Mutter packte ihn am Arm, drehte ihn zu sich herum und schlug ihm hart ins Gesicht.
»Solche Wörter nimmst du in meinem Haus nicht in den Mund, Dale Thompson. Jetzt geh und tu, was ich dir gesagt habe. Ich kümmere mich um David.« Sie schob Dale in Richtung der Küche, wo das Telefon hing. Dann drehte sie sich wieder zu David um und öffnete ihre Arme. Seine Mutter war vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, der damit davonkam, so mit ihrem älteren Sohn zu sprechen. »Bitte, Schatz, lass Mama dir helfen.«
David entschied sich, mitzuspielen, zumindest für den Augenblick. Seine Mutter hatte ihn immer vor seinem älteren, viel größeren, unbezwingbaren Bruder beschützt. Dieses Mal würde es nicht anders sein, richtig? Er knickte ein und ließ sich in die Wärme ihrer Arme sinken. Er war ausgelaugt und verwirrt, wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Als Belohnung schenkte seine Mutter ihm einige Sekunden Ruhe und Frieden, bis sie erneut den Mund öffnete und den Schutzschild zerbrach, den ihre Arme über David gelegt hatten.
»Alles ist gut, mein Engel, Mama sorgt dafür, dass alles wieder in Ordnung kommt. Vater Felps wird kommen und uns helfen, diesen Dämon der Unzucht auszutreiben. Er wird dich von dem Bösen befreien, das in dir ist.«
David stieß sie zurück und ließ sich nicht von dem verletzten Ausdruck auf ihrem Gesicht einlullen. »Nein, Mom. Gott, da ist nichts, was man in Ordnung bringen müsste. Es ist nichts dabei, schwul zu sein.«
***
»Nein, Mom … sag das nicht.« David schreckte auf, atemlos und verängstigt. Er drückte gegen die Arme, die ihn hielten, fest davon überzeugt, dass sie seiner Mutter gehörten. Dann erst wurde ihm bewusst, dass es Dusty war, der ihn an sich drückte und ihn so davon abhielt, sich die Infusion abzureißen oder eines der anderen technischen Geräte, an denen er hing.
»D, hey, es ist alles okay.« Dusty saß auf der Bettkante und hielt David schützend in seinen starken Armen. Er strich ihm langsam mit den Händen über den Rücken, um ihn zu beruhigen. »Du hattest einen Albtraum, D. Du bist immer noch bei mir im Krankenhaus. Alles ist gut.«
Dustys Stimme allein genügte, um sein rasendes Herz zu beruhigen. Diese Stimme war so vertraut und doch hatte David nicht eine einzige Erinnerung an diesen Mann, der nach Zimt und Muskat roch. Er nahm einen tiefen Atemzug und prägte sich den Geruch ganz genau ein, während David noch immer mit beruhigend sanfter Stimme auf ihn einredete, ihn fest im Arm hielt und behutsam von einer Seite zur anderen wiegte. »Wieso nennst du mich D?«, fragte er und Dusty lachte.
Er setzte sich auf, drückte David eine Armlänge von sich weg und lächelte ihn an. »Bist du jetzt wieder unter den Lebenden?«
David nickte.
Bevor Dusty seine Frage beantworten konnte, kam eine Schwester ins Zimmer gerannt. »Was ist passiert?« Sie sah von Dusty zu David, dann wieder zu Dusty und zog die falschen Schlüsse. »Dusty, schieben Sie Ihren Hintern gefälligst wieder zurück auf den Stuhl.« Sie zeigte mit dem Finger darauf, während sie näher an das Bett herantrat. »David muss sich ausruhen. Während meiner Schicht gibt es hier keine Ferkeleien, kapiert?«
Dusty schüttelte lachend den Kopf. Er stand auf und setzte sich zurück auf den Stuhl. Sofort begann David die Wärme seiner Arme zu vermissen.
»Ich hatte einen Albtraum. Er wollte mich beruhigen, das ist alles«, verteidigte David ihn.
»Mmmhmmm.« Die Schwester sah sie misstrauisch an. Offensichtlich war sie nicht überzeugt. Sie prüfte alle Monitore und Davids Infusion, bevor sie die beiden wieder allein ließ, nicht ohne die wenig überzeugende Warnung, Dusty aus dem Zimmer zu werfen, wenn sie ihn noch einmal in Davids Bett erwischte.
Sie beide lachten, sobald sie verschwunden war.
»Hey, willst du mir nicht sagen, wovon du geträumt hast?« Dusty lehnte sich näher zu ihm und nahm seine Hand. Diese kleine Berührung genügte, um ein intensives Kribbeln Davids Arm hinaufzuschicken.
