Bernhard Kempen

Europarecht


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      AA sind aus außenpolitischer Perspektive u.a. im Zusammenhang mit den sog. nichtpräferentiellen Handelsabkommen gem. Art. 207 AEUV (→ Freihandelsabkommen) zu sehen. Gemeinsam mit diesen bilden sie das vertragliche Netz der Handelsbeziehungen der EU mit Drittstaaten. Aus handelspolitischer Sicht wird mit ihnen u.a. das Ziel des standard setting, das letztlich zu einer rechtlichen wie technischen Anpassung der Handelspartner an EU-Standards führen soll, sowie des Abbaus von Handelsbeschränkungen etwa anhand von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen verfolgt. Insofern stehen sie auch in einem Kontext mit dem WTO-Freihandelsregime (vgl. Art. XXIV (8) GATT; → Gemeinsame Handelspolitik; → Welthandelsorganisation [WTO]).

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      AA sind grundsätzlich weiterreichender und dauerhafter als privilegierte Handels- oder Kooperationsbeziehungen i.S.d. Art. 207 AEUV. Insbesondere Institutionen, die eine intensive politische wie wirtschaftliche Zusammenarbeit anhand von verbindlichen Durchsetzungsbeschlüssen ermöglichen sollen, weisen hierbei auf das Vorliegen eines AA i.S.d. Art. 217 AEUV hin. Die Tatbestandsmerkmale sind entsprechend zu prüfen (s. Rn. 123 ff.).

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      AA werden üblicherweise anhand ihrer politischen Fernziele typisiert bzw. in Unterkategorien eingeteilt. Unterschieden werden Beitritts-, Freihandels-, Entwicklungs- und Nachbarschaftsassoziierung. Diese Unterscheidung kann jedoch lediglich idealtypischer Natur sein. Für gewöhnlich verfließen die Grenzen zwischen den verschiedenen Abkommensarten angesichts ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung. Ferner enthalten die AA unabhängig von ihrem politischen Fernziel grundsätzlich Handelsregelungen in Gestalt etwa von Freihandels- oder Zollregelungen. Oftmals werden überdies auch freizügigkeitsrechtliche Regelungen aufgenommen, die eine Angleichung der Rechte von Bürgern der assoziierten Staaten gegenüber Unionsbürgern gewährleisten sollen.

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      Einen vergleichsweise neuen Typus stellen die jüngst mit Georgien, der Republik Moldau sowie der Ukraine geschlossenen Abkommen dar. Diese beinhalten starke wirtschaftliche, insbesondere Freihandelskomponenten, sind aber dennoch u.a. angesichts ihres Anspruchs, auch eine politische Transformation der assoziierten Staaten herbeizuführen (vgl. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) Ukraine-AA), als AA konzipiert. Eine Beitrittsperspektive enthalten diese Abkommen jedoch im Unterschied zu den übrigen mit Ländern Mittel- und Osteuropas abgeschlossenen Verträgen nicht.

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      Die Beitrittsassoziierung verfolgt das langfristige Ziel, die assoziierten Staaten in die EU aufzunehmen. Das AA selbst stellt hierbei regelmäßig lediglich ein vorbereitendes Instrument dar. Als Grundlage eines etwaigen, sich an die Assoziierung anschließenden → Beitritts (zur EU) dient regelmäßig ein gesondertes Beitrittsabkommen, das den Aufnahmeprozess rechtlich ausgestaltet.

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      Insbesondere mit Blick auf die Mittel- und Osteuropäischen Länder, die 2004 (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn) bzw. 2007 (Rumänien, Bulgarien) in die EU aufgenommen wurden, haben sich die AA in eine vollumfängliche interne Assoziierung verwandelt. Auch die sog. Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit den Staaten auf dem West-Balkan (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien) verfolgen die Zielsetzung einer Beitrittsassoziierung. Bis zu seinem Beitritt im Jahr 2013 zählte auch Kroatien zu den Vertragsparteien.

