Bernhard Kempen

Europarecht


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rel="nofollow" href="#ulink_af0f3421-0b63-50fd-b61b-f37f7429096f">Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung231 – 235

       a)Absolute Auslegungsgrenzen des mitgliedstaatlichen Rechts232, 233

       b)Relative Auslegungsgrenzen des Unionsrechts234, 235

      II.Grenzen der Auslegungszuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte236

      Lit.:

      M. Frisch, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 2001; O. Gänswein, Der Grundsatz unionsrechtskonformer Auslegung nationalen Rechts, 2009; H. D. Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 26 (1991), 211; M. Klamert, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 2001; K. Krieger, Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des deutschen Rechts, 2005; A. S. Metallinos, Die europarechtskonforme Auslegung, 1994; J. Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, 2011; M. Weber, Grenzen EU-rechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung, 2010.

      216

      

      Die Auslegung des nationalen Rechts ist ausschließlich Aufgabe der nationalen Gerichte. Das Recht der Mitgliedstaaten wird jedoch durch das Unionsrecht beeinflusst. EU-Recht und nationales Recht können sich dabei inhaltlich überschneiden. Für die → Auslegung des EU-Rechts ist nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV demgegenüber allein der Gerichtshof der EU zuständig (→ Gerichtssystem der EU). Insgesamt ist die Auslegung des nationalen Rechts in Bezug auf das Unionsrecht daher von einem Zusammenspiel der mitgliedstaatlichen Gerichte mit dem → Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprägt. Dazu wurde zum einen für die Gerichte der Mitgliedstaaten die Methode der unionsrechtskonformen Auslegung entwickelt (Rn. 217 ff.), zum anderen hat sich eine verzweigte Verteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen dem Gerichtshof der EU und den mitgliedstaatlichen Gerichten herausgebildet (Rn. 231).

      AAuslegung des nationalen Rechts (Nico S. Schmidt) › I. Unionsrechtskonforme Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts

      217

      Die unionsrechtskonforme Auslegung ist eine durch den EuGH entwickelte Interpretationsmethode, die von den mitgliedstaatlichen Gerichten angewendet werden soll (Rn. 218 ff.). Bezogen auf das deutsche Recht weist sie Ähnlichkeiten mit der Methode der verfassungskonformen Auslegung auf und wurde entsprechend mit dieser häufig verglichen. Inhaltlich darf die unionsrechtskonforme Auslegung nicht mit dem → Anwendungsvorrang des EU-Rechts verwechselt werden (Rn. 220 f.). Die unionsrechtskonforme Auslegung wurde über viele Jahre hinweg v.a. im Hinblick auf ihre Rechtsgrundlagen (Rn. 226 ff.), ihre Anwendungspflicht (Rn. 229 f.) sowie ihre Grenzen (Rn. 231 ff.) diskutiert.

      218

      Bei der unionsrechtskonformen Auslegung handelt es sich um eine Auslegungsmethode zur Interpretation des nationalen Rechts. Sie dient als ergänzende Methode zum jeweiligen nationalen Auslegungskanon. Notwendig wird eine unionsrechtskonforme Auslegung u.U. dann, wenn für die Entscheidung in einem mitgliedstaatlichen Verfahren als anwendbare Rechtsnormen sowohl mitgliedstaatliche als auch unionsrechtliche Regelungen in Betracht kommen und die Anwendung der einen oder anderen Norm zu unterschiedlichen Ergebnissen in dem Rechtsstreit führen würde.

      219

      Steht eine nationale Rechtsnorm mit dem Unionsrecht im Widerspruch, müssen die entscheidungserheblichen Rechtsnormen miteinander in Einklang gebracht werden. Aufgrund der Vorrangigkeit des Unionsrechts muss allerdings stets gewährleistet sein, dass die unionsrechtlichen Normen zumindest inhaltlich in vollem Umfang zum Tragen kommen. Diesen Ausgleich soll die unionsrechtskonforme Auslegung leisten. Hierbei wird die nationale Vorschrift „im Lichte des Unionsrechts“ interpretiert. Die Auslegung einer nationalen Vorschrift darf nach der unionsrechtskonformen Auslegung somit nur zu einem Ergebnis gelangen, welches mit der Regelung der Vorschrift des EU-Rechts inhaltlich übereinstimmt. Entschieden wird der mitgliedstaatliche Rechtsstreit jedoch weiterhin unter Anwendung der nationalen Rechtsnorm.

      220

      Die Auflösung eines inhaltlichen Widerspruchs zwischen einer mitgliedstaatlichen Regelung mit dem Unionsrecht könnte grundsätzlich auch über einen Anwendungsvorrang des EU-Rechts erfolgen. Dieser unterscheidet sich von der unionsrechtskonformen Auslegung jedoch v.a. im Hinblick auf die angewendete Rechtsnorm.

      221

      So wird beim Anwendungsvorrang des Unionsrechts die mitgliedstaatliche Rechtsnorm verdrängt und findet auf den konkreten Rechtsstreit keine Anwendung mehr (lex superior derogat legi inferiori). Bei einer unionsrechtskonformen Auslegung bleibt hingegen die mitgliedstaatliche Rechtsnorm weiterhin maßgeblich. Hierdurch erfährt der nationale Gesetzgeber eine stärkere Berücksichtigung. Daher ist die unionsrechtskonforme Auslegung gegenüber dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts vorzugswürdig. Der Anwendungsvorrang kann somit lediglich dann zum Tragen kommen, wenn eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht mehr möglich ist. Dies ist nur bei einer Kollision der relevanten Regelungen der Fall.

      222

      Der Sinn und Zweck einer unionsrechtskonformen Auslegung besteht im Wesentlichen darin, rechtliche Kollisionen zwischen nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften zu vermeiden. So werden die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen dadurch geschont, dass das nationale Recht durch die unionsrechtskonforme Auslegung nicht ausgehebelt wird und – in unionsrechtskonformer Lesart – weiterhin anwendbar bleibt.

      223

      Das Verhältnis der unionsrechtskonformen Auslegung zu den klassischen Auslegungsmethoden wird unterschiedlich bewertet. Teilweise wird die unionsrechtskonforme Auslegung als Korrektiv innerhalb der klassischen Argumente verstanden, teilweise aber auch als eigenständige Methode außerhalb des Kanons