wurde vom betrunkenen Bruder von Peter Criss auch noch angekotzt. So eine häufig kolportierte Version der Geschichte. Die Band hörte daraufhin nie wieder ein Wort von Epic. Criss, Simmons und Stanley komplettierten ihr Line-Up mit dem Gitarristen Ace Frehley, benannten sich in KISS um und wurden schnell zur erfolgreichen Gelddruckmaschine. Einige ihrer Wicked-Lester-Songs nahmen sie sogar neu auf. So z. B. »Sunday Driver«, das unter dem Titel »Let Me Know« auf ihrem Debütalbum zu hören ist. Auf »Dressed to Kill« (1975) greifen Stanley und Simmons wiederum auf die Stücke »Love Her All I Can« und »She« zurück.
Mit dem Erfolg von KISS erinnerten sich Geschäftsmänner bei Epics Schwesternlabel Columbia wieder an Wicked Lester und den kleinen Schatz, den sie in ihrem Giftschrank liegen hatten. Um an dem Erfolg der Band mitzuverdienen, sollte das geschasste Debüt 1977 doch noch erscheinen. Ron Johnson mischte die zehn Stücke neu ab, zur Veröffentlichung kam es dennoch nie.
Neil Bogart, Präsident von Casablanca Records, bei denen KISS unter Vertrag standen, kaufte in Absprache mit der Band die Bänder, um sie verschwinden zu lassen. So bleibt dieses Frühwerk weiterhin in den Tiefen der Archive.
Ebenfalls an der Nachfrage scheiterte DAVE DAVIES. 1967 wollten Pye Records, die damals die KINKS betreuten, den Leadsänger als Solokünstler aufbauen und brachten den Song »Death of a Clown« als Solosingle heraus. Dabei war das Stück ein Kinks-Song, geschrieben von Ray Davies und mit der gesamten Band eingespielt. Daher ist der Song auf dem im selben Jahr erschienenen Kinks-Album »Something Else« ebenfalls zu finden. Für Pye war die Single, die den zweiten Platz der britischen Charts erreichte, jedoch ein voller Erfolg. Im November erschien daher mit »Susannah’s Still Alive« abermals ein Kinks-Song als Dave-Davies- Solo-Single. Da die Verkäufe dieses Mal enttäuschend waren, legte Pye die Idee eines ganzen Soloalbums vorerst auf Eis. Weitere Singles sollten zeigen, ob die Fans wirklich Interesse an einer solchen Platte haben würden. Dies war nicht ungewöhnlich für Pye Records, die viel mehr an Singleverkäufen interessiert waren als an Alben. Aufgrund eines Interviews mit Davies bekam das in Planung befindliche Album 1968 sogar einen launischen Titel: »A Hole in the Socks of Dave Davies«.
Im August 1968 erschien mit »Lincoln County« ein weiterer Flop. Als letzter Appetithappen für die LP kam dann im Januar 1969 »Hold My Hand« heraus. Aufgrund der geringen Resonanz wurde das Projekt Solokarriere abgeblasen. Nicht unwahrscheinlich, dass der gleichzeitige Misserfolg der Kinks keine unwesentliche Rolle bei der Entscheidung für Pye Records spielte, denn auch diese hatten mit schlechten Verkäufen zu kämpfen.
Kommerzialität ist der häufigste Grund, warum ein Label sich gegen seine Künstler*innen entscheidet. 1991 musste selbst ein Major-Artist wie ADAM ANT ein komplett fertiges Album hinter sich lassen. Sicherlich waren bei der für MCA eingespielten Platte »Persuasion« mehrere Faktoren entscheidend, doch die schlechten Verkäufe des Vorgängers »Manners & Physique« dürften eine wesentliche Rolle gespielt haben. Nach der Übernahme durch die japanische Firma Matsushita Electric wurden alle Künstler*innen aus ihren Verträgen entlassen, deren letztes Album keinen Gold-Status erreichte. Damit ließ MCA auch Ant fallen. Besonders bitter für Ant war allerdings, dass das Label die Masterbänder des bereits aufgenommenen Albums nicht rausrücken wollte und sich kein Label fand, das eine Ablöse zahlen wollte. Dabei wurde sogar eine ganze Tour geplant, um »Persuasion« zu promoten. Ant selbst bezeichnete das Album als eines der besten, das er seit langer Zeit aufgenommen hatte: eine tanzbare Rock-Pop-Platte mit expliziten, sexuell aufgeladenen Texten. Das Album, an dem Ant mit Bernard Edwards von Chic sowie Larry Blackmon von Cameo arbeitete, bleibt dennoch bis dato unveröffentlicht.
Auch bei den BEE GEES war es der Misserfolg des Vorgängeralbums, der die Veröffentlichung einer weiteren Platte verhinderte. »Life in a Tin Can« von 1973 brachte lediglich eine Single hervor, die gerade mal Platz 94 in den US-Charts erreichte. Robert Stigwood, Chef von RSO Records und gleichzeitig Manager der Band, lehnte den Nachfolger mit dem wunderschönen Titel »A Kick in the Head Is Worth Eight in the Pants« ab, nachdem die Vorabsingle »Wouldn’t I Be Someone« floppte. Einige der aufgenommen Songs schafften es dann immerhin auf spätere Single-B-Seiten.
