Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels


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dem Fastnachtspiel, sondern hauptsächlich der Dichtung seiner Tragedis und Comedis, die vor allem auf neulateinischen und antiken Vorlagen und dem Dekameron beruhen. Daraus folgt die Annahme, dass Sachs nicht nur stoffliche, sondern auch formale Anleihen aus der humanistischen Gelehrtenkultur im direkten Übertragungsprozess in seine Tragedis und Comedis übernahm und weiterführend selbstständig ohne Bindung an die Vorlage in das Fastnachtspiel integrierte.

      Die Erarbeitung einer historischen Tiefendimension, die die tatsächliche produktionspoetische Kompetenz plausibel nachzeichnet, setzt die Beschränkung auf ein Einzelphänomen voraus. Hierfür eignet sich der Theatermonolog in besonderer Weise, weil das monologische Selbstgespräch einer Bühnenfigur in großer Zahl und Vielfalt in den Werken von Sachs vorzufinden ist – im älteren Bestand der Nürnberger Fastnachtspielüberlieferung fehlt diese literarische Technik dagegen ganz; hier gibt es nur Ansprachen ans Publikum, vor allem in Prologen und Epilogen.11

      Unter allen Literarisierungsphänomenen ist das Selbstgespräch als ausgesprochen ‚künstliche‘ Technik der Innenweltdarstellung auf der Bühne das markanteste, das sich in den erhaltenen 85 Fastnachtspielen von Sachs 347 Mal nachweisen lässt.

      1.1 Vorgehen und Thesen

      Teil A dieser Arbeit entfaltet im Anschluss an definitorische Fragen eine phänomenologische Beschreibung dieser Monologe, indem eine Typologie bereitgestellt wird, die aus allen Fundstellen monologischer Figurenreden in den Fastnachtspielen erarbeitet wurde. Sie kategorisiert die handlungsbezogenen und strukturell-gliedernden Funktionen, die im Anschluss in einer exemplarischen Vergleichsanalyse des Fastnachtspiels G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn mit seiner vorreformatorischen Fastnachtspiel-Vorlage dargestellt werden.

      Die exemplarische Beschränkung auf den Monolog ermöglicht die Berücksichtigung weiterer literarhistorischer Horizonte und ihrer Traditionszusammenhänge, wie sie die Untersuchung der Tragedis und Comedis aus den Jahren 1527–1549 und ihrer Vorlagen in Teil B dieser Arbeit liefert. Aufschlussreich ist hier der Vergleich des jeweiligen Spieltextes mit seiner unmittelbaren Textvorlage indes nur in Relation zur postulierten Entwicklung der poetologischen Kompetenz, verstanden als einem sowohl rezeptiven als auch produktiven Aneignungsprozess. Entsprechend wird dafür die in den Fastnachtspielen verwendete Monologtechnik auf ihre mögliche Grundlegung in den Comedis und Tragedis hin befragt. Als Untersuchungsfolie dient die aus den Fastnachtspielen abgeleitete Monolog-Typologie. Den für die Fastnachtspiele maßgeblichen Aneignungsprozess in den Jahren vor 1550 zu sehen, gründet darin, dass Sachs 1544 den Monolog im Fastnachtspiel zum ersten Mal verwendete und bis 1549 nur weitere sechs Male einsetzte, danach hingegen extensiv.

      Teil B der Arbeit begründet die These: Hans Sachs hat die verschiedenen Monologfunktionen aus den neulateinischen und antiken Vorlagen und aus dem Dekameron in die Tragedis und Comedis der Jahre 1527–1549 transferiert und für sich soweit adaptiert, dass er sie selbstständig im Fastnachtspiel, hier nun auch ohne Monologvorlagen, einsetzen konnte. Unter dem Aspekt der Verfahrensweisen verdankt sich die Literarisierung des Fastnachtspiels deshalb poetologiehistorisch den Angeboten der humanistischen Gelehrtenkultur.

      Teil C dieser Arbeit wendet sich der exemplarischen Analyse der Monologfunktionen in Fastnachtspielen zu, davon haben drei Fastnachtspiele eine epische Vorlage – Johannes Paulis Schimpf und Ernst, Ulenspiegel und das Dekameron – und eines keine Vorlage. Die Differenzierung zwischen schwankhaft-unterhaltsamer Handlung (delectatio) und expliziter Moralisierung (utilitas) kann in diesem Zusammenhang durch poetologisch genauere Analysen abgelöst werden, so dass jeweils an einem Fastnachtspiel exemplarisches Erzählen, die Figurenkonzeption, die Vermittlung von Zeit und Ort und die Erzeugung von Komik nachgezeichnet wird.

      Teil C liegt die These zugrunde: Weil die Texte ihre Vorlagen eher aus der volkssprachlichen Literaturtradition beziehen oder, im Unterschied zu den Comedis und Tragedis, gar keine unmittelbare Textvorlagen haben, wird die poetologische Dimension nun gewissermaßen von der stofflichen Bindung an die Rezeption antiker und neulateinischer Dramen abgelöst. Sachs setzt die poetologischen Kompetenzen für die Monologtechnik im Fastnachtspiel weitgehend selbstständig ein, um schwankhafte Handlungskonstruktionen mit lehrhaftem Gehalt zu vermitteln.

