stellte sie sich neben Arion, tätschelte seinen Hals und schmiegte ihre Wange an seine Mähne. Von dort konnte sie gut sehen, wie dem Mann mit frappierender Geschwindigkeit die Zornesröte ins Gesicht stieg.
„Das Fass ist voll!“, brüllte er und seine rechte Halsschlagader schwoll gefährlich an.
„Was soll die traute Zweisamkeit?! Erst wälzt du mich wegen dieser Schindmähre platt und jetzt lobst du das Biest auch noch?! Bist du schwachsinnig, Weib? Oder bist du so irre wie das Vieh hier? Ich mach der alten Mähre den Garaus! Jetzt auf der Stelle!“
Wild mit den Armen fuchtelnd versuchte er, sich hochzuhieven, und wälzte mit seinem Hinterteil das Gras unter der Weide platt. Das war das Einzige, was er ‚jetzt auf der Stelle‘ hinbekam; Viviane musste ihr Gesicht in Arions Mähne verstecken, bis sie es schaffte, mit dem Grinsen aufzuhören.
„Was? War? Das?“, fragte sie einen Atemzug später mit drohendem Unterton und drehte sich langsam zu dem Schreihals um. Gut sichtbar ließ sie ihr Mienenspiel von erstaunt zu beleidigt wechseln, blieb bei ‚was für ein Trottel‘ stehen und wählte dazu die passende Stimmlage.
„Das ist ein Hengst und keine Stute. Bist du betrunken, du da unten, oder kennst du den Unterschied nicht? Oder siehst du schlecht? In diesem Fall lass dir sagen: Mein Arion ist ein Guter. Ab und an bekommt er gern leichte Allüren. Aber – wie du sehen kannst, falls deine Augen doch was taugen – ich habe alles im Griff.“
Provokant grinsend hob sie die Hand mit den Zügeln und reckte das Kinn. Wie erwartet, versuchte sich der Mann nun wieder auf die Füße zu stemmen, was diesmal auch gelang. Allerdings dauerte es reichlich lange, weil seine Augen ständig den tödlichen Blick suchten und sich dabei in die Quere kamen. Schließlich hatte er es geschafft, sich in voller Größe vor ihr aufzubauen, und konnte sehr gefährlich geradeaus gucken. Bestens. Er war nur etwas größer als sie, dafür dreimal so breit und von oben bis unten angriffslustig, wie erhofft. Die Finger um seine Schwertgriffe gekrallt, schäumte er regelrecht vor Wut und sein Gesicht war eine einzige Grimasse. Seine wässrig-blauen Augen zuckten wie irre zwischen vielen roten Flecken – seine Nase war der größte davon.
„Arion?!“, johlte er und spuckte ein bisschen. „Habe ich richtig gehört? Wie kann man so dumm sein und ein graues Pferd Arion nennen! Bist du betrunken oder kennst du den Unterschied nicht? Oder siehst du schlecht? In diesem Fall …“
Vivianes Augen wurden schmal. Sehr, sehr schmal.
„Willst – du – mich – beleidigen?! Du Rotnase, du Trunkenbold!“
Knurrend stemmte sie die Hände in die Hüften und trat an ihn heran. Jedes Wort betonend, fauchte sie: „Wer beim nächsten Lugnasad nicht mehr in den Maßgürtel passt, sollte keine großen Töne spucken. Ich an deiner statt würde weniger Met saufen und mich mehr bewegen, anstatt zu schlafen. Dann bleibt dir die Demütigung vor versammelter Mannschaft vielleicht erspart, du … du ranzige Speckschwarte!“
Angeekelt rümpfte sie die Nase und konnte gut erkennen, wie es in ihm brodelte. Sie musste ihm nur noch ein kleines bisschen mehr einheizen. Hochmütig warf sie die Haare zurück, drehte sich um und stolzierte mit Arion Richtung Ufer – gemächlich wohlgemerkt, sie wollte ja nicht im Wasser landen.
„Bleib stehen, du Furie! Steh, sage ich! Das wirst du mir büßen! Niemand beleidigt mich ungeschoren! Dreh dich gefälligst um, wenn ich mit dir rede, du hochnäsiges Weib! Du dürre Kuh! Du hässliche alte Meckerziege!“
Viviane hätte beinahe gekichert. Grinsend führte sie ihre Hände den Mantel hinauf zu der Stelle, wo die Filzwolle zusammengehalten wurde, nahe der linken Schulter, wie es für Rechtshänder günstig war. Ihre Finger tasteten über die große eiserne Fibel in Form eines Pferdes und sie dachte daran, wie ihr Vater diese Gewandschließe extra geschmiedet hatte, als sie von zu Hause wegging – damals, vor fast sechs Jahren. Mit einem Griff öffnete sie die Nadel und legte beides, Mantel und Fibel, auf den Sattel. Nun war sie bereit.
