Bernhard Kempen

Europarecht


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Langenfeld, Vollharmonisierung des Flüchtlingsrechts in Europa, NJW 69 (2016), 1; K. Hailbronner/D. Thym, Grenzenloses Asylrecht? Die Flüchtlingskrise als Problem europäischer Rechtsintegration, JZ 71 (2016), 753; J. Henkel, Reform des Dublin-Systems, ZRP 50 (2017), 2; B. Huber, Umsetzung ausländer- und flüchtlingsrechtlicher Richtlinien der EU und die neue Dublin III-VO, NVwZ 33 (2014), 548; R. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017; V. Westphal/S. Brakemeier, Der Visakodex, NVwZ 29 (2010), 621; H. Winkelmann, 25 Jahre Schengen: Der Schengen-Acquis als integraler Bestandteil des Europarechts – Bedeutung und Auswirkung auf die Einreise- und Aufenthaltsrechte, ZAR 30 (2010), 213 (Teil 1), 270 (Teil 2).

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      Das europäische Aufenthalts- und Ausländerrecht findet seine primärrechtliche (→ Primärrecht) Grundlage in Art. 77 und 79 AEUV. Es regelt die Voraussetzungen, unter denen Drittstaatsangehörige das Unionsgebiet betreten und sich in einzelnen oder allen Mitgliedstaaten aufhalten dürfen. Das europäische Asylrecht, primärrechtlich in Art. 78 AEUV verortet, strebt eine möglichst weitgehende Harmonisierung der verfahrensrechtlichen und materiellen Voraussetzungen zur Gewährung internationalen Schutzes für verfolgte Personen an. Es kann auch als besonderes Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen verstanden werden.

      AAufenthalts-, Ausländer- und Asylrecht, Europäisches (Björn Schiffbauer) › I. Historische Entwicklung

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      Das europäische Aufenthalts- und Ausländerrecht ist ein besonderer Teil des Schengen-Besitzstandes. Seine historische Entwicklung ist daher parallel zu jener der → Schengener Abkommen verlaufen, auf die an dieser Stelle verwiesen wird.

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      Ähnliches gilt für das europäische Asylrecht. Bereits die Art. 28 ff. des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) in seiner ursprünglichen Fassung enthielten zahlreiche Bestimmungen zu asylrechtlichen Zuständigkeiten. Parallel dazu wurde jedoch auch schon das (erste) Dubliner Übereinkommen geschlossen, und zwar vier Tage vor dem SDÜ am 15.6.1990. Vertragsstaaten waren sämtliche zwölf Mitgliedstaaten der damaligen EWG. Mit diesem völkerrechtlichen Vertrag sollte der jeweils für die Prüfung eines Asylantrags zuständige Staat verbindlich festgelegt werden. Das Übereinkommen trat am 1.10.1997 in Kraft.

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      Parallel dazu setzte eine gewisse Vergemeinschaftung des Asylrechts ein. Zunächst wurde im Vertrag von Maastricht (in Kraft getreten am 1.11.1993; → Europäische Union: Geschichte) – dort Art. K.1 Nr. 1 – die Asylpolitik zu einer Angelegenheit von gemeinsamem Interesse erklärt. Tatsächlich in das (damalige) Gemeinschaftsrecht überführt wurde die Asylpolitik mit dem Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten am 1.5.1999), dort über dessen Art. 63 Nr. 1 und 2 EGV. Seitdem konnte – parallel zu den Entwicklungen der Schengener Abkommen – → Sekundärrecht auf dem Gebiet des Asylrechts erlassen werden. Dies geschah recht bald in Gestalt der VO (EG) Nr. 343/2003, die in Anlehnung an das Dubliner Übereinkommen auch Dublin-II-VO genannt wurde. Sie diente dazu, den Besitzstand des Dubliner Übereinkommens von der völkerrechtlichen auf die supranationale Ebene zu überführen. Es folgten zahlreiche weitere Harmonisierungen auf Sekundärrechtsebene.

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      Seit dem Vertrag von Lissabon (in Kraft getreten am 1.12.2009) existieren über die Europäische → Grundrechtecharta (GRCh) auf Unionsebene sowohl ein Grundrecht auf Asyl, Art. 18 GRCh, als auch ein Grundrecht auf Freizügigkeit für Unionsbürger (→ Unionsbürgerschaft), Art. 45 Abs. 1 GRCh. Überdies sind nunmehr primärrechtliche sedes materie des europäischen Aufenthalts- und Ausländerrechts Art. 77 und 79 AEUV, des europäischen Asylrechts Art. 78 AEUV. Beide Bereiche sind damit im unionsrechtlichen Gefüge zu Bestandteilen des → Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) geworden. In diesem Kontext ist als wichtigste Veränderung im europäischen Asylrecht der Erlass der sog. Dublin-III-VO – VO (EU) Nr. 604/2013, in Kraft getreten am 1.1.2014 als Nachfolgeregelung zur Dublin-II-VO – zu nennen.

      AAufenthalts-, Ausländer- und Asylrecht, Europäisches (Björn Schiffbauer) › II. Aufenthalts- und Ausländerrecht

II. Aufenthalts- und Ausländerrecht

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      Unter Aufenthaltsrecht wird hier die Summe der Rechtsnormen verstanden, welche die Berechtigung einer Person betreffen, die Grenze des Unionsgebiets zu überschreiten und in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der EU physisch zu verweilen. Dieses Recht verhält sich unabhängig von möglichen Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Union oder des Schengen-Raums (→ Schengener Abkommen); die tatsächliche Möglichkeit, eine EU-Binnengrenze ungehindert zu überschreiten, verleiht weder ein Recht zur Grenzüberquerung noch zum Aufenthalt in dem betroffenen Mitgliedstaat. Ein unbeschränktes Aufenthalts- und Freizügigkeitsrecht (→ Freizügigkeit, allgemeine) im gesamten Unionsgebiet genießen jedoch die Unionsbürger (→ Unionsbürgerschaft) gem. Art. 45 Abs. 1 GRCh, Art. 3 Abs. 2 EUV und Art. 21 Abs. 1 AEUV. Gleiches gilt aufgrund von Assoziierungsabkommen auch für Staatsangehörige bestimmter Drittstaaten, also v.a. für Staatsbürger der Schengen-Staaten, die nicht der EU angehören (Island, Norwegen, Schweiz, Liechtenstein). Dagegen ist das Aufenthaltsrecht für die Bürger aller anderen Drittstaaten differenzierter zu betrachten.

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      Die primärrechtlichen Regelungen zum EU-Aufenthaltsrecht finden sich in Art. 77 und 79 AEUV, sie sind also Bestandteil des RFSR. Sie flankieren den Grundsatz offener Binnengrenzen (→ Schengener Abkommen), indem sie den Rahmen dafür vorgeben, eine kontrollierte Einreise in das Unionsgebiet sicherzustellen und das Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger mit Inhalt zu füllen. Sekundärrechtlich werden diese Programmpunkte v.a. durch die sog. Visa-VO (VO [EG] Nr. 539/2001), den sog. Visakodex (VO [EG Nr. 810/2009) und den sog. Schengener Grenzkodex (VO [EU] 2016/399) konkretisiert. Während die ersten beiden Rechtsquellen im Kern die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt bestimmen, regelt letztere die Modalitäten der Einreise. Für den Anwendungsbereich dieses Sekundärrechts gelten die andernorts erläuterten Restriktionen (→ Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [RFSR], → Schengener Abkommen), insbesondere in Bezug auf Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich. Das europäische Aufenthaltsrecht ist in Deutschland in Form des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) – soweit erforderlich – umgesetzt worden.