Petra Wagner

Die weise Schlange


Скачать книгу

Höhe sein.

      Der vorsichtige Markus kauerte sich noch tiefer hinter seinem Weinbecher zusammen und beäugte dermaßen argwöhnisch die Tür, als würden die Räuber gleich noch zum Essen vorbeikommen. Was hätten sie ihnen anbieten sollen? Abgenagte Knochen? Abgenagte Fingernägel? Der pfiffige Angus legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm, damit es gar nicht erst zu Letzterem kam.

      „Wenn du um deine Weinfässer fürchtest, Markus, mein Freund, kann ich dich beruhigen. Ich bin mir ziemlich sicher, diese Männer wollten keine Händler überfallen, dann müssten sie nämlich mit Strafen bis hin zum Tode rechnen. Und wer würde es darauf schon ankommen lassen? Die Hermunduren sind nicht zimperlich, wenn es um die Einhaltung ihrer Gesetze geht.“

      „Aber Loranthus ist doch ein Händler“, erinnerte Markus ihn und seine Finger wanderten langsam zum Munde.

      „Mag sein, aber wenn er mit einer noblen Reisekutsche unterwegs war, hätte man das auf den ersten Blick nicht erkennen können. Also hatte der Überfall auf ihn vielleicht einen ganz anderen Grund. Vielleicht waren sie wirklich nur an der Kutsche interessiert. Oder sie wollten eine falsche Spur legen. Eine andere Aktion vertuschen, verstehst du?“

      „Wenn ihr wollt, können wir unser Gespräch im Schwitzbad fortführen. Ich habe es vorhin angeheizt“, schlug die Wirtin vor.

      „Wunderbar, da bekomme ich immer die besten Einfälle. Sicher reinigt der Dampf nicht nur den Körper, sondern auch den Geist.“ Mit diesen Worten schwang sich Angus von der Holzbank und eilte zielstrebig zur Hintertür.

      Loranthus musterte das Relief auf seinem Tonbecher, betastete jede der sanft hervortretenden Weintrauben einzeln, trank sehr langsam einen winzigen Schluck und schmatzte genüsslich.

      „Einen besseren Wein findet man selten“, verkündete er mit Überzeugung und begann das Spiel erneut.

      Der Wirt strahlte vor Freude über das Lob. „Der ist von unserem Markus hier“, sagte er und tätschelte dessen Rücken.

      Markus machte eine ungewollte Verbeugung.

      „Aha!“ Loranthus schaute tief in seinen Becher. „Ich muss zugeben, auch die Römer machen süffigen Wein.“

      Markus versuchte, ein Lächeln in sein beleidigtes Mienenspiel zu bringen, und grummelte: „Ich freue mich, wenn das ein Kenner sagt.“ Abrupt stemmte er sich von der Bank hoch, marschierte Richtung Hintertür und nuschelte in seinen nicht vorhandenen Bart: „Auch wir waren einmal frei. Freie Insubrer. Und das ist noch gar nicht so lange her.“

      Viviane legte den Kopf schief und überlegte, ob zweihundertachtzig Jahre lang waren oder nicht, bis ihr Blick auf Loranthus fiel. Dieser betastete schon wieder das Relief an seinem Becher. Er trank nicht mehr, er nuckelte. Anscheinend wollte er sich vor dem Schwitzbad drücken. Auf seiner Stirn stand geschrieben, dass er den Wirt gleich um ein ganzes Fass Wein bitten würde, natürlich zum Nuckeln, nicht zum Baden.

      „Tragen die griechischen Weiber eigentlich ein großes Tuch um den Körper, wenn sie ins Bad gehen?“, fragte Viviane, bevor er den Mund aufmachen konnte.

      Verdutzt zog Loranthus die Augenbrauen hoch.

      „Oh, ich … ich weiß nicht, wie das bei denen gemacht wird.“

      „Also sind bei euch die Weiber und Männer auch getrennt“, stellte Viviane fest und wandte sich mit Hanibu zum Gehen.

      Sichtlich erleichtert kam Loranthus nun doch nach.

      Das Schwitzbad war nicht groß, aber sehr sauber mit glatt geputzten Lehmwänden und Bänken aus bestem Tannenholz. Ihre Kleider legten sie in den getrennten Vorräumen ab, nahmen sich ein kleines Leintuch und huschten durch die nächste Tür. Lange Zeit genossen sie die wohlige Wärme, ohne zu reden.

