sind beide nicht gewachsen und wenn man ihnen helfen würde, könnte die Lage durchaus eskalieren.“
„Du sagst es“, flüsterte die Wirtin. „Einmal hat sich mein Mann eingemischt, das war ein schwerer Fehler. Ihm selbst ist nichts passiert, mein Schwager käme auch nicht gegen ihn an, schon gar nicht im Schwertkampf; aber meine Schwester hat seitdem noch mehr zu leiden und mein Neffe erst recht. Darum wissen wir nicht …“ Resigniert hob sie die Hände. „Wir fühlen uns so machtlos.“
„Verstehe. Wenn sich dein Mann noch mal einmischen würde, gäbe es womöglich Mord und Totschlag; am Ende stünde er selbst vor Gericht und würde mit seinem eigenen Leben büßen. Das wäre fatal, ein Desaster sondergleichen. Alles hätte ein Ende, wenn deine Schwester die Scheidung beim Druiden beantragen könnte. Dann wäre sie zu Lugnasad frei und bräuchte nicht mehr in Angst und Schrecken leben.“ Viviane starrte nachdenklich über den Fluss. „Will sie sich denn überhaupt scheiden lassen? Ich meine, du hast gesagt, sie habe ihm damit gedroht, aber will sie es wirklich? Ist sie davon überzeugt, sich von diesem Mann zu trennen?“
„Oh ja, glaube mir, sie ist davon überzeugt. Sie hält es sogar für überlebenswichtig.“ Die Wirtin seufzte und blickte ebenfalls über den Fluss, zu einem kleinen Grubenhaus, vor dem ein Junge die Hühner fütterte.
„Mir tut es leid um ihn. Er gibt sich solche Mühe, dem Raufbold alles recht zu machen, und manchmal ist der auch recht freundlich zu ihm. Dann genügt wieder eine Kleinigkeit und der gute Teil von ihm macht dem bösen Platz. Ich würde alles tun, um so ein liebes Kind zu bekommen. Es würde ihm bei uns gut gehen. Diesen Vorschlag kann ich meiner Schwester natürlich nicht unterbreiten.“
Viviane legte der Wirtin mitfühlend die Hand auf die Schulter. Sie war nicht mehr ganz jung, aber längst nicht zu alt zum Gebären. „Habt ihr denn schon alles versucht?“
„Oh, ja.“ Die Wirtin nickte traurig. „Als wir sicher waren, es würde nicht von selbst, pilgerten wir manchmal zu unserem heiligen Birkenhain. Besonders um Beltane herum soll es Paaren Glück bringen, sich dort auf dem Opferstein zu vereinen. Fünf Jahre lang haben wir das nun schon gemacht, aber es hat nichts gebracht.“
Viviane wiegte den Kopf. „Was man ganz sicher auf dem Stein bekommt, ist abgeschmirgelte Haut, wenn man nicht gerade auf einem dicken Bärenfell liegt.“
Die Wirtin gluckste.
Viviane wackelte mit den Augenbrauen. „Ich kann dir nichts versprechen, allerdings wäre es einen Versuch wert“, überlegte sie und sah lange auf die riesige Hagebuttenhecke.
Die Wirtin nahm flehend ihre Hände. „Ich würde alles tun, um ein Kind zu bekommen.“ „Fürs Erste reicht es, wenn du die Blüten der Hagebutten sammelst, sobald die Zeit gekommen ist. Bereite einen Sud daraus und trinke drei Becher über den Tag verteilt, solange der Vorrat reicht. Lass aber noch ein paar Blüten an den Sträuchern, ihr wollt doch bestimmt noch Marmelade haben.“ Sie leckte sich genüsslich die Lippen und tätschelte ihren Bauch.
Strahlend vor neuer Hoffnung begleitete die Wirtin Viviane und Hanibu zum Grubenhaus.
Als Loranthus eintrat, lagen die Frauen bereits im großen Bett rechts von der Tür und hatten einen kunterbunt karierten Vorhang vorgezogen, der mittels Holzstange von einer Wand zur anderen ging. Gleichmäßiges Atmen war dahinter zu hören, darum ließ er sich leise ins Bett auf der linken Seite fallen, nahm einen betörenden Rosenduft wahr und schlief auf der Stelle ein.
Langsame und schnelle Gegner
Warme Sonnenstrahlen streichelten Hanibus Gesicht und zauberten ein zufriedenes Lächeln darauf.
Viviane musste unwillkürlich selbst lächeln. Sie lag schon eine geraume Zeit wach und bewunderte Hanibus ebenmäßige Züge, die hohen Wangenknochen, die kleine Stupsnase … die dunkelbraune Haut bekam durch die Sonne einen wunderbaren Schimmer, fast wie Perlmutt.
