TM Smith

Hide and Seek


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hören, bis hin zu seiner Beziehung zu Kory und Jon.

      »Ich gebe zu, als ich das erste Mal in sein Zimmer gekommen bin, war ich wohl einfach nur ein bisschen neugierig, aber als ich ihn dann gesehen habe …« Er unterbrach sich und starrte auf seine Füße, versuchte, die richtigen Worte zu finden, zu entscheiden, was er sagen sollte, um nicht doch noch aus dem Krankenhaus geworfen zu werden.

      »Reden Sie weiter«, spornte der Doktor ihn an.

      Na ja, zumindest klingt er nicht wütend, dachte Dusty.

      »Als ich ihn dann gesehen habe und was sein Bruder ihm angetan hat, da hat sich die Wut darüber, was Dale Thompson meiner Familie angetan hat, einfach aufgelöst. Mir ist bewusst geworden, dass David auch nur ein Opfer ist, genauso wie Gio, der im Leichenschauhaus liegt, und Jon, der zu dieser Zeit nur fünf Türen von David entfernt im Krankenbett lag. Als dann Tage und Wochen vergangen sind und niemand gekommen ist, um ihn zu besuchen, hat einfach dieser Beschützerinstinkt übernommen und ich konnte ihn nicht mehr allein lassen. Ich denke, dass es auf irgendeine verdrehte Weise Schicksal gewesen sein muss, dass ich ihm begegnet bin. Ich weiß noch nicht, was dabei meine Aufgabe ist, aber ich will bei ihm bleiben und es herausfinden.«

      Der Doktor warf Megan einen kurzen Blick zu. Die beiden schienen sich ohne Worte zu verständigen. Sie nickte dem Doktor zu, bevor sie sich an Dusty wandte. »Wieso sagen Sie uns das ausgerechnet jetzt, Dusty? Wir wussten von nichts und hätten jedes Recht, Sie von ihm fernzuhalten, das ist Ihnen bewusst. Also wieso sollten Sie uns davon erzählen?«

      »Weil ich wissen muss, was ich ihm sagen kann und was nicht. Er stellt eine Menge Fragen und irgendwann werde ich sie beantworten müssen. Aber wenn ich ihm alles sage, bevor er sich daran erinnern kann, was mit ihm passiert ist … Ich glaube nicht, dass er damit umgehen könnte.« Dusty wusste, dass er aufgeregt klang, vielleicht sogar ein bisschen übergeschnappt, doch er musste sie davon überzeugen, dass er nur das Beste für David wollte.

      »In Ordnung, junger Mann, wir nehmen Sie fürs Erste beim Wort.« Im Blick des Doktors lag eine Intensität, die deutlich zeigte, dass es ihm damit ernst war.

      Dusty nickte rasch und all die Ängste und Sorgen, die ihn erfüllt hatten, seit er im Warteraum Platz genommen hatte, fielen von ihm ab.

      »Woran kann er sich bis jetzt erinnern?«, fragte der Doktor.

      »Als er das erste Mal aufgewacht ist, hat er gefragt, wo sein Bruder ist. Zum Glück kam die Schwester rein und hat ihn abgelenkt, sodass ich ihm die Frage nicht beantworten musste. Aber dann hatte er einen Traum über den Tag, an dem er sich gegenüber seiner Mutter und seinem Bruder geoutet hat, ganz nah an der Grenze zu einem Albtraum. Er war ganz rot im Gesicht, verschwitzt und ein wenig durcheinander, als er aufgewacht ist«, erzählte Dusty den beiden von Davids Traum. »Oh und er weiß, dass er mich nicht kennt, aber er erinnert sich an meine Stimme. Sie beruhigt ihn. Ich weiß, dass er ein Recht hat, die Wahrheit zu erfahren, aber denken Sie nicht auch, dass ich warten sollte, um zu sehen, ob er sich von selbst erinnert?« Dusty sah den Doktor an, davon überzeugt, dass er ihm die richtige Antwort geben konnte.

      Der ältere Mann mit dem ergrauenden, schwarzen Haar und den intensiven blauen Augen schürzte die Lippen und nickte langsam. »Ja, ich denke, damit haben Sie recht, junger Mann. Bevor Sie ihm irgendetwas sagen, sollten wir ihm allerdings, denke ich, einen Psychiater zur Seite stellen, nur zur Sicherheit. Wenn er sich irgendwann daran erinnert, was sein Bruder ihm angetan hat, könnte das negative Auswirkungen auf seine Psyche haben. Ich werde das an die Krankenhauspsychiatrie übermitteln …«

      Dusty unterbrach den Doktor mit einer Handbewegung. »Ich kenne einen Therapeuten. Ich kann ihn fragen, ob er mit David sprechen würde. Wenn das für Sie in Ordnung ist, natürlich.« Dusty kramte in seinen Hosentaschen nach seinem Handy.

      »Wer ist dieser Therapeut, den Sie kennen? Und woher genau kennen Sie ihn?«, fragte Megan.

