Ernst Langthaler

Agro-Food Studies


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helfen Mitglieder bei landwirtschaftlichen Arbeiten oder übernehmen Aufgaben der Administration oder Warenverteilung. Diese erfolgt an vereinbarten Abholplätzen und zu festgelegten Zeiten. Man vertraut darauf, dass die Mitglieder nicht mehr nehmen, als ihnen zusteht, und die Betriebe tatsächlich die entsprechenden Ernteanteile an die Mitglieder weitergeben und bei der Produktion die vereinbarten Tierschutz- oder Umweltauflagen erfüllen. Auf eine Bio-Zertifizierung und externe Kontrollen wird oftmals verzichtet.

      Im Gegensatz zu Lebensmitteln, von denen man nicht weiß, woher sie kommen (food from nowhere; Campbell 2009), verfügen all die oben angeführten Lebensmittelkategorien über eine den KonsumentInnen bekannte Herkunft (food from somewhere; Campbell 2009).

      3.3.1 Triebfedern der Regionalisierung

      Regionalisierung als Gegenbewegung oder als Teil der Globalisierung

      Infolge von Globalisierungsprozessen, der steigenden Außer-Haus-Verpflegung und des erhöhten Verarbeitungsgrads gekaufter Lebensmittel haben Menschen teilweise die Kontrolle darüber verloren, was sie sich mehrmals täglich – im wahrsten Sinne des Wortes – einverleiben. Die Qualität hoch verarbeiteter und verpackter Produkte ist nur schwer über den Geruchs- und Geschmackssinn bzw. über Form oder Farbe zu beurteilen. KonsumentInnen verlassen sich auf ExpertInneninformationen, die Angaben auf Etiketten und Speisekarten sowie auf das staatliche System der Lebensmittelkontrolle. Diese Regulative produzieren oder substituieren aber nur bedingt das Vertrauen, das durch medial aufbereitete Lebensmittelskandale immer wieder erschüttert wird. Eine sehr kleine, aber wachsende Gruppe von Menschen hinterfragt die Folgen globalisierter Lebensmittelsysteme und beklagt Vertrauens- und Kontrollverlust, den Strukturwandel in der Landwirtschaft und im Gewerbe, die Ausbeutung von Mensch und Natur oder die Dominanz des Preisarguments über jenem der Qualität. Stattdessen legen sie Wert auf langfristige und möglichst persönliche Beziehungen zu ProduzentInnen in der eigenen Region. Insbesondere in den Monaten nach größeren internationalen Lebensmittelskandalen bietet Regionalität Orientierung und subjektive Sicherheit im globalisierten und für den einzelnen Menschen nicht zu überschauenden Lebensmittelmarkt (Großsteinbeck 2012).

      In diesem stark durch KonsumentInnen gesteuerten Versorgungssystem organisiert eine Gruppe von Mitgliedern den gemeinsamen Einkauf und die Verteilung meist regionaler Bioprodukte. Bauernhöfe des Vertrauens liefern die bestellten Lebensmittel, die dann aus den Lagerräumlichkeiten der Kooperative abgeholt werden. Aufgaben der Selbstverwaltung und Lebensmittelverteilung werden durch ehrenamtlich tätige Mitglieder arbeitsteilig bewerkstelligt. Die Abholung basiert oft auf Vertrauen (selbst abwiegen, verpacken und den entsprechenden Geldbetrag hinterlegen). Mitglieder akzeptieren auch nicht zertifizierte Bauernhöfe als Biobetriebe. Aufgrund der persönlichen Beziehung vertrauen sie darauf, dass diese nachhaltig produzieren, auch wenn sie nicht extern kontrolliert werden.

      Regionale Lebensmittel werden oftmals als Gegengewicht zu durchgreifenden Standardisierungs- und Homogenisierungsprozessen in der internationalen Lebensmittelindustrie verstanden. Die Vielfalt regionaler Ess- und Speisekulturen, die etwa von der slow-food-Bewegung propagiert wird, schlägt sich auch in einer Vielfalt von Kulturlandschaften, Sorten und Nutztierrassen nieder (z. B. die Lüneburger Heide mit ihren typischen Heidschnucken). In einer globalisierten Welt bindet sich Identität oftmals genau an diese Heterogenität regionstypischer Nutztierrassen, Speisekulturen und Landschaftsräume. Kurze Lebensmittelketten können durch eine Verankerung in regionalen → Ökosystemen, Landschafts- und Kulturräumen zu Aufhängern regionaler Identitätsentwürfe werden sowie zur biokulturellen Vielfalt, zur Erhaltung regionsspezifischer Produktionsstrukturen, Fertigkeiten und Arbeitsplätze beitragen.

