Tanja Gutmann

Dem Leben so nah wie nie zuvor


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fragte mich, ob ich anonym ins Spital eintreten möchte. Ich sah ihn etwas perplex an.

      Man könne unter einem anderen Namen registriert werden, klärte er mich auf.

      Ich war ziemlich überrascht, dass so etwas überhaupt möglich ist. Aber es kam mir sehr gelegen.

      Den Gedanken, dass jemand aus der Presse von meiner Erkrankung Wind bekommen könnte, fand ich gar nicht lustig. Innerlich sah ich schon ein Bild von mir in der Zeitung. Mit kahlem Kopf!

      Das machte mir echt zu schaffen. Alle Haare entfernen zu müssen. Mich schauderte es.

      Wir verabschiedeten uns und dann war ich plötzlich komplett alleine mit dem ganzen Schock und allen Informationen, die auf mich eingeprasselt waren.

      Info: Eine negative Diagnose überbringen

      Es gibt für Ärzte nichts Schwierigeres, als einem Menschen eine schlechte Nachricht überbringen zu müssen.

      Sie bekommen in ihrem Studium zwar eine spezifische Ausbildung darin, wie man so etwas am besten macht, aber jeder setzt diesen Moment dann ganz individuell um. Es ist einer der wichtigsten und heikelsten Momente überhaupt. Leider, aber auch verständlicherweise, tun sich viele damit sehr schwer.

      In der Art und Weise, wie der Arzt die Botschaft verkündet, erkennt man, wie er zwischenmenschlich gestrickt ist. Ist er empathisch oder eher der sachliche Typ. Das hat nichts mit seinen fachlichen Fähigkeiten zu tun. Aber es ist entscheidend, ob man bei diesem Arzt ein gutes Gefühl hat und schnell Vertrauen fassen kann, oder eben nicht.

Tipp: Sich auf eine mögliche negative Diagnose vorbereitenDa man in der Regel nicht weiß, an welche Ärzte man geraten wird und was alles auf einen zukommt, kann man vor allem eines tun: Sich mental vorbereiten und sich bewusstwerden, was man von einem Arzt erwartet und wissen will.
Hole vorab nur so viele Informationen über die Untersuchung und die Besprechung ein, die du für dich brauchst und die dir guttun.
Wenn du schon jetzt Fragen hast, schreibe sie auf.
Nimm dir einen Moment Zeit und versetze dich in die Sprechstunde mit den Ärzten. Fühle dich in diese Situation hinein.
Überlege dir, wie du in einer belastenden Situation reagieren würdest. Neigst du zum Beispiel dazu panisch zu werden, zu erstarren oder eher mechanisch zu funktionieren?
Was wäre in so einem Schockmoment für dich wichtig? Was unterstützt und beruhigt dich?
Überlege dir, von welcher dir nahestehenden Person du zum Termin begleitet werden willst.
Kommuniziere deine Erwartungen, Ängste und Bedürfnisse den Ärzten ehrlich und klar.
Bleib ruhig und denk positiv.
Eine Untersuchung zu machen heißt noch lange nicht, dass man auch wirklich eine schlimme Diagnose bekommt.
Tipp: Bei negativer Diagnose die richtige Entscheidung treffenJeder Mensch reagiert anders auf negative Diagnosen. Manche entscheiden schnell und spontan aus dem Bauch heraus, was als nächstes passieren soll. Andere müssen zuerst den Schock verarbeiten und wiederum andere wollen eine Zweitmeinung und sich die besten Ärzte aussuchen.
Hör auf dein Bauchgefühl. Was ist deine erste Intuition.
Recherchiere im Internet nicht einfach drauflos. Da findest du alle möglichen Informationen. Lass dir von den Spezialisten, Beratern oder entsprechenden Stiftungen passende Seiten empfehlen.
Nimm deine Ängste und Bedürfnisse wahr, schreibe sie auf und teile sie den Ärzten mit.
Wenn du dich über mögliche Maßnahmen informieren möchtest, dann lass dir in Ruhe alles erklären.
Welche Behandlungsmöglichkeiten hast du? Wäge Pro und Contra ab.
Besprich, wenn du möchtest, alles mit deiner engsten Vertrauensperson.
Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um die richtige Entscheidung zu treffen.

      Jetzt war ich also allein. Ich lief wie in Trance durch das Spital. Als ich draußen die kalte Luft spürte, kehrten langsam die ersten Gefühlsregungen in meinen Körper zurück. Die Scheibe, die mich vor allem abgeschottet hatte, wurde immer dünner.

