TM Smith

Hide and Seek


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die mit dem größten Abschaum der Menschheit zu tun hatte.« Er wandte sich zu Dusty um. »Ich habe immer angenommen, dass ‚Halb zu Tode geprügelt’ nur ein geflügeltes Wort ist. Aber dieser arme Junge«, Tristan tippte noch einmal auf die Akte, »wurde im wörtlichen Sinne halb zu Tode geprügelt.« Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und stellte ihn zu seinen Füßen auf dem Boden ab. »Okay, also er kann sich an den Vorfall nicht erinnern, richtig?«

      Dusty nickte.

      Tristan blätterte in der Akte nach hinten und deutete auf die Bilder des CT-Scans von Davids Gehirn. »Hier kann man gut erkennen, dass die Schwellung seines Gehirns im Vergleich zu der Nacht seiner Einlieferung zurückgegangen ist. Einige Bereiche sind aber immer noch größer, als sie sein sollten. Wenn die Schwellung weiter zurückgeht, sollte er anfangen, sich zu erinnern.«

      Dusty stimmte ihm zu. »Er hatte einen Albtraum und rief nach seiner Mutter, aber als er aufgewacht ist, war er komplett durch den Wind. Ich habe ihn danach gefragt, als er sich wieder beruhigt hat. Er hat mir erzählt, dass er von dem Tag geträumt hat, an dem er seiner Mutter und seinem Bruder gesagt hat, dass er schwul sei. Ich sag’s mal so, sie haben es überhaupt nicht gut aufgenommen. Ich glaube, seine Mutter gehört zu diesen religiösen Fanatikern, die sich aussuchen, welche Teile der Bibel sie glauben wollen, angefangen damit, dass Jesus seinen Jüngern befohlen habe, alle Schwulen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.«

      Tristan schnaubte. »Eine von der Sorte, ja? Verdammt, der arme Junge hat einiges durchgemacht, was?«

      Dusty war sich sicher, dass es eine rhetorische Frage war, also machte er sich nicht die Mühe, zu antworten.

      »Was genau versuchst du hier eigentlich zu erreichen, Dusty?«

      Diese hier war nicht rhetorisch. Dusty räusperte sich und entschied sich, Tristan gegenüber ehrlich zu sein. »Ich weiß es selbst nicht genau, Tris. Ich fühle mich … aus irgendeinem Grund zu ihm hingezogen. Ich will ihn beschützen und ich hatte bisher keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Ich weiß nur, er braucht einen Freund, der mit ihm durch dick und dünn geht, und der will ich für ihn sein.«

      Tristan beobachtete ihn einen Augenblick lang, sein Gesicht war völlig unbewegt. Schließlich atmete er aus und nickte. »Okay, Dusty, ich werde ihn treffen und mit ihm reden, aber ich kann nichts versprechen.«

      Dusty fiel Tristan um den Hals, drückte ihn an sich und dankte ihm überschwänglich.

      Tristan lachte, griff nach Dustys Arm und drückte Dusty sanft in seinen Stuhl zurück. »Woah.«

      Jetzt lachten sie beide.

      »Du weißt schon, dass er auch zustimmen muss, damit ich die Therapie übernehmen kann, oder? Diese Entscheidung können weder du noch ich für ihn treffen.«

      Dusty gefiel die Art, wie er das sagte, überhaupt nicht. Er unterdrückte den Impuls, Tristan anzuschreien. Am liebsten hätte er ihm gesagt: Du wirst sein Therapeut, verdammt noch mal. Punkt. Aus. Ende.

      »In Ordnung, ich denke, es wird Zeit, dass du mir David vorstellst.« Tristan stand auf und ging auf die Tür zu. Er hielt sie für Dusty auf und folgte ihm dann durch den menschenleeren Flur bis zu Davids Zimmer.

      Ein Krankenpfleger baute gerade eine Liege für Dusty auf; David verfolgte jede seiner Bewegungen misstrauisch. Sobald er Dusty bemerkte, verwandelte sich sein Stirnrunzeln in ein Lächeln, seine Augen weiteten sich und er streckte seine zitternden Hände nach ihm aus. »Wer …? Wer ist das?« David griff nach Dustys Hand, sobald sie in Reichweite war, und zeigte mit einem zitternden Finger in Tristans Richtung.

      »Alles gut, D. Er ist ein Freund von mir. David, ich möchte dir Tristan vorstellen«, beschwichtigte Dusty ihn.

      Tristan stand am Fußende des Bettes, die Hände in den Taschen seiner Jeans. Seine Haltung wirkte entspannt. Dusty nahm an, dass er David damit beruhigen wollte.

      »Schön, dich kennenzulernen, Tristan«, sagte David schließlich.

      »Ebenso, David«, antwortete Tristan mit einem Lächeln.

      »Aber wieso ist er hier, D?«, fragte er.