„Bleib“, befahl sie Arion und senkte bedeutsam den Zeigefinger. Abrupt drehte sie sich um, nahm ihre Beute ins Visier und ging langsam darauf zu.
„Du krakeelst wie ein alter Dachs mit Zahnschmerzen. Kein Wunder, wenn du sabberst.
Ja, guck dich an, wie du aussiehst … so gesund wie ein Fliegenpilz. Wisch endlich den Geifer ab, ist ja eklig.“ Viviane rümpfte die Nase und wedelte sich frische Luft zu. „Und wie du aus dem Maul stinkst … merkst du das nicht oder hast du keinen Putzlappen?
Bist wohl ein zahnloses Hutzelweib?!“
„Was bin ich?!“ Brüllend riss er sein Kurzschwert aus der Scheide und stieß nach ihrer Kehle. Bloß, da war nichts mehr zum Aufschlitzen.
Bevor er begriff, packte Viviane seinen Schwertarm, schlug ihm die Waffe ab und warf den Rest von ihm über ihre Hüfte. Dumpf landete er im Gras, doch zum Stöhnen blieb ihm keine Zeit. Viviane hielt immer noch seinen Arm umklammert und zog ihn übers Knie, ein grässliches Knacken ertönte und ein Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
„Sag ich doch, wie ein alter Dachs, jetzt allerdings mit Armschmerzen.“ Viviane trat zurück und wartete.
Dass er weiterkämpfen wollte, hatte sie nicht erwartet, aber sein Blick sagte genau das.
Natürlich war seine überschäumende Wut von Vorteil, sie durfte nur nicht seinen Kampfgeist unterschätzen. Sobald er sich auf die Beine gestemmt hatte und seinen nutzlos herabhängenden Unterarm befühlte, sprühten seine Augen förmlich Todesflüche zu ihr herüber. Wuchtig holte er mit dem rechten Bein aus.
In ihre Magengrube wollte er treten? Na, da musste er früher aufstehen.
Sie brauchte sich kaum bewegen, um sein vorstoßendes Fußgelenk zu packen und das dazugehörige Schienbein zu zerschmettern. Seitwärtsdrehungen mit Handkantenschlägen gehörten zu ihren Spezialitäten, egal in welche Richtung. Die Schlagtechnik hatte sie allerdings mit Holzstäben geübt, was mit einem echten Bein natürlich nicht zu vergleichen war. Das Wimmern des Mannes bezeugte das. Je höher sie das Bein hielt, desto höher fiepte er. Vielleicht hatte er nun endlich genug, und wenn nicht … Mit einem Fuß hangelte sie nach seinem Standbein und zog es weg. Er krachte auf den Rücken, krümmte sich seitwärts und würgte alles heraus, was sein Magen hergab.
Ihre Nase fand es widerlich, doch schnell geriet sie in ihren Arztmodus und fand es recht interessant, was er alles intus hatte. Met, Met und noch mehr Met klatschte ins Gras, dazwischen ein paar Brocken Fleisch, kaum verdaut. Zuletzt schwappte noch Kleinkram hinterher und … Blut? Wieso Blut? Sie hatte seinen Magen nicht mal angetippt! Beinahe hätte sich Viviane hinabgebeugt, um seinen Bauch zu untersuchen, doch sie konnte sich beherrschen.
Aus sicherem Abstand blickte sie auf den Mann herab, der jahrelang Frau und Sohn zusammenschlug. Sie hatte ihre Abscheu unter Kontrolle, ihr Atem ging ruhig.
Als er nicht mehr angriff, verbeugte sie sich knapp und wandte sich zum Gehen. Abrupt verharrte sie und lauschte.
„Du … bist tot“, röchelte er. „Du böses, hinterhältiges, rachsüchtiges Weib. Zu Lugnasad bringe ich dich vor Gericht. Dann werde ich als Gepeinigter die Strafe bestimmen und das Urteil ausführen. Wir beide, erst Schwertkampf, dann Ringkampf. Ich werde dich in Stücke hacken oder dir dein Genick brechen. Unabsichtlich, versteht sich. Darauf freue ich mich jetzt schon.“
Viviane zog die Augenbrauen hoch und drehte sich um. Hatte der Mann nicht begriffen, dass sie ihn hätte töten können, wenn sie nur gewollt hätte? Der hier war wohl von der besonders uneinsichtigen Sorte. Sie konnte sich gut vorstellen, was Usheen und seine Mutter unter ihm erleiden mussten.
Gemächlich kniete sie sich neben seinen heil gebliebenen Arm und sah ihm in die wässrig-blauen Augen.
„Du Narr. Du willst mich anzeigen? Du, der du mich vor so vielen Zeugen zuerst angegriffen hast?“ Demonstrativ schwenkte sie ihren Arm Richtung Fähre, wo alle Anwesenden völlig fassungslos zu ihnen herüberschauten. „Du hast dein Kurzschwert gegen meinen Hals gestoßen. Ich habe nicht mal ein Messer in der Hand. Aber