      Ich lief zum Parkhaus und die Tränen begannen mir über die Wangen zu laufen.

      Aber erst im Auto konnte ich so richtig loslassen und bekam einen regelrechten Heulkrampf.

      Ich stand immer noch unter Schock. Aber der Schock vermischte sich jetzt mit dem Begreifen, mit der Realität. Und vor allem mit den Gefühlen. Ich fühlte plötzlich die ganze Bandbreite an Emotionen. Alle brechen plötzlich über mich herein: Angst, Traurigkeit, Wut, Fassungslosigkeit und Liebe.

      Da sitze ich nun heulend im Auto. In weniger als einer Sekunde hatte sich mein Leben um 180° gedreht. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es war. Und ich weiß, es wird auch nie mehr so sein.

      Diese Hiobsbotschaft hat mich bis ins Knochenmark durchgeschüttelt.

      Ich heule mich aus und kann mich nach und nach wieder etwas fassen.

      Irgendwann starte ich den Motor. Alles was ich tue fühlt sich so mechanisch an. Wie, wenn sich mein Körper, mein Innenleben, ja mein ganzes Ich in verschiedene Teile aufgesplittert hätte. Kein Teil harmoniert mehr mit dem anderen.

      2. KAPITEL

      Mit der Diagnose in den Alltag

      Von unterwegs rufe ich zu Hause an. Mein Vater nimmt den Anruf entgegen. Kaum höre ich seine Stimme, übermannen mich wider die Emotionen. Er fragt, was los sei. „Ich habe einen Hirntumor!“, schreit es förmlich aus mir heraus.

      Dann ist es einen Moment still. Damit hat mein Vater nicht gerechnet.

      Heulend erzähle ich ihm in der Kurzversion, was gerade passiert ist.

      „Komm doch jetzt erst mal nach Hause, dann schauen wir weiter“, meint er geschockt und gleichzeitig beruhigend.

      Er hatte Angst mich so nach Luzern fahren zu lassen, wie er mir später mal erzählte. Er wollte sich erst ein Bild von mir machen und mich in Sicherheit wissen.

      Daraufhin rufe ich meinen Freund Sacha an, denn auch er wartet auf meinen Bericht und wir wollten ja heute mit seiner Familie Weihnachten feiern. Wie mein Vater war auch er völlig vor den Kopf gestoßen.

      Zu Hause in Derendingen angekommen, fällt mir als erstes meine Schwester um den Hals. Ihr laufen die Tränen nur so runter. Wir stehen im Hauseingang beieinander und umarmen uns. Mein Vater wirkt wie der Fels in der Brandung. Ich spüre, dass auch ihm alles sehr nahegeht, er aber versucht sich zusammenzureißen, den Ausgleich zu schaffen und uns etwas zu beruhigen. „Es kommt schon gut, das schaffen wir“, meint er immer wieder.

      Als Mam von der Arbeit nach Hause kommt, merkt sie natürlich sofort, dass hier etwas nicht stimmt. Sie ist fassungslos. Es sei gewesen, als ob einem jemand den Boden unter den Füssen weg zieht, hat sie mir später einmal erzählt. Schock pur.

      Irgendwie komme ich mir etwas blöd vor und es tut mir total leid, dass schon wieder ich diejenige bin, die ihnen Sorgen bereitet.

      Ich stehe da, umarme meine Mam und spüre, wie sie ein Flashback hat. Ich bekomme ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen. Keine Ahnung warum, aber es ist so. Ich merke und sehe ihr an, dass Erinnerungen an früher Erlebtes viele Emotionen auslösen.

      Als zwei Monate altes Baby hörte ich in der Nacht immer wieder auf zu atmen. Meine Mutter wachte zum Glück immer rechtzeitig auf und brachte mich dazu, meine Lungen wieder mit Luft zu füllen. Sie hat mir mal gesagt, dass es eine Zeit gab, da traute sie sich fast nicht mehr einzuschlafen, weil sie Angst hatte mal nicht rechtzeitig aufzuwachen. Aber das war natürlich nie der Fall.

      Es ist unglaublich, wie man als Mutter ein Band zum und eine Sensibilität für das eigene Kind entwickelt. Dieses „Spüren“ verblüfft mich, jetzt da ich selber Mami bin, auch immer wieder.

      Damals stellte sich heraus, dass ich stark an Asthma litt. Ich war bis zu meiner Teenagerzeit immer wieder krank. Angina und Bronchitis waren sozusagen treue Begleiter. Manchmal fehlte ich in der Schule