      »Nun, ich bin zugelassener Therapeut, David. Dusty hat mich angerufen und gefragt, ob ich einmal mit dir reden könne, um zu sehen, wie es dir geht, nachdem du einen Teil deiner Erinnerungen verloren hast.«

      Dusty beobachtete die beiden, während sie sich unterhielten. Er war beeindruckt, wie unaufdringlich und gleichzeitig direkt Tristan sich gegenüber David verhielt. Seine Stimme war sanft und ruhig, er verwendete keine komplizierten Wörter oder medizinischen Fachbegriffe; er redete mit David wie mit einem Freund. Jeder, der Tristan zum ersten Mal traf, würde nur seine entspannte Haltung und sein freundliches Gesicht sehen, doch Dusty kannte Tristan gut genug, um die Besorgnis zu bemerken, die sich in den Fältchen um seinen Augen zeigte. Er betete, dass Tristan sich bereit erklären würde, David zu helfen, und dass David diese Hilfe auch annehmen würde.

      David lachte leise und das Geräusch ließ einen Teil der Anspannung von Dustys Schultern abfallen. »Ja, ich kann mich nicht daran erinnern, was passiert ist und wieso ich hier bin. Ich meine, ich weiß, dass es etwas Übles gewesen sein muss. Ein Autounfall oder vielleicht sogar Schwulenhass.« Seine Augen weiteten sich noch einmal und er wurde rot. Sein Körper begann merklich zu zittern.

      Dusty verstärkte den Griff um Davids Hand, bereit, ihn zu beruhigen, als Tristan sagte: »Das ist in Ordnung, David, nichts von dem, was du mir sagst, wird diesen Raum verlassen. Und wenn du dich dadurch besser fühlst: Dusty und ich sind auch beide schwul.« Bei den letzten Worten zwinkerte er ihm zu und David schmunzelte. »War das etwa ein Lächeln?«, scherzte Tristan und deutete auf den Stuhl, den Dusty inzwischen für seinen hielt. »Darf ich mich setzen?« Dusty und David nickten beide, also tauschten Tristan und er die Plätze. Tristan zog den Stuhl noch etwas näher an das Bett heran, während Dusty sich ans Fußende setzte und seine Hand auf Davids Bein legte, um ihm zu zeigen, dass er nicht weit weg und für ihn da war. »Bevor wir anfangen, David, möchte ich dir noch einmal klarmachen, dass du in keiner Weise dazu verpflichtet bist, mit mir zu reden. Ich bin, was das angeht, sehr zuversichtlich und würde mich freuen, dich besser kennenzulernen und dir zu helfen, deine Erinnerungen wiederzufinden und danach mit den Folgen umzugehen. Letzten Endes ist es aber deine Entscheidung, ob ich gehe oder bleibe.« Tristan gab David einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten, und unterdrückte den Drang, aufzustöhnen, als er im Augenwinkel Dustys Was-sollte-das-denn-jetzt-Alter-Blick bemerkte.

      David nickte und seine Lippen kräuselten sich zu einem dünnen Lächeln. »Das ist okay. Wenn Dusty dir vertraut, vertraue ich dir auch.«

      Tristan lachte leicht. »Gut. Ich werde immer absolut ehrlich zu dir sein, David. Das ist meine Art, zu arbeiten, und ich denke, es ist die beste Herangehensweise. Dusty und ich kennen beide die Umstände, die dich in dieses Bett gebracht haben …«

      David setzte sich auf und starrte ihn mit offenem Mund an.

      Tristan beugte sich zu ihm vor und legte ihm eine Hand auf die Schulter, ehe er etwas sagen konnte. »Zu gegebener Zeit, David, zu gegebener Zeit.« Er wartete, bis seine Worte in Davids Bewusstsein vorgedrungen waren, und lehnte sich dann wieder zurück, bevor er weitersprach. »Wie ich sagte: Auch wenn ich verstehe, dass du wissen musst, was passiert ist, denke ich, dass es zum aktuellen Zeitpunkt besser ist, deinem Kopf und Körper noch ein wenig mehr Zeit zu geben, sich zu erholen, und abzuwarten, ob du dich von selbst erinnerst.« David runzelte die Stirn, doch Tristan fuhr fort. Es war beinahe so, als könnte er Davids Gedanken lesen. Jeder Ausdruck, der sich auf Davids Gesicht spiegelte, wurde direkt von Tristan beantwortet, auch wenn es gar keine Frage war. »Ich weiß, es ist frustrierend für dich, in einem Krankenhaus aufzuwachen und nicht zu wissen, wieso oder wie du verletzt worden bist, während andere es wissen und es dir nicht sagen. Ich verspreche dir, ich werde versuchen, dir zu helfen, dich zu erinnern, David, wenn du es zulässt. Ich bin zuversichtlich, dass du deine Erinnerungen mit der Zeit aus eigener Kraft zurückerlangen kannst.«

      Dusty reagierte auf Davids skeptische Miene mit einem warmen Lächeln und einem Nicken.

      Davids Blick wanderte von Tristan zu Dusty und dann wieder