Petra Wagner

Die weise Schlange


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auf Merdin. Dieser wedelte ungeduldig mit der Hand in Richtung zweier Fuhrwerke, die mit Stroh-, Heuballen und Fässern beladen am Flussufer warteten. Sofort sprangen etliche Träger herbei, die bis jetzt im Schatten einer Weide herumgelungert hatten.

      Nun wusste der Kapitän auch wieder, was zu tun war. Er eilte über das Deck seines Schiffes, um den Männern eine gute Stelle für den provisorischen Pferdepferch zu zeigen. Abrupt blieb er stehen und geriet schon wieder ins Wanken.

      Viviane war längst dort. Sie stand genau an der richtigen Stelle und deutete gebieterisch auf die Planken. Sie bestimmte, in welchem Abstand die Ballen und Fässer aufgestellt wurden. Sie bestimmte, welches Stroh aufgeschüttet und welcher Deckel geöffnet wurde. Sie führte ihre kleine Stute höchstpersönlich in den provisorischen Pferch und legte ihr Heu vor. Wahrscheinlich hätte sie ihr auch noch den prächtigen Sattel abgenommen, wenn sich nicht eine Hand auf ihren wohlgeformten Arm gelegt hätte.

      Als wäre er gerade aus tiefem Schlaf erwacht, starrte der Kapitän von der Hand des Zenturios zu Vivianes Schmollmund hinauf und krächzte: „Schönste aller Römerinnen! Darf ich dir das Zelt zeigen?!“

      „Das Zelt? Selbstverständlich. Sehr gerne.“

      „Wunderbar“, jauchzte der Kapitän und war schon drauf und dran, Viviane von ihrer Stute wegzuziehen, bis ihm einfiel, dass seine Finger an ihr nichts zu suchen hatten. Zu seinem größten Vergnügen kam Viviane freiwillig an seine Seite, ja, sie rückte so dicht auf, dass er glückselig frohlockte: „Ich habe es am Heck aufgestellt. Windgeschützt, weitab von jeglicher Dekadenz, ich meine, jeglicher Unannehmlichkeit. Was ich damit sagen will …“

      Er wurde leicht verlegen und flüsterte: „Ich muss dich darum bitten, dortzubleiben, das wird dir die Reise sehr erleichtern. Es ist alles den Umständen entsprechend bequem und sauber, ja geradezu klinisch rein, und für die anfallenden Arbeiten, oh Schönste …“

      Vivianes Hand, die seinen Arm tätschelte, ließ ihn vergessen, dass er der Schönsten ein paar Sklavinnen ausleihen wollte, sogar kostenlos.

      „Davon gehe ich aus“, gurrte ihm Viviane ins Ohr. „Mach dir keine Sorgen um mich, du flotter Seemann. Ich werde bestimmt zurechtkommen. Außerdem habe ich noch meinen teuersten Bruder.“ Glucksend hakte sie sich bei dem flotten Seemann unter und zog ihn fest an ihre Seite.

      „Ja“, jauchzte der Kapitän und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Der Gute kümmert sich um den Rest.“

      Es dauerte gar nicht lange und Viviane stand allein auf dem Deck. Die gesamte Schiffsbesatzung war unten bei den Sklavinnen, inklusive Merdin.

      Viviane gestattete sich ein grimmiges Lächeln.

      Der Kapitän war ganz begeistert gewesen, als Merdin seinen Fuß auf ein kleines Weinfässchen gestellt, einen prall gefüllten Münzbeutel gezückt und verkündet hatte, nun wolle er den wackeren Seeleuten etwas Gutes tun und sich auch selbst ein wenig Vergnügen gönnen. Es dürfe gerne auch etwas mehr sein, wenn er verstehe.

      Und wie der Kapitän verstanden hatte. Man konnte förmlich sehen, wie er die Preise für Vergnügungen aller Art ausrechnete und nebenbei einen Becher Wein nach dem anderen in seinen gierigen Schlund kippte. Er konnte Merdin gar nicht schnell genug die Leiter abwärts komplimentieren.

      Mit gelangweilter Miene schlenderte Viviane über das Deck hinüber zu den Pferden. Da sich niemand in Hörweite befand, hätte sie nun in gewohnter Weise auf die Tiere einreden können, doch zur Sicherheit tat sie es in der Sprache der Latiner. Dina und Arion verstanden sie trotzdem.

      Ruhig fraßen sie ihr ein paar kleine Äpfel aus den Händen und steckten ihre Köpfe danach in den Berg Heu, den sie ihnen aufgeschüttet hatte. Doch kaum schlitzte Viviane die Stricke der anderen Heuballen auf, hörten sie beide auf zu fressen und schauten ihr interessiert zu. Arion rupfte sich ein Stück vom nächstbesten Ballen ab.

