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Theorien der Literatur VII


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Als prominente Beispiele seien nur der Drache auf Paolo Uccellos Darstellung des Heiligen Georg von 1470 oder jener auf Raffaels Heiliger Margarete erwähnt. In der Bildpraxis, Drachen als Mischwesen aus Merkmalen verschiedener, potentiell für den Menschen gefährlicher Tiere zu gestalten, verweist der Schlangenschwanz nicht nur auf die in der Genesis begründete negative Assoziation der Schlange.1 Insbesondere in der Spätrenaissance, als sich gewundene Bewegungen als stilistisches Prinzip etablierten, geriet die Schlangenform, die Figura serpentinata, in den Fokus der Kunsttheorie. Bereits Leonardo da Vinci hat in seinen Tierstudien über diese Windungen als ein motorisches Prinzip der Tierwelt nachgedacht; auf einem Studienblatt, das mehrere Federskizzen von Drachenkämpfen zeigt, notierte er: „Die schlangenartige Bewegung ist die vorrangigste Bewegung bei Tieren und ist zweifach, denn die erste erfolgt längs, die zweite der Quere nach.“2 Und 1584 empfahl Giovanni Paolo Lomazzo bekanntlich die Schlangenwindung in seinem Trattatto dell’arte della pittura als eine Grundlage des Gestaltideals, wofür er als Zeugen immerhin Michelangelo aufrief; für Lomazzo war die Anwendung der Schlangenlinie nichts weniger als „das ganze Geheimnis der Malerei.“3

      War die formale Betonung der Schlangenbewegung im 16. Jahrhundert also von der Kunsttheorie verbürgt, erklären Quellen der selben Zeit auch den besonderen Gehalt des Schlangenschwanzes als Symbol für List und Tücke. So zeigt eine Allegorie des Irrglaubens von Antonius Eisenhoit die personifizierte Häresie als schöngewachsenen Frauenakt, der jedoch mit Hirschhufen und Eselsohren sowie den Köpfen eines Drachens und eines Stiers zum Mischwesen mutiert. Neben Bibel, Rosenkranz und Geldbeutel ist ihr ein Mantichor als Begleittier zur Seite gestellt. Von besonderem Interesse ist jedoch der lange Schlangenschwanz, der der Häresie aus dem Steißbein wächst und, zu zwei Rollen gewunden, im rechten Vordergrund in Form einer Pfeilspitze ausläuft. Eine Beischrift erläutert die Bedeutung der einzelnen Motive. Drachenkopf und Stierkopf stünden demnach für Irrlehre und Wildheit, Bibel und Rosenkranz für den erlogenen Gottesnamen und Scheinheiligkeit, der Geldbeutel für Gier. Der Schlangenschwanz schließlich verdeutliche Hinterhalt: „Cauda serpent insidias.“4

      Der gerollte Krokodilschwanz auf dem Straßburger Flugblatt mag nur ein Beispiel für die Verzerrung naturkundlichen Wissens auf der populären Ebene des 16. Jahrhunderts sein; tatsächlich folgte auf ihn eine in Antwerpen angefertigte Kopie, auf der das Krokodil jedoch aus einem Gewässer steigt, sodass der Schwanz nicht zu sehen ist. Damit ist nicht nur die offenbar auch von Zeitgenossen für unwahrscheinlich befundene Darstellung eliminiert, sondern zugleich auf die amphibische Lebensweise von Krokodilen hingewiesen. Der Text auf dem Antwerpener Flugblatt beinhaltet denn auch nicht die Geschichte des Drachentöters, sondern eine niederländische Übersetzung des entsprechenden Abschnitts aus Münsters Cosmographia.5 Doch obwohl dieses Flugblatt belegt, dass im 16. Jahrhundert durchaus an der Darstellung von Krokodilen mit gerollten und gewundenen Schwänzen gezweifelt wurde, hielt diese sich, konsolidiert von Kunsttheorie und Symboldenken, mit erstaunlicher Beharrlichkeit.

      5. Gessner, Ligozzi und Camerarius

      Ihrer Wirkung vermochte sich offenbar auch Konrad Gessner nicht zu entziehen, der den Eintrag über Krokodile in seinem Thierbuch mit zwei Holzschnitten illustrieren ließ, deren größerer ein Nilkrokodil mit einem wenn nicht gerollten, so doch S-förmig nach oben geschnellten Schwanz zeigt. Die Darstellung widerspricht zunächst Gessners Beschreibung der Tiere, die nach einem Überblick über die Nomenklatur in den europäischen Sprachen hauptsächlich antike Kenntnisse über äußere Merkmale, Verhalten, Verbreitung und Fortpflanzung auflistet, um anschließend auch Besonderheiten wie die Nutzbarkeit von Krokodilen in Küche und Pharmazie zu nennen. Unter den Merkmalen betont Gessner insbesondere die harte Panzerung der Krokodile mit Schuppen, die sie annähernd unverletzbar mache und auch den Schwanz überziehe. In der Kompilation aller verfügbaren Quellen bleiben Gessners Ausführungen selten ohne innere Widersprüche, und so bietet auch sein Kapitel über Krokodile einige Ungereimtheiten, denn auf die Beschreibung des Krokodils als panzerstarrendes Geschöpf folgt eine Szene, in der es ebenso grausam wie agil erscheint:

      Aber wann die vom Hunger wütend werden/sollen sie sich so grausam erzeigen/daß sie mit einem Schlag ihres Schwanzes auch die allerstärcksten darnieder schlagen/und sie so dann im Grimm aufffressen.1

      Auch wenn dieser Passus nicht behauptet, dass Krokodile ihre Schwänze wie auf den Bildern recken und rollen könnten, gibt er einen vagen Hinweis auf die mögliche Verbreitung entsprechender Vorstellungen; sie mag von den zeitgenössischen Bildern angeregt gewesen sein.

