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Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert


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des ersten und dritten Aktes widersprechen diesem Schema: Eine Reihe von „Geister[n] erscheinet und erhellet mit ihren Fackeln das Theater“.11 Ihr Gesang thematisiert einerseits menschliche Heimsuchungen (wie Mord, Krieg und Pestilenz), andererseits die Schrecken und das Unbegreifliche der jenseitigen Welt. Diese Inszenierung übernatürlicher Erscheinungen, deren Wahrheit textimmanent nicht in Frage gestellt wird, kontrastiert mit der Gestalt des Poltergeistes, der, wie eingangs gezeigt, bereits zu Beginn des Stückes als bewusste Täuschung enthüllt wird und so die Existenz von Kräften, welche die sinnlich wahrnehmbare Welt übersteigen, negiert.

      Auf diese Weise veranschaulichen die „Gespenster von unterschiedenen abscheulichen Mißgestalten“,12 dass das Schauspiel nicht als ein inhaltlich oder formal geschlossenes Kunstwerk angelegt ist, sondern auf die Unterhaltung seines Publikums durch Effekte sowie überraschende Momente und Wendungen ausgerichtet ist. Zugleich wird sichtbar, dass die Motive, die auf den englischen Bühnen nach William Shakespeare verbreitet waren – wie eben das Auftreten übernatürlicher Erscheinungen (Hexen, Geister, Feen) –, durch wandernde Schauspieltruppen auch auf dem Kontinent bekannt wurden und schließlich Eingang in das deutschsprachige Theater des 17. und 18. Jahrhunderts fanden. Die ästhetische Signifikanz und gedankliche Programmatik, die ihnen im Werk Shakespeares zukommt, sind im Prozess dieser popularisierenden Bearbeitungen und Adaptionen allerdings der Präferenz für die Wirkung der Bühnenerscheinungen auf das Publikum gewichen.

      Weil die Auftritte der Geister jeweils am Ende des letzten Auftritts eines Aktes stehen, können sie jedoch auch als Zwischenspiele gedeutet werden, welche die zeitlichen Pausen überbrücken, die für den Kulissen- und Kostümwechsel notwendig sind. In diesem Sinne sind die beiden Szenen nicht im Hinblick auf ihren möglichen Verweischarakter oder einen allegorischen Bezug zur Handlung des Polter-Geistes zu untersuchen, vielmehr sind sie ein weiteres Indiz für die Herkunft des Werkes aus dem Repertoire einer Wanderbühne. Hier waren Intermezzi allein aus dem Grund beliebt, weil sie die Möglichkeit eröffneten, dem Publikum auch solche Effekte oder schauspielerische Fähigkeiten vorzuführen, die im Hauptstück nicht dargeboten werden konnten.

      Das Supplement, das dem Werk auf den Seiten 137 bis 151 beigegeben ist, ist ebenfalls in einem solchen Zusammenhang zu verorten, denn die launige Ballade über den „Wein-Jud Simon Gabriel“ steht in keiner inhaltlichen Beziehung zu den Handlungen des Polter-Geistes.13 Als ein derbes, ebenfalls possenhaftes Nachspiel gelesen, verweist der lyrische Monolog somit auch auf den Ursprung des Werkes im Repertoire einer Wandertruppe.

      VII.

      Warum das Stück 1722 in dieser Form zum Druck befördert wurde, ist nicht zu erklären. Die umherziehenden Schauspielgesellschaften hatten wenig Interesse daran, ihren jeweiligen Bestand an Stücken öffentlich und damit auch anderen Truppen zugänglich zu machen. Auch der possenhaft-burleske Charakter des Werkes, das die Konventionen der traditionellen Komödie hinter sich lässt, spricht gegen eine Publikation. Andererseits schmückt sich der unbekannte Verfasser nur allzu deutlich mit Gräzismen, so dass der Bildungshorizont, auf den solchermaßen verwiesen wird, denjenigen des Publikums, welches das Stück zu adressieren scheint, übersteigt.1

      Ein Blick auf die Geschichte der Schauspielbühnen im Straßburg des frühen 18. Jahrhunderts vermag ebenfalls keine Einsichten zu Geschichte und Hintergrund des Polter-Geist zu liefern, dokumentiert allerdings das Nebeneinander deutscher, französischer und englischer Einflüsse sowie die Koexistenz einer französisch dominierten städtischen Bühne und umherziehender, deutscher Schauspieltruppen. So kamen im städtischen Opernhaus auch Schauspiele zur Aufführung. Jean Martin François Théodore Lobstein, der die Geschichte des Theaters in der ehemaligen Reichsstadt untersucht hat, schreibt über die Direktion dieser Bühne in den fraglichen Jahren:

      Am 31ten Mai 1721 erlangte Jakob Gardinier von Dublin, die Erlaubniß auf dem Stadt-Theater italiänische Comödien zu spielen. Der Magistrat wohnte auf Einladung einer Vorstellung bei, wofür der Direktor ein Geschenk von 160 Livres erhielt.