„Ich habe gerade von meinen zwei großen Brüdern geträumt“, seufzte Hanibu und gähnte ausgiebig. „Als Kinder haben wir oft Karthager gegen Römer gespielt. Ich war immer der Römer und wurde gefesselt. Was habe ich mich geärgert! Doch als ich älter war, habe ich mich aus den Stricken befreien können. Sie mussten mich jedes Mal einfangen.
Ich bin ein guter Läufer.“ Hanibu feixte und schaute durch das offene Fenster in die Sonne. Abrupt wurde ihre Miene traurig, sie presste die Lippen aufeinander.
Viviane dachte an ihre Brüder. Diese wilde Horde niemals wiederzusehen … Sie drückte Hanibu fest an sich und trällerte forsch: „Wer weiß schon, was die Zeit noch bringt! Eines Tages siehst du sie wieder und bis dahin, schicke ihnen deine Grüße mit Sonne, Mond und Sternen oder mit dem Wind! So, und jetzt fort mit allem, was drückt! Auf zum Abort!“
Nahe am Fluss zu leben, war ungemein praktisch. Man musste bloß einen Kanal aus Ton bauen, schon konnte man das Wasser umleiten, um seine Notdurft zu verrichten und sauber abzuleiten. Wer auch immer diese geniale Idee gehabt hatte – Viviane bedankte sich aufrichtig bei ihm; bei dem, der das Holzhäuschen darüber gesetzt hatte natürlich auch.
Es gab sogar zwei bequeme Holzsitze, so konnte man ein wenig plaudern.
Am Fluss hängten sie ihre Kleidung an eine sehr praktisch stehende Weide. Dann wuschen sie sich mit der Rosenseife von gestern, nur nicht so ausgiebig, und Hanibu lernte unter großen Mühen das Wort ‚Katzenwäsche‘. Nachsprechen konnte sie es schnell, es zu begreifen fiel ihr allerdings schwer, bis sie zufällig eine Katze entdeckte, die sich putzte. Kichernd trockneten sie sich mit den feinen Leintüchern ab.
Danach kämmte sich Viviane mit einem schön geschnitzten Holzkamm und zog exakt sechs Haare aus ihren üppigen Wellen. Nachdenklich betrachtete sie die spärliche Ausbeute.
Was war bloß mit ihr los? Wenn das so weiter ging, müsste sie für die Zahnpflege bald auf dünne Fäden zurückgreifen wie alle anderen, deren Haare dafür zu kurz oder zu schwach waren, oder sie müsste Haselnussgerten zurechtschneiden, um sich zwischen den Zähnen zu bohren.
Viviane zuckte mit den Schultern. Die Haare im Kamm waren zwar rar, aber dafür lang und kräftig. Sie gab Hanibu die Hälfte ab und zeigte ihr noch einmal, wie man sie zwirbeln musste, um ein prima Zahnseil zu erhalten. Hanibu hatte bereits am gestrigen Abend aufgepasst und zwirbelte geschickt drauflos; sie wusste auch noch, wie sie mithilfe eines winzigen Wolllappens die Zähne polieren sollte. Viviane hatte sogar einen neuen Putzlappen für Hanibu übrig und erklärte leichthin, solcher Kleinkram gehörte zur Grundausstattung eines jeden reisenden Hermunduren. Alte Lappen wurden stets ordentlich gewaschen und getrocknet, bevor sie wieder in die Gürteltasche für Waschzeug durften. Mundhygiene war sehr wichtig. Schlechter Atem war sogar ein Scheidungsgrund.
Hanibu wollte das kaum glauben, doch Viviane meinte es vollkommen ernst und beim Wetzen ihrer hintersten Backenzähne fiel ihr ein, dass sie es gestern Abend schlichtweg vergessen hatte – nicht das Zähneputzen, oh nein, das vergaß sie nie; den ultimativen Scheidungsgrund hatte sie außer Acht gelassen. Das musste sie schleunigst nachholen.
Viviane knickte einen Schilfhalm ab, schob mit dessen Hilfe den dichten Schilfbewuchs auseinander und spähte über den Fluss zu dem kleinen Häuschen. Hanibu begann, ihre Zähne ein zweites Mal zu polieren; sie wetzte, bis es quietschte, und schaute mit durch die Lücke.
Gleich neben dem Häuschen legte gerade die Fähre ab, voller Bauern, die wohl auf dieser Seite des Flusses die Felder bestellen wollten. Es war faszinierend, wie ein so breites und flaches Boot schwer beladen und trotzdem sicher über das Wasser gleiten konnte, wie es ihrer Badestelle immer näher kam. Zum Glück konnte von der Fähre aus niemand sehen, wie sie hier im Wasser standen, die eine mit nachdenklich geschürzten Lippen, die andere mit einem Lappen im aufgesperrten Rachen – ein dichter Schilfgürtel war eben ein prima Sichtschutz.
Abrupt wurde ihre Aufmerksamkeit zur Landseite gelenkt. Viviane und Hanibu rissen die Köpfe samt Putzlappen herum.
Loranthus und Angus steuerten gut gelaunt