      Zu den spektakulärsten Krokodildarstellungen dieser Zeit zählt ein Aquarell aus dem Besitz Erzherzog Ferdinands II.2 Das heute Jacopo Ligozzi zugeschriebene Blatt zeigt ein Krokodil in Seitenansicht vor einer Flusslandschaft. Die Merkmale des Krokodils sind naturnah erfasst, insbesondere die Zähne, die Nackenspalte sowie die mit Schwimmhäuten verbundenen Zehen des hinteren Beinpaars. Allerdings ist der Körper des Tiers caudal nach oben gerichtet; aus der Bewegung ergibt sich ein Schwung, in dem der Schwanz in anatomisch unmöglicher Enge nach vorne gebogen ist. Zwei Details scheinen das Tier in einen erzählerischen Zusammenhang zu setzen: In Hintergrund der Landschaft befindet sich eine antikisierend gestaltete Stadtansicht, den linken Vordergrund schließt hingegen ein Haufen menschlicher Knochen ab, darunter ein Schädel und eine Hand.

      Das Bild zählte zu einem Konvolut von 100 Blättern, die Ferdinand II. bei Ligozzi in Auftrag gegeben zu haben scheint.3 Sie zeigen überwiegend adriatische Meeresfauna; die Tiere sind überwiegend in Seitenansicht vor neutralem Hintergrund oder allenfalls auf der Andeutung eines Sandstrandes angeordnet sind. Nur eine kleine Gruppe des Codex weist eine umfangreichere landschaftliche Einfassung auf. Wie die Zeichnungen, die Ligozzi für Aldrovandi geschaffen hat, belegt auch diese Sammlung den erkenntnistheoretischen Wert der Bilder, deren Informationsgehalt allein aus Ligozzis präziser Erfassung entsteht.4

      Das Krokodilblatt nimmt einen hybriden Status ein, da nicht die Konzentration auf das Tier, sondern die landschaftliche Kontextualisierung es charakterisiert. Christina Weiler meint in den Knochen im Vordergrund die ikonographische Andeutung einer Seelenwanderung zu erkennen, bei der das Krokodil eine Reinkarnation des verstorbenen Menschen darstelle.5 Eher scheint der Knochenhaufen jedoch auf das Potential des Tiers hinzuweisen, Menschen zu fressen; vergleichbare Fraßattribute finden sich auf zahlreichen Darstellungen von Raubtieren im 16. Jahrhundert.6 Die Ruinenkompartimente im Hintergrund mögen hingegen, wie Weiler schreibt, in einem gängigen ikonographischen Sinn auf das Wiederaufleben der Antike und nicht zuletzt die damit verbundene Neubewertung auch der antiken Naturkunde verweisen;7 die auffälligen Obelisken dürften allerdings auch als Verweise auf Ägypten als Verbreitungsgebiet von Krokodilen zu verstehen sein.8 Selbst im Kontext einer zoologischen Bildersammlung hat jedenfalls die Anatomie der Krokodile den Künstlern Schwierigkeiten bereitet. Auch hier deutet die übermäßige Biegung des Hinterleibs auf die gängige Verzerrung der Darstellung.

      Die Naturgeschichten Gessners und Aldrovandis hatten ab dem späten 16. Jahrhundert Kompendien bereitgestellt, die über eine rein naturkundliche Erfassung der Arten hinausgingen; gerade die kulturgeschichtlichen Erweiterungen um Sprichwörter und Symbolwert speisten Material in den frühneuzeitlichen Naturdiskurs ein, das in Allegorien umgesetzt wurde.9

      Exemplarisch sind die bereits erwähnten Symbola et Emblemata von Joachim Camerarius, eine vierteilige Reihe von Emblembüchern, die ausschließlich Naturmotive beinhalten. Die einzelnen Bücher sind, da sie je einhundert Embleme beinhalten, als Zenturien bezeichnet; das erste behandelt Pflanzen, die drei übrigen die Tiere der Erde, des Himmels und des Wassers. Als bestechende Leistung dieser Bücher wird heute die Exaktheit zahlreicher Pflanzendarstellungen gewürdigt; als Arzt und Botaniker war Camerarius das Studium in einem eigenen Kräutergarten möglich; überdies bezog er Informationen aus der Korrespondenz mit Gelehrten wie Aldrovandi, Francesco Calzolari und Carolus Clusius.10

      Trotz dieser empirischen und um Aktualität bemühten Methoden zeigen die Symbola et Emblemata das Fortleben der mittelalterlichen Allegorese unter neuen Gesichtspunkten auf, denn der ordnende Gedanke des Werks besteht in der Suche nach dem verschlüsselten Sinn hinter der sichtbaren Erscheinung der Natur. Dieser ist jedoch nicht theologisch orientiert, sondern ethisch, denn der Körper und seine Triebe erscheinen als Herausforderung, der nur durch eine kontemplative Lebensweise zu begegnen sei.11

      Camerarius