TM Smith

Hide and Seek


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erfuhr, dass der Bruder des Mannes, der seinen Freund beinahe umgebracht hatte, im selben Krankenhaus lag, sondern auch, dass Dusty diesen … Drang verspürte, herauszufinden, wie es dem jungen Mann ging. Andererseits hatte sich David Thompson nicht ausgesucht, als Dale Thompsons Bruder geboren zu werden. Man konnte ihn nicht dafür verantwortlich machen, was Jon, Gio und den anderen in der Bar zugestoßen war. Und Dusty sollte sich nicht dafür schämen, sich für sein Schicksal zu interessieren, auch wenn er ein Wildfremder war.

      Das leise Klicken der Türklinke verriet Dusty, dass Kory und Tristan zurück waren, bevor ihre Schritte einige Sekunden später durch den stillen Raum hallten. Kory setzte sich sofort auf den Stuhl an Jons Bett und Tristan ließ sich auf den Liegestuhl in der Ecke fallen.

      »Ruft mich an, wenn ihr irgendwas braucht«, flüsterte Dusty, um Jon nicht zu wecken. Dann verabschiedete er sich, verließ das Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Er war erschöpft, und da er morgen einen Dreh hatte, entschied er, keine weitere Zeit zu verschwenden. Er wandte sich nach links statt nach rechts und sein Fehler wurde ihm erst bewusst, als er bemerkte, dass er nicht bei den Aufzügen ankam. Er gab ein genervtes Brummen von sich und folgte dem Gang, bis er am Stationszimmer angelangte, allerdings von der anderen Seite. Dusty seufzte erleichtert. Wenigstens wusste er, wie er von hier aus zu den Aufzügen kam.

      Er blieb wie angewurzelt stehen, als ihm ein Name auf einer der Türen, die zu den Krankenzimmern führten, ins Auge fiel … David Thompson. Nun ja, das beantwortete zumindest die Frage, ob der Bruder noch am Leben war. Dusty sah sich nach beiden Seiten um. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, also drückte er die Tür auf und trat in das Zimmer.

      Die Geräte, die sich neben dem Bett aufreihten, erfüllten den Raum mit ihren Geräuschen, und die einzige Lichtquelle war das Fenster, dessen Vorhänge zurückgezogen waren. Ein schmächtiger Körper lag im Bett, über Kabel und Schläuche mit den Geräten daneben verbunden. Ein Bein war vom Knie bis zu den Zehen eingegipst und lag in einer Schlinge, die an einer Stange am Fußende des Bettes befestigt war. Ein Auge war mit einem Stück Gaze bedeckt, das mit einem Verband um seinen Kopf befestigt war. Es erinnerte Dusty unwillkürlich an einen Piraten. Der schmächtige Körper des jungen Mannes war mit Bandagen, Schnittwunden und Blutergüssen übersät. Der Anblick löste Übelkeit in Dusty aus, auch wenn er nicht genau sagen konnte, wieso. Er hätte gar nicht erst herkommen sollen. Dieser Junge war der Bruder des Mannes, der versucht hatte, den Partner seines besten Freundes zu töten.

      Doch statt sich umzudrehen und wieder zu gehen, verspürte er den unwiderstehlichen Drang, den Stuhl in der Ecke ans Bett zu ziehen und über den jungen Mann zu wachen, der zerbrochen, verletzt und geschunden vor ihm lag. Und wehe dem, der es wagte, ihm auch nur ein Haar zu krümmen. Und das tat er dann auch.

      Dusty wusste nicht, wie viel Zeit verging, während er an Davids Seite saß und beobachtete, wie sein Brustkorb sich bei jedem seiner Atemzüge kaum merklich hob und senkte. Plötzlich zog ein erschrockenes Keuchen hinter ihm seine Aufmerksamkeit auf sich und er wandte sich um, nur um dem Blick einer kleinen Krankenschwester zu begegnen, die ihn mit großen Augen anstarrte. Als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, ging sie zur anderen Seite des Bettes und prüfte alle Schläuche, Monitore und Geräte, ohne Dusty dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

      Dann schließlich sprach sie ihn an. »Sind Sie ein Freund der Familie?«

      Dusty schüttelte den Kopf. »Nein.« Als er sah, wie ein Anflug von Misstrauen über ihr hübsches Gesicht huschte, fügte er rasch hinzu: »Ich bin ein Freund von David.«

      Sie entspannte sich und schenkte Dusty ein Lächeln. »Na Gott sei Dank. Ich dachte schon, der arme Junge habe niemanden auf der Welt, der sich für ihn interessiert.«

      Ich interessiere mich für ihn. Auch wenn ich nicht weiß, wieso, dachte Dusty, behielt diesen Teil der Geschichte aber besser für sich.

      Als er wieder allein im Raum war, stellte er fest, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, zu bleiben. Er würde David den Rückhalt geben, den er ganz offensichtlich nicht hatte, aber dringender als alles andere brauchte.