      Damit wird ein Prozess greifbar, bei dem die über die Textvorlagen der Comedis und Tragedis vermittelte humanistische Formkultur und die reformatorisch geprägte Wissensvermittlung auf durchaus eigenständige Weise zu funktionaler Konvergenz gebracht werden.

      Das Jahr 1550 markiert eine Grenze, die eine Erweiterung des poetologiehistorischen Anteils der Untersuchung um einen kulturhistorischen erfordert. Von diesem Zeitpunkt an ist es Sachs und seiner vom ihm geleiteten Spieltruppe möglich, seine dramatischen Werke auf einer festen Bühne aufzuführen. Von der Rekonstruktion der Bühne und Spielorte abgesehen, stellt sich damit die Frage, wie sich in der Anlage der Fastnachtspiele Form und Funktion des Monologs zu einer vom Zuschauerraum abgegrenzten Bühnenform verhalten.

      Die These für den ersten kulturhistorischen Untersuchungsabschnitt D (1) lautet: Der in der Comedi- und Tragedi-Produktion vollzogene Aneignungsprozess der poetologischen Techniken findet in der festen Bühnenform die notwendige Grenze zum Publikum, um mittels Sukzession und Konzentration eine geschlossene Handlungskonstruktion mit fiktiver Spielrealität aufführbar zu machen. Der Monolog sichert das Verständnis der Rezipienten für den Fortgang der Handlung.

      Der zweite kulturhistorische Abschnitt greift die zwischen Autor und Rezipienten wechselseitig vermittelten Konventionen und Codes auf. Das Fastnachtspiel wird in eine vergleichende Untersuchung einbezogen, mit der die Mehrfachbearbeitungen desselben Stoffes – das Kälberbrüten – analysiert werden: Als Meisterlied, Spruchgedicht und Fastnachtspiel. Gefragt wird, in welcher Weise Sachs unterschiedliche mediale Vermittlungsformen und Rezipientengruppen bediente und welche Funktionen dem literalisierten Fastnachtspiel dabei zukommen.

      Die These für Untersuchungsabschnitt D (2) lautet: Die Literarisierung des Fastnachtspiels gewinnt ihre kulturelle Bedeutung zusätzlich zur Vermittlung von Stoffen aus der gelehrten Bildungstradition an ein bildungsferneres Publikum aus der Einübung davon abgelöster, auf Stoffe einfacherer volkssprachlicher Gattungen projizierter literarischer Verfahrensweisen. Neben die Übereinstimmungen in den tugendethischen Konzeptionen mit der humanistischen Gelehrtenkultur tritt die produktive Rezeption literarischer Verfahrensweisen, mit der der poetologisch kompetente Autor auch die Rezeptionskompetenz seines Publikums schult.

      Ausgehend von einer Typologisierung der Monologfunktionen wird somit in dieser Untersuchung anhand der Aneignung und der Anwendung des Monologs als wesentliches Signum der Literarisierung des Fastnachtspiels ein Prozess rekonstruiert, der Teil einer literalen Strategie und damit auch eines Autorschaftsbildes wird, bei dem der Autor neben der Stoffvermittlung auch eine Formvermittlung im Sinn hat.

      Dokumentiert wird eine sicher nicht hochkomplexe, aber doch als solche identifizierbare verfahrenstechnische Humanismusrezeption durch Sachs, mit der er sich in der Spannungssituation eines ‚hypoliteralen‘ Publikums zwischen Oralität und Literalität auch als ‚medialer Übersetzer‘ gelehrter Literaturtraditionen in die Theatralität zeigt.

      Die phänomenologische Bestimmung des produktionspoetologischen Prozesses basiert auf der jeweiligen Textgestalt der Fastnachtspiele und macht den Aneigungsprozess einer Literaturtradition anhand des Einzelphänomens ‚Theatermonolog‘ greifbar.

      Die Analyse poetischer Techniken in Fastnachtspielen ist in älteren quellengeschichtlichen Untersuchungen, die alle drei Dramentypen in den Blick nehmen, und der bisherigen jüngeren Forschung, die sich auf die Dramentechnik in den Comedis und Tragedis einschließlich ihrer historischen Voraussetzungen fokussiert, ein Forschungsdesiderat geblieben, wenngleich es anschlussfähige Grundlagen gibt.

      1.2 Forschungsstand zum Monolog und zur Dramentechnik von Hans Sachs

      Von der frühen Sachs-Forschung1 des beginnenden 20. Jahrhunderts sind die Arbeiten von Eugen Geiger Hans Sachs als Dichter in seinen Fastnachtspielen im Verhältnis zu seinen Quellen betrachtet (1904), Erwin Roessler The soliloquy in German drama (1905)