nachdachten, was Evan zu mir gesagt hatte. Was, wenn Mona ohne uns besser dran war? Sie hatte bei unserem zufälligen Aufeinandertreffen wirklich einen guten Eindruck auf mich gemacht. Zudem lag mir Smalltalk nicht besonders und ich wusste nicht, worüber ich mit ihr reden konnte, ohne zu viel von mir preiszugeben. Wenn ich ihr die Wahrheit erzählte, würde sie mich für verrückt halten. Dairine war meine beste Freundin und deshalb hoffte ich, dass sie mir irgendwann doch glauben würde. Aber für Mona war ich eine völlig Fremde.
Wie es Aidan wohl ging? Ob er noch immer in Velvet Hill war? Ich nahm mir vor, das bei Gelegenheit zu überprüfen. Auch wenn er in der letzten Zeit vor seinem Tod mehr Monas Freund als irgendetwas anderes gewesen war, so verband uns doch der gemeinsame Aufenthalt in der Psychiatrie. Ohne ihn hätte ich die Zeit nicht durchgestanden. Mittlerweile war ich mir sogar sicher, dass ich nie wirklich in ihn verliebt gewesen war. Es war mehr der Wunsch nach Nähe gewesen. Lucas hatte mich für Eliza verlassen, Liam war durch meine Hand gestorben … Ich hatte mich so sehr nach jemandem gesehnt, der mich liebte, dass ich Zuneigung mit Liebe verwechselt hatte. Für Aidan musste es ähnlich gewesen sein. Ich hatte seinen tristen Klinikalltag aufgewirbelt und war die Erste gewesen, die ihm Hoffnung auf ein normales Leben gegeben hatte.
Ein Räuspern ließ mich erschrocken zusammenfahren. Meine Gedanken hatten mich völlig eingenommen und ich hatte nicht damit gerechnet, von jemandem angesprochen zu werden. Ungläubig blickte ich in stahlgraue Augen empor. Liams Hand lag auf dem Stuhl neben mir. Ich spürte, wie mir eine Hitzewelle durch den gesamten Körper jagte.
Er lachte auf, was mir bewusst machte, dass ich sicher ein ziemlich dummes Gesicht machte. „Darf ich dich kurz stören?“
„Ja, klar“, antwortete ich viel zu begeistert und fragte mich gleichzeitig, wie es dazu kam, dass er meine Nähe suchte. Bisher hatte ich nicht den Eindruck gehabt, dass irgendeiner meiner Annährungsversuche von Erfolg geprägt gewesen wäre. Aber bei ihm konnte man sich nie sicher sein.
Er zog den Stuhl zurück und ließ sich neben mir nieder. Unauffällig ließ er den Blick durch die Cafeteria wandern, die sich langsam leerte. Es würde bald zur nächsten Stunde klingeln. Er rutschte ein Stück zu nah an mich heran, als es für einen Lehrer und seine Schülerin üblich gewesen wäre. Sein Knie berührte meines und jagte einen Stromstoß durch meinen Körper. Als er sich zu mir vorbeugte, hatten sich meine Nackenhärchen bereits aufgestellt. „Du hast am Samstag meine Freundin Faye kennengelernt, oder?“
Eine Mischung aus Panik und Enttäuschung machte sich in mir breit. Er wollte mit mir ausgerechnet über Faye sprechen? Ich hatte ihr viel zu viel verraten. Ich beschloss, dass es besser war, nichts zu sagen, bevor ich nicht mehr wusste, und nickte deshalb lediglich.
Erneut sah er sich um, als fürchte er, dass jemand unser Gespräch belauschen könnte. „Du hast ihr Angst gemacht.“
„Ich ihr?“, stieß ich ungläubig hervor. Warnend sah er mich an, da ich etwas zu laut geworden war. Sofort mäßigte ich meine Stimme. „Sie hat mich bedroht und nicht anders herum“, raunte ich in dem Versuch, mich zu verteidigen.
Er runzelte die Stirn, als hätte er keine Ahnung, wovon ich sprach. „Woher weißt du, dass sie bei den Fomori war?“
„Sollte die Frage nicht eher sein, woher ich überhaupt von der Existenz der Fomori weiß?“
Er musterte mich und schien mich zum ersten Mal überhaupt wirklich wahrzunehmen. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass ich mich vor Faye beinahe geoutet hatte. Das weckte zumindest sein Interesse an mir. „Du bist keine Schattenwandlerin“, stellte er verständnislos fest.
„Ich nicht, aber meine Schwester“, klärte ich ihn auf. Über seine Mundwinkel zog sich ein triumphierendes Grinsen. „Wusste ich es doch“, murmelte er, was mir einen Stich versetzte. Die Erinnerung daran wie er kaum die Augen von Eliza hatte lassen können, war allgegenwärtig, ob es mir lieb war oder nicht.
