mir gleich ins Röckchen.“
„Ins Röckchen?!“ Merdin prustete los und schielte an ihr hinab. Die dicke Ölschicht auf ihrer Haut, vermischt mit dem Schweiß der letzten Nacht, war die reinste Augenweide. Für ihn hätte sie auf ewig nackt bleiben können. „Ach, Vivian“, seufzte er übertrieben schwermütig. „Du hättest wenigstens ein kleines bisschen zucken können. Ich habe es wieder mal vermasselt. Hab aus purem Reflex nach meinen Schwertern gegriffen.“
„Ein komplett nackter Mann hat keine Schwerter.“
„Weiß ich doch, aber ich kann mir das einfach nicht abgewöhnen. Affekt ist Affekt.“
„Merdin, ich muss dich schelten. Erst nachdenken, dann handeln, hat uns Akanthus beigebracht, egal ob beim Kämpfen oder beim Heilen.“
Zum besseren Einprägen wedelte Viviane mit dem Finger und zwickte Merdin in die Nase. „Beim nächsten Mal verpasse ich dir keine Rüge mehr, dann quetsche ich dich gleich woanders. Lass es lieber nicht drauf ankommen.“ Feixend zupfte sie an der erstbesten kupferroten Haarflechte, die sie von ihm zu fassen bekam.
„Das sind Lehrmethoden …“ Lächelnd rieb sich Merdin die Nase und fragte: „Nun gut, Herrin der Reflexe, woran hast du so rasch erkannt, dass der Angriff nicht echt ist?“
„Weiß nicht genau.“ Viviane zuckte die Schultern und beobachtete die Krieger, die immer noch wie die Irren rannten und kreischten. Gerade machten sie sich bereit, einen neuen Geschosshagel in ihre Richtung zu schicken.
„Mein erster Gedanke war …“, rief sie laut in das aufkommende Zischen hinein, „…dass ich zwar niemanden erkenne, aber sie können sich noch so blau anmalen vom Scheitel bis zur Sohle und die Haare mit Ziegenfett steif halten – sie brüllen einfach nicht real genug. Da ist keine Angst, kein Zorn oder Hass herauszuhören, wie man bei einem echten Angriff erwarten dürfte, sondern vielmehr Jux und Übermut. Wahrscheinlich haben sie deshalb einen langen Anlaufweg gewählt, statt sich zuerst näher heranzuschleichen. Ohne Schild ist ein Langstreckenrennen ja auch viel leichter, wenn man sowieso keinen Schutz braucht.“
Viviane nickte in Richtung einer jungen, sehr hochgewachsenen Kriegerin, die an der rechten Flanke allen voran stürmte. Stattlicher Wuchs, üppige Brüste und drei blaue Spiralen im Gesicht waren ihre hervorstechendsten Merkmale, doch mit jedem ihrer ausgreifenden Sprünge in Vivianes und Merdins Richtung gab es mehr von ihr zu sehen.
Ihre langen blonden Haare waren zu einer mächtigen Löwenmähne verzottelt, die sie noch viel größer und wilder erscheinen ließ, als sie sowieso schon war. Auf Brust und Bauch prangte ein riesiger blauer Drache mit scharfen Zähnen und Augen von derart stechendem Blick, dass der Drache zu fliegen schien, als die Kriegerin mitten im Sprung ein ellenlanges Rohr um ihre Finger wirbelte. Der Anblick brachte Viviane zum Schmunzeln.
„Uathach krakeelt immer am lautesten, rennt immer am schnellsten und treibt immer Unfug mit ihrer Speerschleuder.“
„Ganz recht, deine Freundin bringt ihre Speerschleuder mal wieder zum Rotieren. Hatte früher bestimmt keinen Kreisel zum Spielen.“
„Ja, die alten Krieger-Clans hierzulande, müssen immer protzen.“
„Die von der Nebelinsel sind am schlimmsten, kann ich dir versichern.“
Darauf erwiderte Viviane nichts, denn ihre Aufmerksamkeit galt noch immer der blonden Kriegerin. „Oh je, sie wird doch nicht …! Jetzt ist ihr eingefallen, dass sie am weitesten werfen kann! Achtung! Tieffliegender Drache von rechts!“ Mit aufgerissenen Augen verfolgte Viviane, wie Uathach mitten im Rennen ihre Speerschleuder über dem Kopf austarierte. Als sie zum Wurf ansetzte, sah es fast gemächlich aus, doch ihr Speer schoss mit einer solchen Wucht von der Laufschiene weg, dass Viviane tatsächlich glaubte, zwischen zwei Trommelschlägen das typische Zischen zu hören. Ihre Augen folgten der Flugbahn des Speeres, der flog und flog wie von unsichtbarer Hand getragen.