      Viviane wollte ihn schon wegen seiner Gefräßigkeit rügen, doch er hatte so ein seltsames Funkeln in den Augen, sodass sie ihm stattdessen zuzwinkerte. Als sie den ersten Deckel an den Wasserfässern anhob und Arion ihr einen sanften Nasenstüber in den Rücken verpasste, hätte sie beinahe laut gelacht. Das konnte sie sich natürlich nicht leisten, daher zwang sie sich, über Holzfässer nachzudenken. Wer auch immer diese erfunden hatte, dem konnte sie gar nicht genug danken. Denn die Einstiegsöffnung, durch die man normalerweise ins Fass kletterte, um es zu säubern, bot auch genug Platz für einen Drachenkrieger mit Gepäck.

      „Wartet auf mein Zeichen“, flüsterte sie, während sie den letzten Deckel kaum merklich schräg auf seinem Fass platzierte, und das dumpfe Grollen aus dem Inneren brachte sie zum Schmunzeln. Fast hätte sie dieser Rettungsmission eine lustige Seite abgewinnen können, doch das Lächeln rutschte ihr aus dem Gesicht, als unter Deck ein lautes Johlen ansetzte.

      Das waren eindeutig die Seemänner. Wahrscheinlich teilten sie gerade die Sklavinnen unter sich auf.

      Kurz wunderte sich Viviane, warum von den Frauen kein einziger Laut kam, aber vielleicht hatten sie es mit der Zeit einfach aufgegeben, sich zu wehren. Wahrscheinlich besaßen sie auch gar keine Kraft mehr dazu.

      „Gleich vorbei“, knurrte Viviane, als die Männerstimmen wieder und wieder anfingen zu johlen. Bedächtig trat sie hinter Dina, atmete ruhig und behielt die Luke zum Unterdeck im Blick.

      Alsbald stiegen drei Frauen nacheinander daraus empor. Alle drei hätten hübsch sein können, wenn sie nicht zerzauste Haare gehabt hätten, wenn ihre Kleider nicht zerrissen und ihre Gesichter nicht grün, blau und gelb geschwollen gewesen wären. Hinter der letzten kam Merdin in Sicht. Er schaute sofort in Vivianes Richtung und warf ihr einen Blick zu, in dem sich Kummer, Zorn, Ekel, Entsetzen und Abscheu mischten.

      Viviane nickte kaum merklich und atmete erleichtert auf, als sie sah, dass Merdin sein Gefühlschaos rasch in den Griff bekam. Er behandelte jede einzelne der Frauen mit Respekt, redete sanft auf sie ein und dirigierte sie nach rechts Richtung Zelt. Seine höfliche Art schien keinerlei Wirkung zu zeigen.

      Mit leerem Blick schlurften die Frauen kraftlos vor ihm her, wobei die erste noch am aufrechtesten ging. Sie schien in besserer Verfassung als die anderen beiden, doch das täuschte. Kaum wollte sie sich unter der Zeltleinwand hindurchbücken, presste sie die Hände auf die Rippen und atmete scharf ein. Die zweite hinkte stark und ihr rechter Arm hing schlaff herab; mit dem linken stützte sie die dritte, die stöhnend ein Bein nachzog, der Fußknöchel dick geschwollen.

      Ihr Stöhnen wurde jäh von Babygeschrei übertönt. Abrupt richtete sich die Frau mit den gebrochenen Rippen wieder auf, biss die Zähne zusammen und starrte mit den anderen beiden zur Luke hinüber, von wo das Greinen zu kommen schien. Mit einem Schlag ging es in gepresstes Wimmern über, und ein Paar Stiefel stampften nun die Leiter empor.

      Viviane fühlte tatsächlich die Planken unter ihren dünnen Korksohlen vibrieren. Der Mann, der die Stufen emporstieg, musste groß, schwer und sehr wütend sein. Mit jeder Sprosse, die er erklomm, wurde sein Tritt derber.

      Tief hinter ihre Stute geduckt, knurrte Viviane leise: „Da kommt eine unerwartete Komplikation, aber damit werde ich fertig, keine Bange. Ihr wartet wie verabredet auf mein Zeichen.“

      Aus den Wasserfässern, Stroh- und Heuballen kam zustimmendes Brummen in elf verschiedenen Tonlagen. Viviane nahm es nur nebenbei wahr. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf sich selbst. Sie musste sich wappnen, denn die bangen Blicke, mit denen die drei Frauen zur Luke starrten, versetzten sie in Kampfbereitschaft. Sie ahnte, dass ihr keine Zeit bleiben würde, über richtige oder falsche Taktik nachzudenken.

      Auch Merdin machte sich zum Angriff bereit, doch er hatte offensichtlich Schwierigkeiten, sich zu entspannen, seine Kiefer mahlten, ein Augenlid zuckte. Vielleicht lag es an den Frauen, die nun aufgeregt miteinander tuschelten, vielleicht war es auch das schlagartig kreischende Baby, was ihn die Fäuste ballen und die Ader am Hals hervortreten ließ. Als die schweren Stiefel die letzten Sprossen emporstampften und ein dunkler Haarschopf, Kopf und Schultern sichtbar wurden, tastete Merdin nach seinen Schwertern. Sie waren nicht da.

      Kein Langschwert, kein Kurzschwert, er hatte keines davon – er hatte