„Unsere Tante ist die rechte Hand von Charles Crawford“, fuhr ich fort, um seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken. Es funktionierte, denn sein Grinsen verschwand. Stattdessen starrte er mich entsetzt an. Erneut ließ er seinen Blick misstrauisch über mein Gesicht wandern. Er schien abzuwägen, ob eine Gefahr von mir ausging. „Hat Faye etwas zu befürchten?“
„Also gehört sie wirklich nicht mehr zu ihnen?“
„Nein“, versicherte er mir und sah mir dabei eindringlich in die Augen. „Ich weiß nicht, wie viel du weißt, aber …“
„Ich weiß alles“, unterbrach ich ihn etwas zu vorschnell. Ich wusste mehr als jeder andere, mehr, als ich hätte wissen dürfen.
Irritiert blickte er mir entgegen. „Du weißt, dass Charles Crawford unsterblich ist?“
„Nicht nur das, ich weiß auch, was er dafür tun musste.“
Wir sprachen es beide nicht aus. „Genau, das ist der Grund, warum Faye die Fomori verlassen hat. All dies ging ihr zu weit. Deshalb ist sie zu mir gekommen, um sich hier vor ihnen zu verstecken. Und dann tauchst du plötzlich auf und stellst solche Fragen. Du wirst sicher verstehen, dass ihr das eine Heidenangst eingejagt hat.“
Bisher hatte Faye nicht den Eindruck bei mir erweckt, vor irgendetwas Angst zu haben. Aber es war irgendwie beruhigend zu wissen, dass nicht nur ich ihretwegen unruhige Nächte hinter mir hatte, sondern dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. „Soweit ich weiß, interessieren sich die Fomori nicht für sie“, versuchte ich Liam zu beruhigen. „Ich glaube, dass sie aus anderen Gründen hier sind.“
„Macht“, stimmte er mir zu. „Erst der Bürgermeisterposten …“
„Und danach der Rest der Welt“, schloss ich. Wir sahen einander in die Augen, wobei mein Herz wie wild gegen meine Brust hämmerte. Ohne, dass ich es geplant hatte, hatte ich etwas gefunden, das uns verband.
„Was ist mit deiner Tante? Rhona, oder?“
„Ich weiß es nicht genau. Sie ist zwar seine rechte Hand, aber ich glaube, dass sie Eliza und mich vor den Fomori zu schützen versucht. Es ist nicht leicht sie zu durchschauen.“
„Ihr solltet sie besser im Auge behalten“, schärfte er mir ein. „Hältst du mich auf dem Laufenden?“ Er schob seinen Stuhl zurück, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass für ihn das Gespräch wohl an dieser Stelle beendet war. Für meinen Geschmack jedoch viel zu schnell. Die leere Cafeteria verriet mir, dass die nächste Stunde bereits begonnen haben musste. „Wir könnten zusammen einen Kaffee trinken gehen und über alles reden“, schlug ich ihm vor.
Er sah von mir zu meinem Kaffeebecher, der immer noch voll, aber mittlerweile kalt vor mir stand. „Du scheinst Kaffee nicht besonders zu mögen“, witzelte er, was mich erröten ließ.
„Ich mag vor allem den Duft“, gab ich verlegen zu, denn es würde ihn sicher nicht interessieren, dass ich mir zu viele Gedanken gemacht hatte und dabei meinen Kaffee völlig vergessen hatte.
„Hast du jetzt keinen Unterricht?“
„Nein“, log ich, wohl wissend, dass er das leicht würde nachprüfen können. Mein Herz raste bei der Vorstellung, noch länger neben ihm sitzen zu können. Er schien tatsächlich darüber nachzudenken, doch etwas ließ ihn doch zögern.
„Gibt es denn noch etwas Wichtiges, das du mir in Bezug auf die Fomori erzählen möchtest?“
„Nein, aber wir könnten doch unser Wissen austauschen und besprechen, wie wir gegen sie vorgehen wollen.“
Er hob abwehrend die Hände. „Ich habe nicht vor, etwas gegen sie zu unternehmen.“
„Aber Charles wird sich nicht damit zufrieden geben! Er wird versuchen, auch die anderen Fomori unsterblich zu machen …“
„Das ist mir egal“, unterbrach er mich. „Ich möchte keinen Ärger mit ihnen, deshalb ist es am besten, wenn ich mich aus allem raushalte.“ Das hörte sich ganz und gar nicht nach dem Liam an, den ich kannte.
„Ich muss jetzt meine nächste Stunde vorbereiten. Sollte noch etwas