      Nicht zuletzt werden regionale Lebensmittel aber auch von Agrarmarktorganisationen und dem Lebensmitteleinzelhandel beworben. Der Lebensmittelmarkt im deutschsprachigen Raum und in weiten Teilen des Globalen Nordens ist gut gesättigt, zudem drängen durch die Öffnung der Märkte neue, oftmals preisgünstigere Produkte auf die bisher von heimischen Produkten dominierten Lebensmittelmärkte. Um neue Produkte vermarkten zu können, müssen sich diese aus der preisgünstigen Masse hervorheben, indem sie den KundInnen einen zusätzlichen Nutzen wie Nachhaltigkeit, ‚Authentizität‘ oder ‚Regionalität‘ versprechen. Heimische Produkte mit hoher Reputation lassen sich auch auf internationalen Märkten als hochpreisige Qualitätsprodukte positionieren. Regionalisierung lässt sich somit nicht nur als Gegenbewegung zur, sondern auch als komplementärer Prozess der Globalisierung erklären (mehr dazu im Abschnitt 3.4).

      Vielfältige Motive regionaler Ernährung

      Obwohl „Regionalität“ in Konsumerhebungen oftmals unterschiedlich bzw. gar nicht definiert wird, zeigen verschiedene Studien dennoch, dass der Trend zu regionalen Lebensmitteln auf sehr ähnlichen und vielfältigen Motiven beruht (Tab. 3.1). Natürlich erfüllen sich diese vielfältigen Erwartungen nicht in jedem Einzelfall (siehe Abschnitt 3.3.3).

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      Wenn sich Regionalität und Saisonalität paaren, verfügen Obst und Gemüse aus der Region über Qualitätsmerkmale hinsichtlich Frische und Geschmack, die sonst durch frühzeitige Ernte oder lange Transportwege bzw. Glashauskultur verloren gehen. Andererseits kommt ein im Frühling konsumierter Apfel aus regionaler Lagerware geschmacklich nicht an den kürzlich geernteten Apfel aus Übersee heran. Aber selbst das Bewusstsein, dass bestimmte regionale Lebensmittel nur saisonal verfügbar sind, wird kultiviert: Wer fast das ganze Jahr auf die ersten Erdbeeren, den frischen Spargel, die ersten Aprikosen wartet, erfreut sich ganz besonders am Genuss dieser saisonalen Lebensmittel.

      Während Frische vor allem bei Obst, Gemüse, Fleisch und Backwaren eine Rolle spielt, werden andere Qualitätsmerkmale vor allem durch Fertigkeiten der Verarbeitung geprägt. Lebensmittel können einen entscheidenden Qualitätsvorteil aufweisen, wenn wiederholte Transaktionen sowie die Bekanntheit der Betriebe und ihrer Produktionsbedingungen einen Qualitätsdruck erzeugen, der zu stetiger Innovation und Weiterentwicklung führt. VerarbeiterInnen, die KundInnen nicht bekannt sind bzw. diese nicht langfristig beliefern, können sich diesem Qualitätsdruck u. U. leichter entziehen.

      Angesichts der oftmals beklagten Intransparenz und der mangelnden nationalstaatlichen Steuerbarkeit langer, globaler Warenketten versprechen kurze regional verankerte Produktionssysteme subjektive Sicherheit. KonsumentInnen schenken ProduzentInnen, deren Tun sie zumindest teilweise (und möglicherweise auch nur potenziell) selbst beobachten können, die sie vielleicht sogar persönlich kennen, größeres Vertrauen. Zudem lassen sich ökologische und soziale Standards über demokratische bzw. gesellschaftspolitische Prozesse (z. B. Tierschutzstandards, Gentechnikfreiheit) und die direkte Interaktion mit bäuerlichen Betrieben (solidarische Landwirtschaft, Lebensmittelkooperativen, Ab-Hof-Verkauf usw.) zumindest teilweise mitgestalten.

      Auch wenn Umweltschutz ein ganz wesentliches Motiv für den Kauf regionaler Lebensmittel darstellt, bedarf es diesbezüglich eines differenzierten Blicks. Kürzere Transportwege müssen sich nicht zwingend in niedrigeren Emissionen niederschlagen (man denke an die Glashaustomate oder die gegenüber der CO2-Effizienz des Überseeschiffs ungleich niedrigere des Pkws für die Direktvermarktung). Umgekehrt ist davon auszugehen, dass der Druck für eine ökologisch und sozial verantwortungsvolle Produktion ungleich größer ist, wenn KonsumentInnen das Produkt mit dem Ort seiner Produktion direkt in Verbindung bringen können. Wer kauft schon gern Produkte, von denen bekannt ist, dass sie aus einer Region mit kontaminierten Böden, verschmutzten Gewässern oder ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen stammen? Weitere Motive neben Umwelteffekten im engen Sinne sind auch die Erhaltung bedrohter Nutztierrassen bzw. Kulturpflanzensorten