Klaus-Jürgen Bremm

1866


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kein Brechen, wie Klaus Hildebrand betonte.7 Und überdies: Hätten die Deutschen auf ihren Nationalstaat verzichten sollen, nur weil dieser den Neid und den Revisionismus einiger Mächte hervorrief? Einzig linke Historiker mögen dies als eine echte Option betrachten. Sie verkennen in ihrer grundsätzlichen Ablehnung alles Nationalen aber auch gern, dass der Nationalstaat bis heute die einzige politische Organisationsform geblieben ist, die es wenigstens im atlantischen Raum geschafft hat, halbwegs stabile und ausgewogene Sozialordnungen hervorzubringen und mit demokratischen Mitteln zu bewahren. Ob dies auch der Europäischen Union mit ihrer von Krisen geschüttelten Währung gelingen wird, steht noch in den Sternen.

      Der Krieg von 1866 hat fraglos die mitteleuropäische Staatenwelt revolutioniert und das Wiener System von 1815 begraben. Es erweist sich aber bis heute als überaus schwierig, den kampferfüllten sieben Wochen des Jahres 1866 überhaupt einen zutreffenden Namen zu geben. War es der Krieg Preußens gegen Österreich, von dem auch noch die meisten Nachschlagewerke im Kaiserreich sprachen?8 Politisch wäre das zutreffend, da der Krieg von 1866 in der Hauptsache den preußisch-österreichischen Dualismus, vom Potsdamer Autokraten Friedrich II. einst mit der Besetzung Schlesiens eröffnet, endgültig zugunsten des Hohenzollernstaates entschieden hat. Ein „Preußisch-Österreichischer Krieg“ würde aber der Mitwirkung der deutschen Staaten und vor allem Italiens nicht gerecht, selbst wenn die militärische Bilanz dieser Verbündeten 1866 nicht gerade beeindruckend ausfiel.

      Auch die häufig verwendete Rede vom „Deutschen Krieg“ schließt das italienische Risorgimento vollkommen aus und müsste auch einräumen, dass die militärische Entscheidung in Böhmen, einem überwiegend von Nichtdeutschen bewohnten Gebiet, gefallen ist. Eine derartige Etikettierung würde zudem übersehen, dass auch in den österreichischen Regimentern Italiener, Kroaten oder Rumänen kämpften. Bei Nachod fochten am 27. Juni 1866 sogar auf beiden Seiten Polen unter fremder Fahne gegeneinander. Auch war der siebenwöchige Waffengang von 1866 nicht wirklich ein Einigungskrieg, denn immerhin schieden nach dem Sieg Preußens fast zehn Mio. Deutsch-Österreicher keineswegs begeistert aus dem jahrhundertealten Verbund der deutschen Nation aus. Der kleindeutsche Nationalstaat kam nur um den Preis einer schmerzlichen Trennung zustande, wie es Thomas Nipperdey einmal treffend formuliert hat.9

      Inzwischen findet sich in aktuellen Darstellungen auch die Bezeichnung „Deutscher Bruderkrieg“.10 Tatsächlich sprachen im Vorfeld des Krieges viele Gebildete wie etwa der Bonner Rechtsprofessor Clemens Theodor Perthes, der in engem Briefkontakt zum preußischen Kriegsminister Albrecht von Roon gestanden hat, von einem Krieg, der die Feindschaft mitten in die Familien hineintragen würde.11 Doch derartige Bedenken schienen eher ein Oberschichtenphänomen gewesen zu sein und wohl auch nur auf Preußen beschränkt. Die Frankfurter etwa sahen auch schon vor ihrer Besetzung in den Preußen nicht etwa die deutschen Brüder, sondern schlicht harte und unerbittliche Gegner. Für die Soldaten aller Armeen wiederum blieb der feindliche Soldat einfach nur der Widersacher, der einem unter Umständen ans Leder wollte. Gewiss eine extreme Ausnahme war der bayerische Jäger, der in einem Kissinger Hotelzimmer hoffnungslos von Angreifern umstellt, jeden „preußischen Pardon“ ablehnte und sich lieber totstechen lassen wollte, was dann auch geschah.12 Doch auch die Soldaten der Division „Goeben“ freuten sich bei Aschaffenburg, dass sie nun Gelegenheit hatten, nach den Bayern und Hessen auch noch die Österreicher zu prügeln.13 Der Nationalismus war 1866 fraglos noch ein Anliegen der gebildeten Schichten. Gerade Soldaten aus ländlichen Räumen, die es gewohnt waren, sich mit den jungen Leuten der Nachbarorte bei jeder Gelegenheit zu raufen, auch unter Inkaufnahme böser Verletzungen, konnten mit der Idee eines einigen deutschen Volkes wenig anfangen. Entscheidend für sie war stets die Primärgruppe, das Dorf, die Handwerksgemeinschaft und schließlich im Krieg die eigene Korporalschaft.14 Die 5700 Patronen, die preußische Füsiliere am 26. Juni im Gefecht bei Podol innerhalb kürzester Frist verbrauchten, waren längst nicht alle in die Luft geschossen worden.15