      Am 9ten Juli 1722 gieng die französische Direktion [die zuvor in den Händen der Herren le la Voye und Gaudin lag; S. S.] auf Pierre du Cornier, comédien de Mgr. le duc de Bourbon über, welcher das Rücksichten, von dem Miethzins des Hauses befreit blieb bis zum 15ten August 1727, wo ihm eine monatliche Miethe von 50 Liv. auferlegt wurde.2

      Die Aufführungen der deutschen Truppen fanden in den Häusern unterschiedlicher Handwerkszünfte statt:

      Indessen spielten deutsche Gesellschaften in dem Zunfthaus zur Tucherstube, unter andern 1716 eine von Stralsund, unter der bloßen Bedingung an den Tagen der französischen Komödie keine Vorstellung zu geben.

      Die Theater-Lust fieng in jener Zeit zu Straßburg an allgemein zu werden, besonders fanden deutsche Gesellschaften ihre Rechnung, so daß die Zünfte um die Wette ihre Lokalitäten zur Miethe anboten. Die Maurer-, die Tucher- und die Gerber-Zunft wollten Theater aufbauen.3

      Möglicherweise ist die Geschichte des Spenglers Simplicius einem solchen Entstehungszusammenhang zuzuordnen. Die Fokussierung auf die Welt des Handwerks und die Darstellung einer entsprechenden Lebenswirklichkeit auf der Bühne lassen sich zumindest auf diese Weise verstehen.

      Curt von Faber rubriziert das Werk unter der Überschrift „The Grotesquely Comical“ und deutet es als ein Volksstück:4 Er schreibt: „A Strasbourg folk play, dealing with the story of an attempted fraud performed by an apprentice raised a ghost.“5 Zudem macht der gelehrte Bibliophile auf die inhaltlichen Parallelen zwischen dem Polter-Geist und dem 1680 unter dem Pseudonym (möglicherweise handelt es sich auch um ein Anagramm) Christian von Gletelberg in Nürnberg veröffentlichten Stück Eryfila. Oder Die Verrrathene Zauber- und Wahrsager-Kunst aufmerksam: „The plot is the same as in Gletelberg’s play, but the milieu is middle class: a Strasbourg tinsmith, named Simplicius after Grimmelshausens’s hero, and this wife Unckenplutz are the deceived ones.“6

      Markus Paul, der sich im Rahmen einer Studie mit dem Nürnberger Theater des 17. Jahrhunderts beschäftigt hat, schreibt über dieses Stück:

      Von einem Mitglied des Pegenesischen Blumenordens stammt möglicherweise auch das 1680 in Nürnberg im Endterschen Verlag unter dem Pseudonym „Christian à Gletelberg“ erschienenen Stück Eryfila. Oder die Verrathene Zauber= und Wahr-sager=Kunst. Laut Vorrede basiert das 272 Seiten umfassende Werk auf einem französischen Schauspiel, dessen ursprünglichen Autor der Übersetzer nicht zu nennen vermag. Bemerkenswert ist, daß sich in der Vorrede nicht nur ein verstecktes Zitat aus dem Schauspielkapitel von Birkens Poetik findet, sondern dem Stück auch ein Begleitgedicht in sechs Strophen beigegeben ist, das von niemand anderem als dem ‚Pegnitzschäfer‘ Johann Gabriel Meyer unterzeichnet ist. Dabei geht es in dem auf moralische Belehrung abzielenden Stück um die als „Ertz-Aeffin deß Teufels“ titulierte Zauberin Eryfila und um allerlei Verwirrungen, Zauber- und Wahrsagerei. Gespenster, schwarze Kunst sowie den Teufel, der Tiere in Menschen verwandelt[.]7

      Die Parallele zwischen den beiden Werken, auf die von Faber hinweist, besteht darin, dass die Geister keine überirdischen Erscheinungen sind, sondern durch menschliche Kunstfertigkeit in der Absicht hervorgerufen werden, andere Menschen zu täuschen. Weil die bewusste Täuschung und willentliche Irreführung einer Mehrzahl von Figuren durch eine einzelne bereits in mittelalterlichen Schwankerzählungen zu finden und spätestens seit Pedro Calderón de la Barcas La Dama duende auch ein beliebtes Motiv der Komödie ist, erscheint von Fabers Überlegung allerdings wenig schlüssig.

      Die didaktische Intention tritt in dem Nürnberger Stück, das durchweg als ein Lustspiel angelegt ist, zwar deutlicher hervor als in dem Straßburger Stück; gemeinsam ist beiden jedoch, dass bereits zu Beginn herausgestellt wird, dass keines der auf der Bühne zu sehenden Gespenster Realität besitzt. In diesem Sinne heißt es in der Vorrede zu Eryfila:

      Erschrecke nicht allzusehr / geneigter Leser / ob dem ersten Anblick dieses Lust-Spiels / und laß dich ja nicht von einigem Grauen so har urplötzlich überfallen werden / daß du etwa aus unzeitiger Beysorge / ob möchten diese Larv- und Schreck-Gesichter dir die anmutige Nach-Ruhe verstören / und schreckbare Träume verursachen / dieses Büchlein zu kaufen und durchzublättern Bedencken tragen wolltest. Es ist und bleibt ein Lust-Spiel / in dem