Maya Shepherd

Schattenchance


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wirkte ziemlich glücklich mit Eliza und ich wusste, dass es genau das war, was er immer gewollt hatte. Doch auch mit Evan war er auf dem Weg gewesen, glücklich zu sein. Das, was zwischen ihnen gewesen war, hatte nie die Chance bekommen, mehr zu werden.

      „Wenn Lucas sich daran erinnern könnte, was geschehen ist, würde das deine Chancen erheblich steigern“, erwiderte ich und versuchte, ihn so davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, Dairine einzuweihen. Er war immer noch unsicher, aber zuckte nun ergeben mit den Schultern. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber beschwere dich nicht bei mir, wenn sie dich danach für übergeschnappt hält und nicht mehr mit dir reden will.“

      Der Sportunterricht war das Schulfach, welches ich mit Abstand am wenigsten leiden konnte. Ich verabscheute Sport zwar nicht im Allgemeinen, aber ich mochte keine Ballspiele und auch nicht das alberne Verhalten meiner Mitschüler. Dairine und ich standen abseits von den anderen, die sich bereits munter Bälle zuwarfen, obwohl der Lehrer noch nicht aufgetaucht war. Das würde wieder eine ordentliche Standpauke geben!

      „Wie kam das eigentlich zwischen Evan und dir?“, wollte sie gerade neugierig wissen. „Ich hatte wirklich gar keine Ahnung, dass ihr überhaupt ein Wort miteinander gewechselt habt.“ Sie klang enttäuscht.

      „Glaub mir, mich hat es genauso überrascht wie dich“, erwiderte ich ausweichend. Zwar wollte ich sie einweihen, aber sicher nicht im Sportunterricht. „Ich könnte heute Abend …“, setzte ich an und wollte ihr eigentlich vorschlagen, bei ihr vorbeizukommen, um ihr alles zu erzählen, doch mir blieben die Worte im Halse stecken.

      Ein Pfiff schrillte durch die Sporthalle und sämtliche Augenpaare richteten sich auf den Lehrer, der gerade aus der Umkleide trat. Er trug eine locker sitzende schwarze Sporthose und dazu ein graues Shirt, das an seinen Oberarmen etwas enger saß und so seinen muskulösen Körper erahnen ließ. Das Grau seiner Augen war beinahe noch auffälliger als sein hellblondes Haar, aus dem sich eine einzelne Strähne gelöst hatte und ihm lässig in die Stirn fiel. Er nahm seine Finger von den Lippen, mit denen er soeben den Pfiff erzeugt hatte.

      Liam.

      Mein Herz tanzte.

      Was machte er denn hier? Das ganze Wochenende hatte ich vor seiner Wohnung verbracht und nun tauchte er einfach in der Sporthalle auf. Ausgerechnet in der Sporthalle! Er war doch Musiklehrer gewesen! Ich hatte nicht gewusst, dass er auch noch Sport studiert hatte. In Musik war ich bereits nicht sonderlich überzeugend, aber in Sport war ich eine absolute Niete! Ich würde seine Aufmerksamkeit höchstens durch meine Unfähigkeit erzielen können.

      Völlig unvorbereitet traf mich ein Ball an der Stirn und ich ging zu Boden. Mir wurde schwarz vor Augen und für einen Moment rauschte das Blut in meinen Ohren. Als ich die Augen öffnete, schnappte ich erschrocken nach Atem. Liam kniete über mir und sah auf mich hinab. Seine Hand lag auf meiner Stirn.

      „Tut das weh?“, fragte er. Ich spürte nichts außer seiner Berührung, die mir einen Schauer durch den ganzen Körper jagte. Benommen schüttelte ich den Kopf und hätte am liebsten meine Meinung geändert, als er seine Hand wegnahm.

      „Das wird eine Beule werden. Morgen wirst du als Einhorn zur Schule kommen“, scherzte er mit verschmitztem Lächeln, das meine Beine weich werden ließ. Er erhob sich und richtete tadelnde Worte an den Mitschüler, der den Ball unachtsam in meine Richtung geworfen hatte. Danach wendete er sich wieder mir zu und reichte mir seine Hand, um mir aufzuhelfen. Ich zögerte, sie zu ergreifen, aber als unsere Hände sich berührten, gab es einen Stromschlag, der uns beide erschrocken zurückzucken ließ.

      Liam rieb sich lachend über die Handfläche. „Da ist wohl jemand von uns elektrisch aufgeladen.“ Er drehte sich dem Kurs zu. „Das war ein denkbar blöder Start, aber ich hoffe, dass wir in Zukunft besser miteinander auskommen werden. Ich bin Mr. Dearing und werde euch von nun an in Sport unterrichten.“

      Das war der Tag, an dem Sport mein Lieblingsfach wurde.