      Irgendwann wandte sich Angus an Loranthus und sagte lauter, damit auch die Frauen nebenan gut hören konnten: „Du hast einen Statthalter erwähnt. Nun, davon hat jede römische Provinz bloß einen und höchstwahrscheinlich ist der Statthalter von Gallia Belgica gemeint. Diese Provinz liegt uns am nächsten, beginnt gleich hinter dem Rhenus – oder Rhein, wie mancher auch sagt. Von dort bis hierher sind es dennoch etliche Tagesreisen. Also, warum sollten diese Männer derart tief in fremde Gebiete eindringen und sich wahrscheinlich tagelang versteckt halten, nur um eine Kutsche zu erbeuten? Das ist für mich die entscheidende Frage.“

      „Mein Reisewagen ist für sich allein schon besonders wertvoll, ein Meisterwerk. Ich habe ihn in Antibes für viel pures Gold erstanden. Und wenn ich an meine Waren denke! Meine Kleider! Selbst die Mäntel waren aus feinstem Gewebe, die Fibeln aus Gold!“

      Auf ihrer Seite der Wand spitzte Viviane die Ohren. Der Verlust seiner Habseligkeiten schmerzte Loranthus sehr, das konnte man deutlich hören. Doch Angus fragte ohne eine Spur von Mitleid: „Fibeln aus purem Gold? Das kaufe ich dir nicht ab. Das ist viel zu weich. Du kannst zwar dein feinstes Gewebe damit durchstechen, aber nach ein paarmal Einklemmen hätte sich die Nadel verbogen. Egal, lassen wir das. Mich interessiert mehr, wie deine Tour von Antibes bis hierher war.“

      „Oh, die war einfach. Die Pisten waren allesamt breit und gut geschottert, wir haben uns Händlern angeschlossen und stets bei Freunden meines Vaters übernachtet. Bei den Treverern sind wir gleich mehrere Tage in Confluentes geblieben, bei Kalarix, auch ein Freund meines Vaters. Ich sollte unbedingt noch an einem Festessen teilnehmen und von meiner Reise berichten.“

      „Das hört sich wirklich einfach an.“ Angus nickte zufrieden und schien zu überlegen.

      „Ich war noch nie hinter dem Rhenus, vielleicht sollte ich es doch mal wagen. Diese Freunde deines Vaters, was sind das für Leute?“

      „Händler wie er. Mein Vater kennt viele Händler in etlichen Ländern. Er ist seit langer Zeit im Geschäft, das er von seinem Vater übernommen hat und der wiederum von seinem, und so weiter.“

      „Dann bist du also sein Nachfolger?“

      „Noch nicht. Erst wenn ich von dieser Reise zurückkehre, werde ich das Handelskontor meines Vaters übernehmen und er darf so lange auf allen Meeren herumschippern, bis er nicht mehr die Segel setzen kann.“

      „Ein echter Seemann, dein Vater, meine Hochachtung. Und du scheinst klug kalkulieren zu können, mein Freund, sehr löblich. Dein Vater setzt offenbar großes Vertrauen in dich. Um das Geschäft weiter auszubauen, sollst du wohl neue Kontakte mit der rechten Seite vom Rhenus knüpfen?“

      „Handelsbeziehungen mit dieser Seite vom Rhenus schaffen …“ Loranthus dachte über die Frage etwas länger nach. „Nun, Angus, mein Freund, das wäre ein nützlicher Nebeneffekt. Meine Reise war jedoch ursprünglich dazu gedacht, die Keltoi kennenzulernen. Ich meine, speziell das Leben der Hermunduren“, fügte er rasch an und schielte Richtung Trennwand, hinter der er Vivianes Ohr vermutete. Wenigstens konnte er ‚Keltoi‘ denken, so viel er wollte. Es war eben einfacher, sie alle über einen Kamm zu scheren – er kämmte sich ja auch nicht jedes Haar einzeln; die unzähligen Stämme, Unterstämme, Clans und Sippschaften gehörten doch sowieso alle irgendwie zusammen. „Ihre Sitten und Gebräuche, ihre Technik, ihre Künste, ihr astronomisches Wissen … das scheint für meinen Vater sehr wichtig zu sein. Er sagt immer, sie verdienten es, als die ‚Großtuenden‘ bezeichnet zu werden, im Sinne von ‚herausragend‘, ‚hochgewachsen‘ oder ‚groß geraten‘, aber auch in anderer Hinsicht. Gemeinhin ist dieser Menschenschlag nun mal größer als andere, größer als wir Südländer zum Beispiel, aber sie dürfen sich auf das, was sie können, tatsächlich etwas einbilden – egal ob Druide, Krieger, Handwerker, Bauer; oder Händler oder Gastwirt, das will schließlich auch gelernt sein.“

      Loranthus freute sich über das eifrige Nicken der Männer rundum und fuhr ermutigt fort: „Links vom Rhenus sind die Menschen bereits viel zu stark romanisiert. Obwohl ich der Meinung bin, die römische Ordnung tut den Provinzen und ihren Bewohnern nur gut. Die Clans bekämpfen sich nicht mehr untereinander und so kann im ganzen Land endlich der Wohlstand gedeihen. Überall entstehen Villen, Theater, Foren, Grünanlagen, Bäder, befahrbare Straßen … Die Römer sind ein emsiges, friedliebendes Volk mit Sinn für Kunst und Kultur, sehr