Ganze zehn Jahre wiederum versuchte die Sängerin JOJO ihr drittes Album zu veröffentlichen. Mit 13 Jahren war sie die jüngste Solokünstlerin mit einer No. 1 Single in den US-Charts, doch nach ihrem zweiten Album im Alter von 16 Jahren wurde es still um sie. Drei verschiedene Fassungen spielte sie von ihrem dritten Album »All I Want Is Everything« ein, doch ihr Label Da Family Entertainment weigerte sich immer wieder, es zu veröffentlichen und verschob den Release-Termin so oft, dass JoJo letztendlich klagte, um aus dem Vertrag entlassen zu werden. Aber auch bei ihrem nächsten Label Blackground Records erschien das Album – nun unter dem Titel »Jumping Trains« – nicht. Vielmehr noch, das Label reagierte irgendwann gar nicht mehr auf die Anfragen der Sängerin, die daraufhin wieder Klage einreichte. Label und Künstlerin einigten sich außergerichtlich und JoJo wurde abermals aus ihrem Vertrag entlassen. Durch all die Rechtsstreite mit ihren Labels konnte sie erst zehn Jahre nach ihrem zweiten Album ihr drittes Werk veröffentlichen.
Letztendlich trifft die Frage nach dem Hit meist größere Stars. Eben dort, wo große Marketingbudgets und Kosten wieder eingespielt werden müssen. Da ist es mitunter billiger, bereits fertig aufgenommene Werke komplett zu verwerfen, statt Mitarbeiter*innen der Plattenfirma mit Promotion, Tourplanung, Videodrehs und weiteren kostspieligen Aktionen zu beschäftigen.
Mitunter ist es aber auch der massive künstlerische Output, der dem Label ein Dorn im Auge ist. Schließlich ist es finanziell nicht zuträglich, wenn der Fan eine*r Künstler*in sich zwischen zwei Alben entscheiden muss, die zeitnah erschienen. PRINCE konnte davon nicht nur Lieder singen, sondern ganze Alben (nicht) veröffentlichen. Dazu aber an anderer Stelle mehr. Auch FRANK ZAPPA musste viel Material für sich behalten. Als er dem Rolling Stone 1968 von seiner 3-LP-Box »No Commercial Potential« erzählte, hätte man seine Ausführung zur Box für einen Witz halten können. Allerdings erschienen einige der beschriebenen Songs später tatsächlich: zum einen auf dem Mothers-of-Invention-Album »Cruising with Ruben & the Jets« und zum anderen als Doppel-LP unter dem Titel »Uncle Meat«, die gleichzeitig Soundtrack zu einem gleichnamigen Film war, der allerdings erst 1987 in unvollendeter Form veröffentlicht wurde. Zappa äußerte sich laut seinem Biografen Barry Miles zu »Ruben & the Jets« sowie »Uncle Meat« wie folgt:
»Es ist alles ein einziges Album. Das komplette Material aller Alben hat einen inneren Zusammenhang, und wenn ich sämtliche Masterbänder hätte und sie mit einer Rasierklinge auseinanderschneiden und neu montieren würde, dann würde das wieder ein komplettes Stück hörenswerter Musik ergeben. […] Das Material hat definitiv einen Zusammenhang.«
1976 unterschrieb Zappa zudem einen Vertrag mit Mercury-Phonogram für eine 4-LP-Box namens »Läther«. Doch er hatte noch eine vertragliche Verpflichtung mit Warner Bros. einzulösen. In einem Rutsch lieferte er vier LPs an das von ihm verhasste Label. Doch keine der Platten wurde von Warner bezahlt und lediglich das Album »Zappa in New York« wurde zur Veröffentlichung angekündigt. Also stellte Zappa dann für Mercury seine legendäre 4-LP-Box »Läther« zusammen. Wohlgemerkt zu großen Stücken aus dem Material, das er zuvor Warner Bros. zur Erfüllung seines Vertrags lieferte. 300 Testpressungen ließ das Label herstellen, bis Warner Bros. dem Ganzen einen Riegel vorschob, da sie schließlich die Rechte besaßen und Teile der Box identisch mit dem angekündigten Album »Zappa in New York« waren. Da Zappa weder bezahlt worden war, noch eines seiner vier zuletzt abgelieferten Alben bis dato veröffentlicht wurde, ging er davon aus, dass Warner auf seine Option verzichtete und die Rechte an dem Material damit wieder an ihn zurückfallen würden. Letztendlich verhinderte dieser Irrtum aber ein ambitioniertes Werk. Ob die 1996 postum veröffentlichte Version von »Läther« der Vision Zappas entspricht, wird bis heute hart debattiert. So fehlt bei der CD u. a. der Song »Baby Snakes« und die Reihenfolge der Stücke soll ebenfalls von Zappas geplanter Abfolge abweichen. Andererseits stimmt das Tracklisting mit dem der Testpressung von Mercury überein.
Letztendlich reden wir bei aller Kunst hier von einem Geschäft.