      Kapitel 1

      Dornröschen

      Dusty lenkte seinen Pick-up in eine freie Parkbucht in der dritten Etage der Parkgarage. Er stellte den Motor ab, doch er stieg nicht aus. Seine Finger klammerten sich an das Lenkrad, während er vor sich hin starrte und nachdachte. Er war in letzter Zeit beinahe jeden Tag ins Krankenhaus gefahren. Da Jon inzwischen entlassen war, musste er sich keine Sorgen machen, Kory oder jemandem aus der Brennan-Familie über den Weg zu laufen. Dusty wusste nicht genau, wie er es irgendjemandem hätte erklären sollen, dass er den kleinen Bruder des Mannes besuchte, der Jon beinahe umgebracht hätte. Was immer ihn beim ersten Mal dazu gebracht hatte, in David Thompsons Zimmer zu gehen, er hätte nie gedacht, dass er eine Art Beschützerinstinkt für den Jungen entwickeln würde.

      Da er lebensgefährliche Verletzungen davongetragen hatte, war David noch in der Nacht seiner Einlieferung in ein künstliches Koma versetzt worden und hatte anschließend einige Tage auf der Intensivstation gelegen. In der Zeit, seit Dusty das erste Mal in Davids Zimmer gegangen war, hatte er herausgefunden, dass viele von Davids Verletzungen schwer waren, doch das, was die Ärzte und Schwestern am meisten beunruhigte, war sein Schädel-Hirn-Trauma. Beinahe zwei Monate später konnte Dusty noch immer nicht begreifen, wie ein Mensch jemanden, den er eigentlich lieben sollte, auf diese grausame Art und Weise zurichten konnte. Dusty war ein Einzelkind und wusste nicht, wie es sich anfühlte, Geschwister zu haben, aber die vier Brennan-Brüder waren das beste Beispiel dafür, wie Geschwisterbande funktionierten: Manchmal wollten sich die drei jüngeren ihren großen Bruder Sal zwar am liebsten vom Hals schaffen, doch wenn es hart auf hart kam, waren sie immer füreinander da.

      »Reiß dich zusammen, Dusty«, murmelte er zu sich selbst, ehe er endlich die Schlüssel abzog und die Tür aufstieß.

      Als er das Krankenhaus betrat, begrüßte er einige der Schwestern mit einem Lächeln und einem kurzen Nicken. Das Krankenhauspersonal hatte sich ihm gegenüber kulant gezeigt und ihm erlaubt, David weiterhin zu besuchen. Es tat Dusty in der Seele weh, dass sich außer ihm keine Menschenseele um David zu kümmern schien. Einmal hatte er die Schwestern im Stationszimmer belauscht, während er sich einen Kaffee geholt hatte. Scheinbar hatten sie versucht, Davids Mutter anzurufen, doch sie wollte ihren Sohn nicht sehen. Sie hatte sogar behauptet, sie hätte gar keinen Sohn, und dann einfach aufgelegt.

      Dusty war so in Gedanken versunken, dass er beinahe mit der Schwester zusammenstieß, die aus Davids Zimmer kam. Er trat einen Schritt zur Seite und entschuldigte sich. »Sorry, Sheila.«

      Sie lächelte Dusty an. »Hallo, Dusty. Alles gut bei Ihnen?«

      »Kann mich nicht beklagen. Wie geht’s unserem Jungen?«, fragte er und nickte in Richtung von Davids Zimmer.

      Ihr Lächeln wankte. »Seine Werte sind gut, aber er ist immer noch nicht aufgewacht.« Sheila warf einen kurzen Blick über die Schulter, und als sie sich wieder zu Dusty umdrehte, war das strahlende Lächeln auf ihre Lippen zurückgekehrt. »Aber er wird aufwachen. Wir müssen ihm nur etwas Zeit geben.«

      Dusty nickte beinahe automatisch und versprach Sheila, beim Stationszimmer vorbeizuschauen und ihr Bescheid zu geben, wenn er sich auf den Heimweg machte.

      In Davids Zimmer setzte er sich wie üblich auf den Stuhl neben dem Bett. Auch wenn er immer noch nicht aufgewacht war, machte der attraktive, weißblonde Mann einen deutlich besseren Eindruck als zu dem Zeitpunkt, als Dusty ihn das erste Mal gesehen hatte. Alle Verbände über seinem Gesicht und um seinen Kopf waren verschwunden. Der Großteil seiner Schnittwunden und Blutergüsse war verheilt, abgesehen von wenigen Narben und dem dunklen Schatten um sein linkes Auge, die ihn wahrscheinlich für immer daran erinnern würden, was er hatte durchmachen müssen.

      Viele verschiedene Ärzte waren in den vergangenen Tagen und Wochen in Davids Zimmer ein- und ausgegangen. Der Chirurg, der Davids Bein operiert, die Brüche begradigt und das Bein eingegipst hatte, war der Meinung, dass David keine bleibenden Schäden zurückbehalten würde, wenn der Gips erst einmal ab war und er die Physiotherapie hinter sich gebracht hatte. So wie es