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      Auch das AA mit der Türkei, das bereits 1964 in Kraft trat, sieht eine Beitrittsperspektive vor. Über eine sog. Heranführungsstrategie wurde die Türkei schrittweise auf die Errichtung einer Zollunion und schließlich Beitrittsverhandlungen mit der EU vorbereitet, welche im Oktober 2005 aufgenommen wurden. Zwischenzeitlich wurde die Assoziierung anhand diverser Assoziationsratsbeschlüsse weiter intensiviert (vgl. etwa Art. 6 bzw. 7 Beschluss 1/80 u.a. zur Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer bzw. derer Familienangehörigen). Wann bzw. ob ein EU-Beitritt der Türkei erfolgen wird, ist angesichts aktueller politischer Spannungen zwischen der türkischen Regierung und einigen EU-Mitgliedstaaten aufgrund u.a. der menschenrechtlichen Lage in der Türkei derzeit jedoch äußerst fraglich.

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      Freihandelsassoziierungen sollen dem langfristigen Ziel des Aufbaus einer Freihandelszone zwischen der EU und dem jeweiligen Partner dienen. Eine besonders intensive Form stellt hierbei das EWR-Abkommen (→ Europäischer Wirtschaftsraum [EWR]) mit Liechtenstein, Island und Norwegen dar, dem vor ihrem EU-Beitritt auch Österreich, Schweden und Finnland angehörten. Es sieht eine umfassende Übernahme des Binnenmarktrechts der Union, einschließlich der Grundfreiheiten (→ Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren) vor.

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      Auch die vergleichsweise jungen Abkommen mit Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine sind als Freihandelsassoziierung zu klassifizieren. Zwar dienen sie auch Zielen der östlichen Nachbarschaftspolitik der EU, legen jedoch einen Schwerpunkt auf die Schaffung einer Deep and Comprehensive Free Trade Area, Art. 25 ff. Ukraine-AA. Eine solche sieht neben dem Abbau von Zöllen und sonstigen Einfuhrbeschränkungen auch andere weitreichende Harmonisierungen von Standards etwa im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe (vgl. Art. 148 ff. Ukraine-AA), der Wettbewerbspolitik (vgl. Art. 253 ff. Ukraine-AA) oder des Schutzes von Rechten an geistigem Eigentum (vgl. Art. 157 ff. Ukraine-AA) vor (→ Freihandelsabkommen).

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      Entwicklungsassoziierungen verfolgen entwicklungspolitische Ziele und weisen in der Regel asymmetrische Strukturen auf. Wie etwa die AKP-Abkommen (→ Entwicklungszusammenarbeit) sehen sie oftmals den einseitigen Abbau von Handelshemmnissen oder andere Privilegien zugunsten von sich entwickelnden Staaten vor, um Einfuhr und Absatz ihrer Ursprungserzeugnisse auf dem europäischen Binnenmarkt zu erleichtern. Auch das AA mit sechs zentralamerikanischen Staaten weist entwicklungspolitische Elemente auf, angesichts seines starken Schwerpunkts im handelsrechtlichen Bereich ist es jedoch nicht letztgültig in die hier aufgestellten Kategorien einzuordnen.

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      Die Kompetenz der Union, i.R.d. europäischen Nachbarschaftspolitik Abkommen mit Partnerstaaten abzuschließen, ist grundsätzlich in Art. 8 Abs. 2 EUV verankert. Dennoch wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl von Nachbarschaftsabkommen auf Art. 217 AEUV gestützt. Sofern dies der Fall war, gelten sie als AA. Ein Beispiel für die jüngste Generation dieser Nachbarschaftsabkommen sind die AA mit den Mittelmeeranrainerstaaten, welche die Beziehungen zwischen jenen und der EU intensivieren sollen. Die Abkommen enthalten verschiedene Elemente einer Freihandels- und Entwicklungsassoziierung.

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