Maya Shepherd

Schattenchance


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      „Ich bin auch eine Schattenwandlerin, warum darf ich nicht dabei sein?“

      Sie packte Eliza an den Schultern und schüttelte sie. „Du lässt dich hier nie wieder blicken. Versprich es mir!“ Ich wusste nicht, was mich mehr verstörte. Der Anblick der vielen apathischen Menschen oder zum ersten Mal Angst in den Augen meiner Tante zu sehen. Ich hatte mich in ihr getäuscht. Es ging keine Gefahr von ihr aus. Ganz im Gegenteil: Sie versuchte, Eliza zu schützen. Immer noch. Anders war es nicht zu erklären, warum ihr so viel daran lag, dass Eliza sich hier nicht blicken ließ. Sie wollte sie vor Charles verstecken, damit er nichts von ihrer Existenz erfuhr.

      „Gar nichts werde ich!“, kreischte Eliza empört. „Was ist das hier? Eine Art Geheimbund der Schattenwandler?“

      Rhona strich sich über die schweißnasse Stirn. Sie war verzweifelt. „Eliza, ich werde dir alles erklären, aber nicht jetzt. Geht nach Hause und erzählt Susan oder George nichts von dem, was ihr heute gesehen habt. Das muss unter uns bleiben. Kann ich mich auf euch verlassen?“

      Sie sah mir eindringlich in die Augen und ich wusste, sollte ich mich weigern, würde sie dafür sorgen, dass ich mich an nichts erinnern konnte, was ich erzählen könnte. Also nickte ich eilig. Eliza gab sich zögerlicher. „Versprichst du, dass du mich einweihen wirst?“

      „Das werde ich, aber nur, wenn ihr jetzt verschwindet! Bitte!“ Noch nie zuvor schien ihr etwas wichtiger gewesen zu sein. Meine stolze Tante flehte uns an. Das schien auch Eliza endgültig zu überzeugen.

      „Wir haben im Innenhof des Nachbargrundstücks geparkt.“

      „Dann fahrt jetzt!“, forderte Rhona uns unnachgiebig auf. „Ich warte hier, bis ihr weg seid.“

      „Was ist mit Mr. Cooper?“, wollte ich wissen. Er war in keinem guten Zustand gewesen, so wie auch all die anderen Menschen.

      „Sobald ihr weg seid, werde ich ihn höchstpersönlich nach Hause bringen. Darauf habt ihr mein Wort!“

      Eliza warf ihr einen misstrauischen Blick zu, aber ging dann mit mir durch das Tor auf den Innenhof und stieg in den Triumph Dolomite. Ein leichter Nieselregen setzte ein, als ich aus der Einfahrt fuhr. Dabei ließ Rhona uns nicht für einen Moment aus den Augen. Selbst als wir die Straße entlang fuhren, blieb sie wie versteinert unter dem Baum stehen und sah uns hinterher. Wir bogen auf die Landstraße ab, sodass wir sie nicht mehr sehen konnten.

      Gleichzeitig stießen Eliza und ich Luft aus. Wir hatten gar nicht bemerkt, dass wir sie beide angehalten hatten. „Das war schräg“ meinte meine Schwester.

      „Total unheimlich“, stimmte ich ihr zu und spürte immer noch die Gänsehaut auf meinen Armen.

      „Wusstest du etwas davon?“, wollte Eliza wissen und ich spürte ihren eindringlichen Blick auf mir, während ich versuchte, mich auf die Straße zu konzentrieren.

      „Wovon?“ Nun war ich es, die sich dumm stellte.

      „Von den anderen Schattenwandlern!“

      „Nein, woher sollte ich?“

      „Genau wie Rhona wolltest du nicht, dass ich zu dieser Party gehe. Du hast gesagt, Charles Crawford wäre gefährlich. Woher weißt du das?“

      „Nur eine Ahnung!“, versuchte ich mich herauszureden, doch schlagartig wurde mir etwas anderes bewusst und ich legte eine Vollbremsung samt quietschenden Reifen mitten auf der Straße hin.

      Eliza schrie auf, als sie nach vorne geschleudert wurde und der Sicherheitsgurt in ihre Haut schnitt.

      „Dairine!“, stieß ich aus.

      Fluchend rieb sich meine Schwester über die wunde Hautstelle. „Was ist mit ihr?“

      „Sie muss auch noch bei den Fomori sein!“

      „Den Fomori?“ Eliza legte die Stirn in Falten und durchbohrte mich mit ihrem Blick. „Nennt sich so dieser Geheimbund? Wie kann es sein, dass du mehr über sie weißt als ich?“

      „Das ist jetzt völlig egal!“, schrie ich. „Wir müssen zurück und Dairine da rausholen.“ Ich setzte dazu an, den Wagen mitten auf der Straße zu wenden, doch Eliza legte ihre Hand auf meine.