Er starrte einen Augenblick lang auf ihre verbundenen Hände hinab, bevor er langsam den Blick hob und Dusty ins Gesicht sah. Gott, dieser Mann war umwerfend. Er hatte ein rundes Gesicht, eingerahmt von widerspenstigem, lockig braunem Haar, und dunkelbraune Augen, die zu leuchten schienen, wenn er lächelte, so wie jetzt. Während David Dustys Gesichtszüge betrachtete, fragte er sich, wie alt er wohl war. Er hatte kaum sichtbare Lachfältchen um die Mundwinkel und Augen. Viele sagten, dass Lachfalten ein Zeichen des Alterns wären, aber für David waren sie ein Zeichen für ein glückliches Leben.
Dustys Lippen begannen sich zu bewegen. Sie kräuselten sich langsam zu einem Lächeln, während er eine seiner Hände vor Davids Gesicht hin und her bewegte.
David blinzelte einige Male und fokussierte dann Dustys attraktives Lächeln und seine Lippen, die sich wieder in Bewegung setzten, als er zu sprechen begann.
»Bist du okay, D?«, fragte er.
David nickte. »Ja, es ist nur … Wieso nennst du mich D? Und wieso kann ich mich nicht an dich erinnern? Ich meine, ich kenne deine Stimme, aber ich kann mich einfach nicht an dich erinnern, so sehr ich es auch versuche.«
David beobachtete ihn genau. Er war sicher, so etwas wie Sorge in seinen Augen aufblitzen gesehen zu haben, doch sie wurde rasch durch ein mildes Lächeln ersetzt. »Wir kannten uns nicht, bevor du verletzt wurdest, D, aber ich war hier an deiner Seite und habe die letzten Monate beinahe jeden Tag mit dir gesprochen. Das ist wahrscheinlich der Grund, wieso du dich an meine Stimme erinnerst. Und ich nenne dich D, weil mein bester Freund Kory mich sehr oft D nennt anstelle von Dusty. Ich denke, das hat sich eingeprägt.« Dusty zuckte mit den Schultern und strich mit dem Daumen über Davids Fingerknöchel. Die vertrauliche Geste löste ein merkwürdiges Gefühl in Davids Magengegend aus, machte ihn nervös – aber auf eine positive Art und Weise, und gab ihm ein Gefühl von Sicherheit.
David fragte sich, wieso Dusty überhaupt hier war. Was hatte ihn zu ihm geführt und dazu gebracht, bei einem völlig Fremden wie ihm zu bleiben? Doch er brachte seine Fragen nicht über die Lippen. Dustys Finger, die noch immer über seine Knöchel strichen, brachten ihn völlig aus dem Konzept. Obwohl er das Gefühl genoss, zog David schließlich langsam seine Hand zurück. Sein Kopf war schon jetzt voll von Dingen, die er nicht verstand. Er musste diese Frage einfach loswerden. »Wieso bist du hier, Dusty? Ich meine, wieso bist du überhaupt hierhergekommen, wenn du mich gar nicht kanntest?«
Etwas blitzte in den Tiefen von Dustys braunen Augen auf, doch es war sofort wieder verschwunden, ohne dass David sagen konnte, was es gewesen war.
Bevor Dusty antworten konnte, kam ein Assistenzarzt mit einem Pappbecher ins Zimmer, in dem zwei Tabletten lagen. »Bitte sehr. Der Doktor möchte, dass Sie Ihr Antibiotikum ab jetzt oral einnehmen. Das andere ist ein entzündungshemmendes Mittel für Ihr Bein.« Der Assistenzarzt griff nach der Tasse und dem Wasserkrug auf dem Nachttisch neben dem Bett. Er füllte die Tasse und reichte sie David, dann zog er beide Augenbrauen hoch, während sein Blick von dem Pappbecher in Davids Händen zu der Tasse mit dem Wasser wanderte.
»Oh, tut mir leid«, entschuldigte sich David, nahm die Tabletten in den Mund und spülte sie mit dem Wasser aus der Tasse herunter.
Der Assistenzarzt lächelte und klopfte David aufs Bein, warf den Pappbecher in den Papierkorb und war kurz darauf schon wieder aus der Tür.
Wo waren sie stehen geblieben? Der zärtliche Blick, den Dusty ihm zuwarf, als er den Kopf hob, machte David nervös und ließ ihn vergessen, dass Dusty seine Frage noch gar nicht beantwortet hatte. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie sahen sich einfach nur an. Normalerweise war David zu schüchtern, um anderen länger als ein paar Sekunden in die Augen zu sehen. Doch irgendetwas an Dusty zog ihn zu ihm hin wie die Motte zum Licht. In Dustys Augen lag eine Güte, die David in seinem jungen Leben noch nicht oft gesehen hatte. Dieser Mann zog ihn regelrecht in seinen Bann. Auch wenn sich David immer noch ziemlich sicher war, dass Dusty ihm etwas verheimlichte, war er davon überzeugt, dass dieser Mann nichts Böses im Schilde führte.
Plötzlich hatte er einen Flashback. Sein Bruder Dale, der ihn anknurrte, der wegen seiner schmächtigen Statur und femininen Züge auf ihm herumhackte. Sein Körper begann