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Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert


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seinem Haus von einer höheren Macht verursacht werden, die Glaubensgewissheit, dass die Erscheinungen eine Strafe für Fehlverhalten sind und somit durch Gebete und Sühneopfer wieder aufhören werden.

      Das schlichte Gemüt des Spenglers, das auf diese Weise sichtbar wird, kommt auch in seinem Namen zum Ausdruck, der als Hinweis auf das Wesen seines Trägers zu lesen ist (und auf diese Weise zugleich die Tradition des Abentheuerlichen Simplicissimus Teutsch von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen aufruft). Diese Haltung wird mit derjenigen eines der Studenten konfrontiert, der nicht an überirdische Mächte glaubt, sondern eine strikt rationale Erklärung des „Schießens“, also des im Haus des Handwerkers auftretenden Lärms vertritt:

      Die Zeit wird den Außgang bringen / und dieser die Wahrheit offenbahren. Ich finde bey diesem Schießen nichts / als was durch menschliche Geschicklichkeit kan zuwegen gebracht werden. Wann ich überwießen solte seyn / daß der Teuffel oder eine abgestorbene und noch vor ihrer letzten Ruh wieder zurück gewiesene Seel oder auch gar eine himmlische Gewalt diese Unordnung anrichtete / so müßte ich dergleichen geschossene Sachen sehen / die der gemeine Verstand nicht begreiffen könne; Zum Exempel / frembde Thiere / Vögel / Schlangen und dergleichen / wiewohl auch noch dieses durch abgefeimte und angestellte Betrüger zu erzwingen wäre.3

      Ein nicht nur inhaltlich, sondern auch quantitativ bedeutender Aspekt des Stückes sind jene Dialoge, welche entweder das Unerklärliche der Erscheinungen betonen und somit auf überirdische Mächte als deren Urheber verweisen, oder darlegen, inwiefern menschliche Manipulationen als Ursachen der Geräusche und Zerstörungen in dem Haus des Handwerkers angesehen werden müssen und daher Appelle an die Vernunft der Zuschauer sind.

      Das Straßburger Bühnenstück weist damit charakteristische Momente des Lust- oder Freudenspiels im Spannungsfeld von Barock und Frühaufklärung auf: Die Personen sind solche, um auf eine Wendung Georg Philipp Harsdörffers zurückzugreifen, „die in gemeinen Burgerlichen Leben zu finden“ sind,4 und die Belehrung des Zuschauers über richtiges (tugendhaftes) und falsches (lasterhaftes) Verhalten erfolgt, indem letzteres dem Gelächter preisgegeben und mit dem Vorbild des ersteren kontrastiert wird, wie Albrecht Christian Rotth in seinem Werk über die Poesie erläutert:

      So ist demnach die neue bey uns itzo gebräuchliche Comödie nichts anders als ein solch Handelungs-Spiel / in welcher entweder eine lächerliche oder auch wohl löbliche Verrichtung einer Person / sie sey wer die wolle / sie sey erdichtet oder aus den Historien bekannt / mit vielen sinnreichen und lustigen Erfindungen auffgeführet und abgehandelt wird / daß entweder die Zuschauer die Fehler und Tugenden des gemeinen menschlichen Lebens gleichsam spielweise erkennen und sich bessern lernen / oder doch sonst zu einer Tugend auffgemuntert werden.5

      IV.

      In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Stück parallel zu der Geschichte des vermeintlichen Poltergeistes auch eine Liebesgeschichte erzählt und solchermaßen von dem Ineinander zweier Handlungsstränge strukturiert wird, die in dem Haus des Spenglers zusammenlaufen: Angelica, der Tochter des unglücklichen Meisters Simplicius, wird von einem namentlich nicht bezeichneten Architectus der Hof gemacht. Die Handlung setzt ein mit einem galanten Schreiben, in dem er ihr seine Liebe gesteht. Angelica wird zunächst von widerstreitenden Gefühlen bestimmt. Einerseits fühlt sie sich geschmeichelt, andererseits misstraut sie seiner Emphase. Im Verlauf der Handlung stellt sich heraus, dass der Architectus verschiedenen Frauen zugleich den Hof macht, so auch der Magd Angelicas. Letzteres geschieht in der Absicht, über die Neigung der Dienerin das Herz der Herrin zu gewinnen. Es parodiert damit eine alte, bereits in der Ars amatoria des römischen Dichters Ovid dargelegte persuasive Strategie.