      Der Krieg von 1866 war somit allenfalls im Rückblick ein Bruderkrieg. Vor allem aber schien er Bismarcks Krieg gewesen zu sein. Damit ist allerdings keine vordergründige Kriegsschuldzuweisung verknüpft, wie sie damals viele Zeitgenossen in einer Art von gerechtem Zorn vornahmen. Mit einer „solchen Schamlosigkeit und Frivolität“ sei „vielleicht noch nie ein Krieg angezettelt worden wie der, den Bismarck gegen Österreich zu erheben sucht“, schrieb etwa der Rechtsprofessor Rudolf von Jherings am 1. Mai 1866 aus Wien16 und stand mit seiner Ansicht bei Weitem nicht allein.

      Seit seiner Zeit als Preußischer Gesandter am Frankfurter Bundestag hatte Bismarck die militärische Konfrontation gegen Österreich herbeigeredet, hatte es in seiner Korrespondenz gegenüber beinahe jedem in vielen Varianten immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass Preußen und Österreich in Deutschland einander die Luft zum Atmen wegnähmen und „einer […] weichen oder vom anderen gewichen werden“ müsse.17 Nicht noch einmal dürfe Preußen eine Demütigung wie die von Olmütz hinnehmen, als im November 1850 Österreich seinen norddeutschen Rivalen mit militärischem Druck und der Hilfe Russlands dazu gezwungen hatte, seine kleindeutsche Unionspolitik aufzugeben und der Wiedererrichtung des Frankfurter Bundestages zuzustimmen. Bismarcks Weg in den Krieg von 1866 verlief allerdings nie gradlinig. Er war Staatsmann genug, ernsthaft auch friedliche Optionen mit Habsburg auszuloten, sofern nur Preußens Status als Großmacht und seine dominierende Rolle in Norddeutschland gesichert war. Die Ausdehnung preußischer Macht war das primäre Ziel des Urpreußen Bismarck und Habsburg musste – so oder so – dazu gebracht werden, Preußens neue Rolle zu akzeptieren. Nur wenige sahen die Rivalität zwischen Preußen und Österreich mit dieser kristallklaren Nüchternheit. Sein kritischer Realismus versetzte ihn in die Lage, Machtverhältnisse unabhängig von ideo logischen Bindungen zu analysieren, zu durchschauen und ständig im Fluss zu halten. Der Gegner von gestern konnte der Alliierte von morgen sein, selbst mit Österreich schloss er 1864 ein Bündnis gegen Dänemark und brüskierte damit die gesamte deutsche Nationalbewegung. Bismarck war gewiss nicht der Magier, der alle diese Kräfte wirklich kontrollierte, aber er verstand sie zu nutzen, kombinierte sie oder spielte sie gegeneinander aus und dies mit einer titanenhaften Kraft, die keinen Augenblick ihren Kurs aus dem Auge verlor. Doch auch wenn Bismarck spätestens seit der Kronratssitzung vom 29. Februar 1866 den Krieg gegen Habsburg energisch vorantrieb und alle erdenklichen Kräfte mobilisierte, war es ihm am Ende doch nicht gelungen, den ihn umgebenden Ring aus Isolierung und Feindseligkeit zu durchbrechen.18 Es brauchte Mut, ja vielleicht sogar Verzweiflung, unter diesen Bedingungen seinen Hut in den Ring zu werfen. Bismarck tat es, indem er am 7. Juni Holstein besetzen ließ und damit die Lunte zum Waffengang mit Österreich und seinen Verbündeten zündete. Ein „neues Olmütz“ durfte es nicht geben. Der Krieg von 1866 war in diesem tieferen Sinn tatsächlich sein Krieg.

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