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Zwischen Orient und Europa


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der westlichen Kultur, an denen die Üperlappungen zwischen Orient und Okzident besonders hervortraten.

      Die letzten zwei Beiträge gehen Aspekten des orientalistischen Diskurses nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoah auf die Spur. In ihrem Celan gewidmeten Beitrag verfolgt Camilla Miglio (Rom) einen geopoetischen Ansatz, um die semantische Vielschichtigkeit des Wortes ,Osten‘ bei Paul Celan auszuloten. Wie es sich besonders in den Briefen an die rumänischen Freunde zeigt, verwende Celan das Wort ,Osten‘ während seiner Pariser Jahre als Negation seiner westlichen politischen und kulturellen Umwelt, in der er sich nie heimatlich fühlte. Er habe deshalb – ähnlich wie Kafka oder Roth – einen inneneuropäischen Orientalismus entwickelt, dessen semantische und begriffliche Tragweite im Wort ,Ägypten‘ zur Sprache kommt. Ägypten bezeichne einen „A-Topos“, einen Zwischenraum, der sich weder mit ,Exil‘ noch mit ,Heimat‘ identifizieren lasse. Anhand von Elias Canettis Die Stimmen von Marrakesch legt Giulia A. Disanto überzeugend nah, wie Canettis Reise als Suche nach einem Ursprung zu verstehen ist, der mit den eigenen sephardischen Wurzeln eng verbunden ist. Sie sei deshalb von tiefen Ambivalenzen gezeichnet, weil Canettis jüdische Identität dem ,Westen‘ zuzuschreiben sei. Das stelle Saids West-Ost-Dichotomie in Frage, obwohl die Erzählstimme einen westlichen Standpunkt annimmt. Auch die Grenzziehung zwischen Fremdem und Eigenem beginne im Laufe der Reise zu bröckeln.

      Der vorliegende Band versammelt die Beiträge des Humboldt-Kollegs „Zwischen Orient und Europa: Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert“, das vom 3. bis 5. November 2016 am Istituto Italiano di Studi Germanici in Rom stattfand. An der Tagung nahmen HumboltianerInnen und andere AkademikerInnen aus Europa und aus Israel teil. Die Tagung wurde von den Herausgeberinnen organisiert. Die Vorbereitung und die Durchführung der Konferenz wären ohne die Unterstützung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nicht möglich gewesen. Ihr gilt an dieser Stelle unser besonderer Dank. Unserem Gastgeber, dem Istituto Italiano di Studi Germanici, und dessen Leiterin, Prof. Dr. Roberta Ascarelli, sei ebenfalls herzlich gedankt. Ziel der Tagung war es, im Austausch der eingeladenen WissenschaftlerInnen – vom Orientalismusdiskurs ausgehend – das breite Spektrum und die Vielfalt deutsch-jüdischen Lebens im 19. und 20. Jahrhundert zu beleuchten und neue interdisziplinäre Perspektiven zu eröffnen. Bei der Herausgabe der Beiträge haben die Herausgeberinnen die drei Tagungssprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch) bewusst beibehalten.

      Die Publikation dieses Buches wurde durch einen substantiellen Kostenzuschuss der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglicht, bei der wir uns auch dafür aufrichtig bedanken möchten.

      Bari/Berlin/Rom, Mai 2018

      Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem1

      Dominique Bourel

      Mohamed Arkoun in memoriam

      Die Frage nach der jüdischen Orientalistik ist seit etlichen Jahren akut geworden. Nicht jene Bewegung in der Malerei ist damit gemeint, die sich mit orientalischen Themen und Motiven auseinandersetzte, sondern die Geschichte der Orientforschung bei jüdischen Philologen, Philosophen oder Historikern. Unmittelbar nach der Entstehung der Wissenschaft des Judentums anfangs des 19. Jahrhunderts in Deutschland fragte Abraham Geiger 1833: Was hat Mohammed aus dem Judenthume genommen2. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben jüdische Gelehrte ihre Aufmerksamkeit dem Islam gewidmet. Dazu gibt es verschiedene Gründe. Wir wissen, dass ein Großteil der jüdischen Geschichte auf islamischen Boden stattfand und auf Arabisch geschrieben wurde. Fromme Juden, die nicht Rabbiner werden wollten, fanden in der Islamwissenschaft eine neue Bildungsnische. Die Jungen, die Hebräisch konnten und an der Universität eine andersweitige klassische Bildung erhielten (Griechisch und Latein), hatten die beste Voraussetzung, gute Orientalisten zu werden.

      Wir werden unsere Ausführungen in zwei Teilen darstellen: In einem europäischen Teil mit Schwerpunkt Frankreich und einem zweiten Teil über Jerusalem. In beiden Fällen war die deutsche wissenschaftliche Bildung grundlegend, und die Wissenschaft des Judentums eng mit der Islamkunde verknüpft, was heute aus verschiedenen Gründen weniger der Fall ist.

