Hinsichtlich der erstgenannten Konstellation wird angesichts der Entscheidung des IGH im Reparation for Injuries-Fall (Reparation for Injuries Suffered in the Sevice of the United Nations, ICJ Reports 1949, 174) angenommen, dass die Internationale Organisation aufgrund einer funktionalen Betrachtungsweise zur Schutzausübung und mithin zur Geltendmachung von Schäden berechtigt ist. Gleichzeitig ist es aber auch dem Heimatstaat der betroffenen Person erlaubt, diplomatischen Schutz auszuüben.
Der umgekehrte Fall, nämlich die Ausübung diplomatischer Protektion gegenüber einer Internationalen Organisation, ist bisher in der Staatenpraxis nicht vorgekommen. Es besteht weithin Einigkeit, dass die Regeln des diplomatischen Schutzes, die zwischen Staaten gelten, analog anzuwenden sind. Eine ganze Reihe von Detailfragen, etwa der Notwendigkeit der Erschöpfung des Rechtsweges, sind allerdings noch nicht abschließend geklärt.
V. Art und Umfang der Schutzausübung
Der jeweilige Heimatstaat verfügt über einen erheblichen Ermessenspielraum, ob und ggf. in welcher Weise er diplomatischen Schutz gewähren will. Zu den häufigsten Maßnahmen gehören Verhandlungen mit dem Verletzerstaat, offizieller Protest, ökonomischer Druck sowie die Androhung einer Verschlechterung oder der Abbruch der diplomatischen Beziehungen, die allesamt – weil ohnehin von der Völkerrechtsordnung erlaubt (Retorsion) – keinen besonderen Voraussetzungen unterliegen, sowie → Gegenmaßnahmen (Repressalien), die zwar für sich genommen völkerrechtswidrig sind, aber als Reaktion auf ein völkerrechtswidriges Verhalten gerechtfertigt sein können. Bei Zustimmung des Verletzerstaates besteht zudem die Möglichkeit, ein gerichtliches oder schiedsgerichtliches Verfahren durchzuführen (→ Streitbeilegung, friedliche [allg.]). Ergibt sich bei einer Vertragsverletzung aus dem zugrundeliegenden Vertragswerk ein eigenständiges Streitbeilegungskonzept, dann ist dieses zu verwenden.
Nicht völlig unumstritten ist die Frage, ob zur Ausübung diplomatischen Schutzes in Ausnahmefällen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. In der Praxis ist es wiederholt vorgekommen, dass Staaten eigene Staatsangehörige mit militärischen Mitteln aus lebensbedrohlichen Situationen, denen sie in fremden Hoheitsgebieten ausgesetzt waren, befreiten. Nach überwiegender Ansicht verstößt ein solches Vorgehen allerdings gegen das in Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. enthaltene → universelle Gewaltverbot. Art. 1 ILC-Entwurf spricht daher auch konsequenterweise davon, dass diplomatischer Schutz nur durch „diplomatic action or other means of peaceful settlement“ auszuüben sei.
Da nach herrschender Ansicht ein Heimatstaat im Wege des diplomatischen Schutzes die Verletzung eines eigenen Rechtes geltend macht (oben II.), ist der Heimatstaat auch Inhaber eines eventuellen Wiedergutmachungsanspruches. Etwaige Entschädigungszahlungen sind daher grundsätzlich an den betreffenden Heimatstaat zu richten und nicht an die geschädigte Person, zu deren Gunsten der Heimatstaat intervenierte. Zwar soll der Heimatstaat nach Art. 19 lit. c ILC-Entwurf vom Verletzerstaat erhaltene Zahlungen an die geschädigte Person weiterleiten. Einer völkerrechtlichen Verpflichtung unterliegt er insoweit aber nicht.
VI. Anspruch auf diplomatischen Schutz in der BR Deutschland
Die natürliche oder juristische Person, zu deren Gunsten ihr Heimatstaat diplomatischen Schutz gegenüber dem Verletzerstaat auszuüben berechtigt ist, hat aus dem Völkerrecht selbst keinen eigenen Anspruch gegen ihren Heimatstaat auf die Gewährung dieses Schutzes. Dies bemisst sich allein nach dem jeweiligen nationalen Recht, für deutsche Staatsangehörige/Staatszugehörige somit allein aus der deutschen Rechtsordnung.
Art. 112 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung (1919) enthielt noch folgende Bestimmung: „Dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb des Reichsgebietes Anspruch auf den Schutz des Reichs.“ Eine ausdrückliche Regelung findet sich heute jedoch weder in Art. 16 GG noch in einer anderen Vorschrift der deutschen Rechtsordnung. Dennoch ist in der Rechtsprechung des BVerfG (E 55, 349 [364 f.]; 77, 170 [214 f.]; 92, 26 [46 f.]) anerkannt, dass aus der Schutzpflichtendimension der nationalen Grundrechte (in Verbindung mit der deutschen Staatsangehörigkeit/-zugehörigkeit) prinzipiell auch eine Schutzpflicht des deutschen Staates gegenüber seinen Staatsangehörigen abzuleiten ist, wenn diese von einer ausländischen Hoheitsgewalt in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden. Bei völkerrechtswidrigen Enteignungen (→ Enteignungsrecht, internationales) kann sich eine solche Schutzpflicht z. B. aus Art. 14 GG ergeben.
Aufgrund des Charakters der Maßnahme als Handlung im außenpolitischen Bereich besteht bei der Gewährung diplomatischen Schutzes allerdings ein weiter Ermessensspielraum der Bundesregierung (BVerfGE 40, 141 [177 f.]; 55, 349 [364 f.]), ob und mit welchen Mitteln sie diplomatischen Schutz gewähren möchte. Bei der Ermessenausübung haben neben den Interessen der verletzten Person u. a. wichtige Belange der Allgemeinheit und der außenpolitischen Beziehungen Berücksichtigung zu finden.
E Inhaltsverzeichnis
Enteignungsrecht, internationales
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
E › Effektivitätsprinzip (Marten Breuer)
Effektivitätsprinzip (Marten Breuer)
III. Anwendungsbeispiele