      Auch hier entsteht die komische Wirkung des Bühnengeschehens dadurch, dass den Zuschauern bereits zu Beginn der Handlung die Zusammenhänge und Motivationen der Figuren enthüllt werden. In diesem Fall sind dies die unredlichen Absichten des Architectus. So werden in seinem Monolog im zweiten Auftritt des ersten Aktes seine den moralischen Vorstellungen der Zeit entgegenlaufenden Haltungen und seine ebenso verwerfliche Selbstverliebtheit deutlich herausgestellt:

      Courage! es ist mir schon ein mancher Liebes-Handel angegangen und muß mir dieser auch sein gewünschtes Ende erreichen. Was wolt ich zweiffeln? Ich bin wohl gemacht als wann mich der Dädalus selbst geschnitzelt hätte. Was fehlt der Beredsamkeit meines Mundes? […] Mein Verstand ist ein gemeiner Anlaß zum Discurs in der Stadt und auf dem Land gelte ich wie ein Orackel.1

      In weiteren Verlauf des Selbstgespräches wird zudem auf eine ironisch-hintergründige Weise die „flüchtige und zugleich liebliche Untreu bey den Manns-Personen“ betont, so dass keinerlei Zweifel an der Unredlichkeit seiner Absichten bleiben.2 Dass Angelica sich nachfolgend von dem Werben zuerst rühren und endlich überzeugen lässt, erscheint vor diesem Hintergrund lächerlich. Aus dem Kontrast ihrer naiven Ernsthaftigkeit und seiner schönen Worte sowie seiner effektvollen, aber zugleich leeren Gesten erwächst jener Kontrast, welcher das Gelächter des Publikums bewirkt. Auch sind die komischen Effekte des Stückes voraussehbar: Diese Antizipation der komischen Zwischenfälle und Ereignisse seitens der Zuschauer ist ebenfalls ein charakteristisches Mittel, mit dem in der Komödie Gelächter erzeugt wird.

      Sowohl der Architectus als auch Angelica sind aus sich selbst heraus komisch. Ihre Handlungen und Meinungen sind übertrieben; ihnen fehlt das Feingefühl für das, was semantisch, stilistisch, situativ angemessen ist (aptum). Sie wirken komisch durch einen Erwartungshorizont, der zunächst evoziert und dann in doppelter Hinsicht unterlaufen wird: Die Rhetorik seines Werbens rekurriert auf das Liebesideal der Tragödie und die zögernde Unsicherheit, mit der sie seinem Drängen schließlich nachgibt, korrespondiert ebenfalls mit jenem Verhalten weiblicher Figuren, das höhere literarische Stillagen vorhalten. Indem die solchermaßen „heroischen Ideal[e]“, um einen Gedanken von Hans Robert Jauß aufzunehmen, herabgesetzt werden, entsteht eine Gegenläufigkeit, die zum Anlass des Komischen wird.3

      Zugleich kontrastiert das Werben des Architectus um Angelica mit seinem Werben um deren Magd. Während er bei der Tochter des Spenglers einen hohen Ton anschlägt, ist er bei der Magd mit schmeichlerischen Worten und materiellen Versprechungen erfolgreich, beispielsweise mit einem Paar der damals bei Frauen beliebten „Hamburger-Strümpffe“.4 (Diese sind in der Hansestadt erstmals „drey und vier drähtig gestrickt“ worden, woraus sich die bis in das 19. Jahrhundert gebräuchliche Qualitätsbezeichnung ableitet.5) Die manifesten Strukturen und damit verbundenen Konventionen der ständischen Gesellschaft im frühen 18. Jahrhundert werden somit auch im Figurenspiel abgebildet.

      Interessant werden die Liebeshändel des Architectus an der Stelle, da Angelica das Unredliche seines Verhaltens entdeckt:

      Ha! du falscher Hund! ich hab dir und meiner Neben-Buhlerin nicht länger mehr zuhöhren und zusehen können / und ich soll dir getreu verbleiben? Ich soll dich eintzig bis in das Grab lieben / du aber in meinem eignen Hauß hast das Hertz dasselbe zum Theater deines Muthwillens zu machen und ich soll dir getreu seyn? Du bist so unverschähmt mit der Magd der jenigen / die du zu deinem eintzigen Engels-Kind erwehlet zu haben vorgiebst / zu courtoisieren und ich soll dir nicht untreu seyn?6

      Der weitere Verlauf der Handlung ist damit jedoch keineswegs vorgezeichnet; vielmehr vollzieht sich in den letzten beiden Auftritten eine unerwartbare und damit ironisch zu wertende Wendung. Der Architectus liebt „sie beyde gleich“, wie er zu Beginn des neunten Auftritts des vierten Aktes bekennt, und „beyde haben einen Eyd geschworen / keine Eyffersucht“ seinetwegen „gegeneinander zu empfinden oder zu hegen“.7 Diese veränderte Haltung, die sowohl den moralischen Vorstellungen wie den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit widerspricht, wird nicht psychologisch begründet, weshalb das Unvermittelte dieses Schlusses die Provokation, mit der das Stück sein Publikum konfrontierte, betont. So kommentiert Angelica den Vorgang:

      Wann ich alles recht erwege / so muß ich gestehen / daß die Ungleichheit deß Stands in der Liebe keinen Scrupel mache / also mag ich wohl leiden / daß Monsieur Architectus neben mir meine Magd gleichfalls karreßiere […].8

      Und die Magd ergänzt: „Ich will meiner Jungfer gern die Oberhand lassen / wann aber Monsieur Architectus mich ein bißgen schätzen will / so kan ich es ihm ja nicht wehren.“9

      V.