Einschlag zwanzig Schritt rechts vor ihr? Ein Katzensprung!
Jauchzend riss Viviane das Geschoss an sich und rannte auf Ausgangsposition zurück.
Doch Merdin war nicht mehr da, wo er soeben noch gestanden hatte.
Leichtfüßig trabte er ein Stück weit über die Wiese, wo mittlerweile die anderen Wurfgeschosse eingeschlagen waren, und begutachtete die Auswahl. Er schlenderte hierhin, schlenderte dahin, zog einen Pfeil heraus, einen Speer, warf beides wieder weg …
„Holla, du träge weise Schlange! Hurtig, hurtig, wappne dich! Bald sind sie da!“
„Nur keine Hektik, ich will einen schönen Spicker!“
„Wie ein Feinschmecker auf Pilzsuche.“ Grinsend stützte sich Viviane auf ihren erbeuteten Speer und genoss das Spektakel.
Die anstürmende blaue Horde hatte kurz innegehalten, um den Einschlag ihre Geschosse besser zu verfolgen. Nun begannen sie wieder zu rennen. Wie auf Kommando fächerten sie sich zu einer breiten, sichelförmigen Angriffsformation auseinander und ihre äußeren Läufer steigerten sich zu enormer Geschwindigkeit. Manch einer hielt noch Axt oder Messer zum Wurf bereit, als sie wild durcheinander brüllten: „Merdin, ich krieg dich! Ich verpass dir Stummel statt Zöpfe!“ „Von wegen, ich krieg die Haare! Pass auf, gleich kommt meine Axt!“ „Weg da, ich hack ihm zuerst was ab!“ Sie hörten sich ziemlich begeistert an.
Viviane hätte sich krümmen können vor Lachen, wollte aber ihre gemütliche Stellung ‚Kinn auf Hand auf Speer‘ nicht aufgeben.
Merdin geriet nun doch in Eile. Hastig zerrte er zwei Speere aus der Wiese und huschte im Zickzack zu ihr zurück.
„Ein Hase mit Flatterzöpfchen, wie niedlich“, gähnte sie und legte das Kinn wieder auf Ruheposition. „Bin mal gespannt, was als Nächstes passiert.“
„Vivian, gib acht!“ Merdin raste an ihre Seite und schlug seine Speere gegeneinander.
„Die wollen uns in die Zange nehmen! Gerade eben hattest du es noch eilig!“
Viviane gähnte noch ausgiebiger und schaute ihn aus trüben Augen an. „Gib Ruhe, ich amüsiere mich gerade.“
Weil Merdin prompt tat, wie ihm geheißen, musste sie lachen.
„Wollte dich bloß ein bisschen foppen“, gluckste sie und deutete beschwingt gen Wiese.
„So viele gegen uns zwei? Diese Irren werden sich gegenseitig in die Zange nehmen, weil jeder der Erste sein will!“ Demonstrativ machte sie es sich wieder auf ihrem Speer gemütlich. „Weck mich, falls noch ein paar für mich übrig bleiben.“
„Oh.“ Merdin starrte ein wenig traurig auf die wilde Horde. „Dabei hab ich so schöne Spicker parat.“ Schmollend stellte er seine Speere ebenfalls auf Schlafposition.
„Kinder, nehmt Haltung an. Was sollen eure Brüder und Schwestern denken, wenn sie für euch Spalier stehen?“
„Spalier?!“ Viviane und Merdin standen sofort gerade und rissen die Köpfe herum. Sie hatten Akanthus vergessen.
Ihr Meister stand hinter ihnen und schien sich köstlich zu amüsieren.
„Ja, sie bilden zwei Reihen. Eine rechts und eine links von euch. Sofern ihr endlich aufhört, auf der Stelle zu schwanken, denn sonst kann ich für eure niedlichen Flatterzöpfchen nicht garantieren.“ Die Lachfalten um seine blauen Augen wurden tiefer. Mit einem Handwedeln wies er sie an, wieder nach vorne zu blicken.
Viviane und Merdin reagierten prompt und japsten vor Schreck. In Pfeilformation rasten ihnen diese Irren nun entgegen und sprengten rechts, links, rechts, links an ihnen vorbei, als hätten sie das tagelang geprobt. Trotz ihres Schwungs wendeten sie fast auf dem Fuß. In Windeseile standen zwei Reihen Krieger parat: Männer und Frauen, alte, junge; nackt, blau und bis an die Zähne bewaffnet. Sie atmeten heftig und grinsten zufrieden beim Anblick der beiden völlig verblüfften Initianten und Akanthus, der hinter deren Rücken feixte und beide Daumen hochhielt.
Nachdem sich ihr Atemrhythmus sehr rasch beruhigt hatte, zogen beide Seiten wie ein Mann