      2. Winter

      Liam als Sportlehrer zu haben, veränderte alles. Zum einen eröffnete es mir ungeahnte Möglichkeiten, da wir uns nun beinahe täglich sehen würden, ohne dass er oder jemand anderes Verdacht schöpfen würde. Gleichzeitig verbot es mir mich zu oft vor seiner Wohnung blicken zu lassen. Wenn er mich nun dort sah, würde er wissen, dass ich eine seiner Schülerinnen war. Beim ersten Mal würde er sich vielleicht nicht viel dabei denken, aber das zweite, dritte und weiß Gott wievielte Mal würde ihn definitiv stutzig machen. Das konnte ich nicht riskieren. Ich hatte keinen Plan wie ich ihn dazu bringen sollte sich zu erinnern, aber es war erst einmal entscheidend, dass er mich überhaupt wahrnahm. Ihn um ein Date zu bitten, kam nicht in Frage, also musste ich ihm irgendwie anders auffallen. Im Idealfall natürlich positiv.

      Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus und begutachtete meine untrainierten Oberarme in Dairines körpergroßem Spiegel, der sich neben ihrem Kleiderschrank befand. Es war Mittwochabend und wir hatten uns verabredet, um gemeinsam unsere Lieblingsserie zu schauen. Nicht etwa Vampire Diaries oder Teen Wolf, denn seitdem Schattenwandler in unserem Leben so normal waren wie Krankenschwestern oder Polizisten, war unser Bedarf an Mystischem und Fantasie gedeckt. Stattdessen liebten wir es, uns in den Verschwörungstheorien von Pretty Little Liars zu verfangen. Sie hob belustigt die rechte Augenbraue. „Was ist los? Wenn du dir um deine Figur Gedanken machst, hättest du vielleicht nicht vor gerade einmal zehn Minuten den Jumboeisbecher bis zum letzten Löffel in dich reinschaufeln sollen.“

      Ich warf ihr einen grimmigen Blick zu. Als ich zur Tür hereingekommen war, hatte sie mir bereits den Eisbecher in die Hand gedrückt. Es war unser erstes Eis in diesem Jahr gewesen und sie wusste ganz genau, dass ich dem Vanilleeis von Lorenzo nicht wiederstehen konnte. Es war super cremig und hatte diese winzigen kleinen schwarzen Punkte von echter Bourbon-Vanille. Dazu Erdbeersahne und weiße Schokoladensoße. Ein wahrer Traum!

      Eigentlich störte mich meine Figur auch gar nicht so sehr. Ich hätte gerne ein paar mehr Rundungen wie Eliza gehabt. Was mich störte, war, dass ich absolut unsportlich war. Das störte mich allerdings auch erst, seitdem Liam unser Sportlehrer war. Warum konnte er in dieser Realität nicht Musik unterrichten, wie ich es bereits gewohnt war?

      „Was würdest du davon halten, wenn wir mit dem Joggen beginnen würden?“, schlug ich Dairine vor und zog schnell wieder meinen Cardigan über, um nicht länger den Anblick meiner zu hellen und untrainierten Haut ertragen zu müssen.

      „Ähm …“, machte Dairine, „lass mich kurz nachdenken ... Gar nichts?“

      „Dann eben ein anderer Sport. Wie wäre es mit Schwimmen?“ Ich ließ mich neben ihr auf dem großen Wasserbett nieder, das mich mit einem leisen Gluckern willkommen hieß. „Wenn es warm genug ist, könnten wir ins Freibad gehen und würden dabei sogar braun werden.“

      Dairine gluckste. „Winter, du wirst nicht braun, egal wie lange du in der Sonne brutzelst, du würdest danach höchstens wie ein Krebs aussehen.“

      „Es geht mir doch gar nicht um das Bräunen, sondern um den Sport.“

      Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Seit wann interessierst du dich für Sport? Du hast es doch noch nicht einmal nötig!“

      Protestierend stemmte ich die Hände in die Hüften. „Nur weil ich nicht dick bin, heißt es nicht, dass mir Sport nicht guttun würde. Meine Haut könnte straffer sein und meine Ausdauer ist gleich Null.“

      „Ich würde morden, um essen zu können, was ich will, ohne wie ein Hefeklos aufzugehen.“ Sie kniff sich demonstrativ in ihren Bauch. Auch Dairine hatte keinen Grund, sich über ihre Figur zu beschweren. Sie war zwar relativ klein, aber ihre Fettpölsterchen verteilten sich genau an den richtigen Stellen, wofür ich sie wiederum beneidete. In dieser Hinsicht waren wir typische Mädchen, die nie mit ihrer Figur zufrieden waren.

      „Na also, dann lass uns aufhören zu jammern und etwas dagegen tun“, forderte ich sie auf.

      „Mir reicht meine tägliche Fahrradfahrt zur Schule“, maulte sie jedoch immer noch desinteressiert.