      Deutsch-jüdische Orientalisten in Frankreich

      In Deutschland wurde die Arabistik im Rahmen der Semitistik unterrichtet. Da Deutschland keine Kolonien besaß, wurde die Kenntnis der arabischen Sprachen und Kunde zur rein akademischen Angelegenheit. In Frankreich waren die Bedingungen ganz unterschiedlich, weil seit 1830 Algerien ein Teil des Französischen Reiches und später der Republik wurde. Inzwischen kennen wir – dank der Bücher von Henry Laurens, Alain Messaoudi und François Pouillon3 usw. – die Geschichte des französischen wissenschaftlichen Orientalismus ziemlich gut. Diese Studientradition wurde von Raymond Schwab mit seinem epochemachende Buch La renaissance orientale eingeleitet.4 Man kann aber schon früh den wissenschaftlichen Austausch und die Konkurrenz zwischen Franzosen und Deutschen, Juden oder Nichtjuden beobachten.5

      Zu diesem institutionsgeschichtlichen Ausblick sollten wir hinzufügen, dass die Orientalistik in Deutschland meistens an den Universitäten vertreten war. In Frankreich wurde sie sowohl am Collège de France6 als auch an der Ecole des langues Orientales7 und dann an der École Pratique des Hautes Études (EPHE) nach dem deutschen Modell gegründet8 und gelehrt. Da in Frankreich die Universität sich allmählich eher in eine Diplomfabrik entwickelte, war die EPHE als eine Institutionalisierung der angestrebten Harmonie zwischen Forschung und Lehre konzipiert, mit der berühmten Erfahrung der ,Seminare‘, die nicht als Vorlesungen konzipiert waren. Deswegen heißt die École – die in der Sorbonne beheimatet ist – pratique. Besonders nach dem Preußisch-Französischen Krieg, bei dem bekanntwerweise nicht nur die Armee, sondern auch die Lehrer (instituteurs) gewonnen hatten, wurde die École erweitert. Und dort fand man Juden aus Deutschland, die in ihrer Heimat keinen Platz erhalten hatten.9 Heute noch ist die EPHE ein Ort, an dem die neuen Disziplinen Eingang in den Lehrbetrieb finden, bevor sie an der Universität anerkannt werden.

      In Frankreich wurde ein Teil der Orientalistik und der Wissenschaft des Judentums zum Schlachtfeld zwischen Franzosen und Deutschen, besser gesagt: zwischen Katholiken und Protestanten! Es fängt im Grunde genommen schon mit Antoine-Isaac Silvestre de Sacy (1758-1838)10 an. Im Deutschland des 18. Jahrhunderts wurde die Entwicklung der Orientalistik in eine von den Bibelstudien emanzipierte Wissenschaft zur neuen Aufgabe des Faches. Allmählich emanzipierte sich die Arabistik von der Hebraïstik und der Theologie und dank mehrerer wissenschaftlicher Reisen, linguistischer Entdeckungen und des konsequenten Wissenszuwachses entstand ein neues Forschungsfeld. Der erste Aufsatz von Silvestre de Sacy wurde in Deutschland veröffentlicht, aber zu ihm strömten viele deutsche Orientalisten.

      Inzwischen hatte die französische Revolution die Juden emanzipiert. Preußen und andere deutsche Staaten wollten auch ähnliche Prozesse in die Wege leiten, änderten aber sehr schnell – besonders nach 1815 – den Kurs oder legten gar diesen Plan ad acta. Das erklärt die Masse deutscher Flüchtlinge, die nach Frankreich und besonders nach Paris kamen. Darunter befanden sich zahlreiche Juden. Im Rahmen der Transfer-Studien11 sind bereits viele Publikationen zu diesem Thema entstanden. Selbstverständlich bleibt es für die Orientalisten nach wie vor von großer Bedeutung.

      Um die Unterschiede zwischen der französischen und der deutschen Forschungsmentalität besser zu veranschaulichen, auf welche die ausgewanderten Wissenschaftler stießen, werde ich nun ein Beispiel aus einem anderen Bereich, der Philosophie, anführen. Es betrifft Kant. Wilhelm von Humboldt, der damals in Paris weilte, hatte mit den besten Köpfen der französischen Philosophie diskutieren wollen. Also wurde er kurzerhand zu einem Gespräch eingeladen: Am 17. Mai 1798 fand sein erstes metaphysisches Gespräch mit Destutt de Tracy statt, das dann am 27. Mai – anläßlich einer Methaphysik-Konferenz, zu der Tracy eingeladen wurde – seine Fortsetzung fand. Wilhelm von Humboldt sollte dabei einfach die deutsche Metaphysik darstellen. Sein Fazit war katastrophal! An Friedrich Schiller schrieb er am 23. Juni 1798 über die französischen wissenschaftlichen Gepflogenheiten: „Ihre Vernunft ist nicht unsere, ihr Raum ist nicht unser Raum, ihre Einbildungskraft nicht die unsrige.“12 Ich glaube auch, dass die für unsere Disziplin so relevanten Begriffe von Text, Urtext, Tradition, Wahrheit in Deutschland und in Frankreich eine unterschiedliche Bedeutung haben. Auch die Kataloganordnung in den Bibliotheken erteilte damals Aufschluss