischen Veränderung entscheidet. Dabei habe ich drei Frauen kennengelernt, die sich ganz bewusst und ohne, dass jemand es ihnen vorgeschrieben hätte, dafür entschieden haben.

      Eine von ihnen ist Betül. Ich habe sie im Türkischsprachkurs kennengelernt. Ihre Eltern sind Kurden, und die Familie ist aus der Türkei nach Deutschland geflohen, als Betül noch ein kleines Kind war. Zu Beginn des Sprachkurses konnte Betül bereits fließend Türkisch, wollte aber ihre schriftlichen Sprachkenntnisse auffrischen und vermutlich auch auf einfachem Weg an einen Leistungsnachweis kommen. Die junge Frau hat mir erzählt, dass ihre Mutter zwar ein Kopftuch trägt, aber immer sehr dagegen war, dass Betül ebenfalls ihren Kopf bedeckt, denn sie wusste um die schlechteren Aufstiegschancen ihrer Tochter mit Kopftuch. Bis zum Beginn ihres Studiums trug Betül tatsächlich auch keines. Aber dann lernte sie ihren Freund und später Verlobten kennen. Auch er hat Betül nie darum gebeten, ein Kopftuch zu tragen. Sie selbst hat sich aber dafür entschieden, »ihre ganze Schönheit« nur ihrem Mann zu zeigen. Ich stelle mir das so vor wie bei Frauen, die keinen Sex vor der Ehe haben wollen. Das ist zwar in beiden Fällen eine sehr besondere Entscheidung, aber zumindest im Fall von Betül eine, die ihr nicht von außen aufgedrängt wurde, sondern zu der sie sich selbst bewusst entschieden hat. Und sie hatte den Vergleich, da sie schließlich ihre ganze Jugend ohne Kopftuch gelebt hat.

      Die zweite Frau ist Ayşe. Sie hat mich besonders beeindruckt, weil ich im Gespräch mit ihr innerhalb von wenigen Minuten viele meiner eigenen Vorurteile über Bord werfen konnte. Ich habe Ayşe im Transferbus vom Istanbuler Flughafen in die Stadt kennengelernt, als ich gerade mein Auslandssemester begonnen hatte. Sie setzte sich neben mich und lächelte mir freundlich zu – das haben zumindest ihre Augen verraten, denn mehr konnte ich von ihrem Gesicht nicht sehen. Sie trug einen Niqab, war also komplett bis auf die Augen in schwarz verschleiert. Als ich sie in meinem bröckeligen Türkisch fragte, wie viel die Busfahrt kosten würde, antwortete sie mir in perfektem Deutsch mit einem stark österreichischen Akzent. Ich will gar nicht wissen, wie entgeistert ich sie in dem Moment angesehen habe. Entgegen meiner eigenen Vorurteile war diese junge Frau aus Österreich sehr aufgeschlossen. Sie war erst achtzehn Jahre alt und vor drei Jahre aus Österreich weggegangen, um in Istanbul eine Ausbildung zur Arabischlehrerin zu machen. Sie sagte, sie sei mit Minirock und Piercing gekommen und habe sich dann aber in der Schule irgendwann komplett verschleiert – freiwillig. Sie meinte, sie hätte sich damit einfach wohler gefühlt. Im Minirock sei es immer so viel um Optisches gegangen und darum, auf sich aufmerksam zu machen. Wenn sie jetzt Männer wie Frauen kennenlernt, würden sich Gespräche auf einer anderen Ebene abspielen und es ginge mehr um die inneren Werte.

      Die dritte Frau ist Nadja. Ich habe sie während eines Drehs für ein Filmprojekt kennengelernt. Sie hat mir erzählt, dass sie das Kopftuch trägt, um ihren Glauben nach außen zu zeigen – so wie viele Christen eine Kette mit einem Kreuz um den Hals tragen. Neben Frauen wie Nadja, die das Kopftuch ganz bewusst als Zeichen ihrer Religion tragen, gibt es auch viele, die diesen Brauch erstmal gar nicht hinterfragen. Sie machen es, weil man das als Muslima halt so macht, das gehört einfach dazu. Das ist vergleichbar damit, dass viele Christen gar nicht mehr wissen, weshalb Weihnachten gefeiert wird. Sie gehen dann trotzdem in die Kirche, weil man das eben so macht. Ähnliches gilt für die Hochzeit in Weiß oder andere Feiertage: Obwohl vermutlich ein Großteil der Deutschen nicht weiß, was der Hintergrund von Pfingsten oder Fronleichnam ist, schaffen wir diese Feiertage nicht ab. Klar, ein Kopftuch zu tragen, ist eine Entscheidung, die den Alltag und auch das eigene Aussehen verändert. Aber ich finde es erstaunlich, dass sich die Deutschen so sehr über das Tragen von Kopftüchern bei Musliminnen aufregen, aber es niemanden zu stören scheint, dass auch Nonnen Kopfbedeckungen tragen. Bei Letzteren ist das ein Zeichen, um ihre Zugehörigkeit zu einer Ordensgemeinschaft zu signalisieren und deutlich zu machen, dass ihre Individualität nicht so bedeutend ist wie die Gemeinschaft. Eine Nonne würde jeder Deutsche als harmlosen, ja sogar besonders friedlichen Menschen bezeichnen. Eine muslimische Frau mit Kopftuch ist hingegen bedrohlich oder mindestens unterdrückt.

      Es gibt mit Sicherheit zahlreiche unterdrückte Musliminnen, bestimmt auch in Deutschland. Aber sich anzumaßen, aufgrund von Kopftüchern oder getrennt sitzenden Gläubigen in der Moschee ein Urteil darüber fällen zu können, ob türkische Frauen und Männer eine gleichberechtigte Beziehung führen, ist absolut unangemessen. Die meisten türkischstämmigen Frauen in Deutschland sind keine unmündigen Wesen, die sich von ihren Männern unterdrücken lassen. Im Gegenteil: Ich habe schon oft mitbekommen, dass sie es sind, die zu Hause »die Hosen« anhaben. Besonders die hier geborenen Frauen wissen, dass sie in Deutschland auch eine andere Wahl hätten, selbst wenn sie sich manchmal durch familiäre Strukturen unter Druck gesetzt fühlen. Und ganz ehrlich: Wie viel Gleichberechtigung gibt es denn in den christlichen Kirchen? Besonders die katholische ist davon meilenweit entfernt. Tatsächlich saßen vor gar nicht allzu langer Zeit auch hier noch Männer und Frauen getrennt voneinander in der Kirche. Mein Vater hat das noch erlebt.

      Gleichberechtigung ist nicht nur in der deutschen Gesellschaft ein wichtiger und erstrebenswerter Zustand. Und die religiösen Gemeinschaften, egal welcher Ausprägung, müssen sich zwangsläufig damit auseinandersetzen. Das machen sie auch. Aber so wie Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, lassen sich diese über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen nicht einfach umwerfen. Die Mühlen mahlen langsam, sicher auch zu langsam,