      Dusty scrollte durch seine Kontakte, bis er bei Tristans Nummer angelangte. »Er ist, genau genommen, der Bruder des Partners meines besten Freunds, Tristan Brennan.«

      »Moment mal, Dusty, ist das nicht Jon Brennans Bruder? Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist«, äußerte Megan ihre Bedenken bezüglich Dustys Vorschlag unter Berücksichtigung, wer David war.

      »Das ist kein Problem, ehrlich. Tristan ist Therapeut mit Leib und Seele und stellt seinen Eid über alles. Er wird niemandem etwas sagen. Selbst wenn er David nicht als Patienten annimmt, würde er niemals irgendjemandem auch nur ein Sterbenswort erzählen. Er wird mir vielleicht in den Hintern treten, weil ich das alles vor den Jungs geheim halte, aber hey, das ist mein Problem, nicht Ihres«, versuchte Dusty Megan zu überzeugen.

      »Ist schon in Ordnung, Megan.« Der Doktor klopfte mit der Hand auf ihr Knie. »Ich habe schon mit Tristan Brennan zusammengearbeitet. Er ist ein absoluter Profi.« Er sah wieder zu Dusty. »Lassen Sie mich wissen, was Tristan geantwortet hat.«

      Dusty nickte.

      Der Doktor starrte ihn eine Weile an und schien zu überlegen, was er noch sagen wollte. »Vergessen Sie nicht, Davids Zustand ist instabil, junger Mann. Ich weiß die Zuwendung und Fürsorge zu schätzen, die Sie ihm bisher entgegengebracht haben, und ich vertraue darauf, dass Ihre Intention unverändert bleibt.«

      Bevor Dusty antworten konnte, stand der Doktor auf und ließ ihn mit Megan allein im Warteraum zurück.

      »Ich hoffe, das war die richtige Entscheidung, Dusty. Der arme Junge musste schon genug durchmachen. Ich sehe noch mal nach ihm, solange Sie mit dem Therapeuten telefonieren.« Damit ließ sie Dusty in dem kleinen Warteraum allein zurück.

      Dusty musste unwillkürlich an die Redensart Gut gemeint heißt nicht gut gemacht denken. Er schnaubte und drehte sich um. Sein Blick blieb an dem Cola-Automaten in der Ecke hängen, der noch immer eine Delle hatte, dort, wo Korys Stiefel ihn getroffen hatte. Das war in der Nacht der Schießerei gewesen, als er erfahren hatte, dass Gio tot war. »Die Welt ist wirklich verdammt klein«, murmelte Dusty. Dann tippte er auf das Telefon-Icon neben Tristans Namen in seiner Favoritenliste.

      ***

      »Ich weiß, dass wir uns nicht so gut kennen, Dusty, aber du hättest dir denken können, dass ich davon nicht begeistern sein würde.« Tristan seufzte und ging in dem kleinen Warteraum auf und ab. »Dir ist schon bewusst, dass das hier derselbe Raum ist, in dem Kory, meine Familie und ich um das Leben meines Bruders gebangt haben, während er operiert wurde, weil er von seinem verdammten Bruder angeschossen worden ist, oder?« Tristan starrte ihn an und deutete mit dem Daumen wütend in Richtung von Davids Krankenzimmer.

      Dusty stand auf und hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß, Tris, ich weiß, aber das ist nicht Davids Schuld. Er ist genauso ein Opfer wie Jon.«

      Tristan hielt mitten in der Bewegung inne, wandte sich um und starrte ihn an. Dusty konnte sehen, wie sich die Wut in Tristans Augen mit einem Schlag auflöste und sein Körper sich entspannte. Tristan rieb sich mit den Handflächen über die Augen und seufzte. »Das verstehe ich, Dusty, aber das war trotzdem sehr unbedacht von dir.«

      Bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, stieß Megan mit Davids Krankenakte zu ihnen.

      Tristan griff nach der Akte und ließ sich in den Stuhl neben Dusty fallen. Dusty streckte den Arm aus und blätterte zur nächsten Seite vor, um Tristan zu zeigen, wie David ausgesehen hatte, als er ins Krankenhaus eingeliefert worden war, doch Tristan schlug seine Hand weg. »Mach dich nützlich und hol mir einen Kaffee. Schwarz, zwei Stück Zucker.«

      »Wie bitte?« Megan starrte Tristan finster an.

      Er sah nicht einmal zu ihr auf. Stattdessen wedelte er nur mit der Hand. »Nicht Sie, Ma’am, er.« Er wies mit dem Daumen wütend in Dustys Richtung.

      Sie folgte Dusty aus dem Raum und stapfte leise fluchend davon, um noch einmal nach David zu sehen.

      Tristan sah auf, als Dusty mit zwei Bechern Kaffee zurück in den Warteraum kam. »Nachdem ich das hier gelesen habe«, Tristan wies auf die Akte auf seinem Schoß, »brauche ich, glaube ich, etwas Stärkeres.« Er nahm Dusty einen der Becher ab,