      „Nein, du bleibst hier und ich gehe alleine zurück!“

      Überrascht sah ich sie an.

      „Ich kann mich in den Schatten bewegen und nach ihr suchen, ohne dass mich jemand bemerkt. Du wartest hier auf mich.“ Sie sah aus dem Fenster, als sie weitersprach, als würde sie es nicht über sich bringen, mir dabei ins Gesicht zu blicken. „Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“

      Eine Wärme breitete sich in mir aus, die von meinem Herzen ausging. Eliza mochte unausstehlich sein, aber ein winziger Funke ihrer selbst schien immer noch da zu sein. Ich war ihr immer noch wichtig, auch wenn sie es nicht so deutlich zeigte.

      „Na gut“, willigte ich ein und zog mein Handy aus der Tasche. „Aber wenn du in fünfzehn Minuten nicht mit ihr zurück bist, rufe ich die Polizei.“

      Eliza lachte auf. „Glaubst du, die könnten etwas gegen eine Horde Schattenwandler ausrichten? Die würden sich doch nicht einmal mehr daran erinnern, dass sie je auf dem Grundstück gewesen sind.“

      Meine Erfahrung mit den Fomori und der Polizei hätte mich eigentlich lehren sollen, dass ich besser keine anderen Menschen mit in diese Machenschaften hineinziehen sollte. Es hatte immer mit Leichen geendet.

      „Aber mach nur, wenn du dich dann sicherer fühlst“, forderte Eliza mich auf und betätigte die Zentralverriegelung des Dolomite, indem sie den Knopf am Fenster herunterdrückte. „Lass niemanden rein“, schärfte sie mir ein, bevor sie sich vor mir in Schatten auflöste. Unruhig und mit ängstlich klopfendem Herzen blieb ich zurück. Würde sie Dairine finden?

      5. Eliza

      Mittlerweile schaffte ich es mühelos, mich in den Schatten zu bewegen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Zu Beginn hatte ich es nicht lenken können, wann oder wie lange ich verschwand, geschweige denn, wo ich wieder auftauchte. Es war immer eine unschöne Überraschung gewesen und gefährlich dazu. Doch seitdem Rhona sich um mich kümmerte, trainierte ich täglich, um meine Fähigkeiten zu perfektionieren. Ich wollte ihr und allen anderen beweisen, dass ich wenigstens zu etwas zu gebrauchen war. Vor allem ihr!

      Bevor das Schattenwandlergen zutage getreten war und ich erfahren hatte, dass Rhona meine leibliche Mutter war, hatte sie sich völlig aus unserem Leben herausgehalten. Alles, was sie über mich wusste, war negativ: Eliza hat schlechte Noten, Eliza schwänzt die Schule, Eliza klaut, Eliza betrinkt sich, Eliza kann keine festen Beziehungen eingehen, Eliza lügt, Eliza hat keine Perspektive im Leben. Zugegeben, ich hatte mir nie besonders viel Mühe gegeben, sondern immer nur das getan, wozu ich Lust hatte, aber irgendwie schien ich schon immer gespürt zu haben, dass etwas mit mir nicht stimmte. Seitdem ich von den Schattenwandlern und Rhona wusste, ergab alles plötzlich irgendwie einen Sinn.

      Umso mehr verletzte es mich, dass Rhona mich scheinbar nicht bei sich haben wollte. Sie gehörte diesem Geheimbund an und dachte gar nicht daran, mich einzuweihen. Aber damit noch nicht genug, wusste Winter auch noch mehr als ich, woher auch immer. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Rhona sie einweihte und mich außen vor ließ. Warum sollte sie? Winter war nur ein Mensch!

      Während ich in den Schatten durch das große Anwesen schlich, sah ich mich erneut um. Den Einrichtungsstil als minimalistisch zu beschreiben, traf es wohl am besten. Hochwertige, teure Designermöbel standen in riesigen Zimmern, während vereinzelte Gemälde die Wände zierten. Kein Schnickschnack! Keine Gefühlsduselei in Form von Fotos oder anderen Erinnerungsstücken. Nichts in diesem Gebäude verriet etwas über den Bewohner: Charles Crawford. Ich hatte Bilder von ihm im Internet gefunden. Er war etwas älter als Rhona, aber mindestens genauso gutaussehend wie sie. Ein Mann mit Charme und Einfluss. Vielleicht lag darin tatsächlich eine Gefahr, aber gleichzeitig reizte es mich, mehr über ihn zu erfahren. War er auch