Maya Shepherd

Schattenchance


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mich im vergangenen Jahr dazu überredet hatte. Mit ihm wuchs ich über mich hinaus.

      „Warum tust du es nicht einfach?“, fragte er mich herausfordernd.

      „Ich traue mich nicht“, gestand ich. „Haben Sie schon einmal daran teilgenommen?“

      „Bisher nicht.“ Er sah auf die Uhr, die hinter mir an der Turnhallenwand hing. Dann schlug er den Block zu, der auf seinem Schoß gelegen hatte. „Winter, probiere einfach mal ein paar Sportarten aus. Ich bin sicher, eine davon wird dir gefallen.“ Er erhob sich. „Ich muss jetzt los. Bis zur nächsten Stunde!“

      „Bis zur nächsten Stunde!“, wiederholte ich und blickte ihm sehnsüchtig nach. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Er wusste meinen Namen!

      3. Winter

      Keuchend presste ich die Hand auf meine Rippen und kniff erschöpft die Augen zusammen. Das Seitenstechen war kaum zu ertragen und ich wusste wieder, warum ich es bisher vermieden hatte, Sport zu treiben. Nachdem Dairine von meinem Vorschlag nicht besonders angetan gewesen war, hatte ich Evan gebeten, mit mir Joggen zu gehen – ein Fehler! Man sah es ihm vielleicht nicht direkt an, aber er war in sehr guter Form. Kein Wunder, immerhin war er mit Lucas im Fußballteam! Während ich wie eine Dampflok schnaufte, riss er Witze und versuchte, mich aus der Reserve zu locken. Zu allem Überfluss hatte ich auch noch vorgeschlagen, an Liams Wohnung vorbeizulaufen. Nun hoffte ich jedoch, dass er das Haus nicht verlassen würde, denn ich wollte auf keinen Fall nach Schweiß stinkend und mit knallrotem Kopf von ihm gesehen werden.

      Evan reichte mir schmunzelnd seine Wasserflasche, aus der ich gierig einen großen Schluck nahm. Augenblicklich pochten meine Seite noch mehr. „Langsam!“, ermahnte er mich kopfschüttelnd.

      Frustriert drückte ich ihm die Flasche in die Hand. „Ich bin eine absolute Niete!“

      „Du bist nur untrainiert“, versuchte er, mich zu trösten. „Wenn du jetzt täglich läufst, wird es schon bald besser werden.“

      „Täglich?“, stöhnte ich entsetzt, worauf er zu lachen begann.

      „Mir ist nicht ganz klar, was du damit bezwecken willst. Glaubst du, Liam verliebt sich in dich, nur, weil du plötzlich die schnellste Läuferin bist?“

      „Egal, wie lange ich trainiere, die schnellste Läuferin werde ich nie“, maulte ich deprimiert. „Aber irgendetwas muss ich doch tun, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.“

      „Wie hast du denn beim ersten Mal seine Aufmerksamkeit erregt? Damals warst du genauso unsportlich wie jetzt und er hat sich trotzdem in dich verliebt.“

      „Er hatte nie vor, sich in mich zu verlieben! Ganz im Gegenteil, er wollte mich umbringen“, erzählte ich Evan, der zwar schon lange Lucas‘ bester Freund war, aber das ganze Drama nur am Rand mitbekommen hatte. Nun zuckte er mit den Schultern. „Das ist natürlich ein schlechter Ansatz.“

      „Eben“, stimmte ich ihm zu und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Meine Haare klebten feucht an meiner Kopfhaut. „Er hat sich verändert. Damals wurde er nur Lehrer an unserer Schule, um mit mir in Kontakt zu kommen. Der Job war ihm nie wirklich wichtig. Doch jetzt scheint ihm durchaus etwas daran zu liegen. Ich verstehe aber einfach nicht warum.“

      „Er ist kein Millionär, Winter. Irgendwie muss er doch sein Geld verdienen.“

      „Aber er ist doch immer noch Musiker. Warum macht er seine Leidenschaft nicht zum Beruf?“

      „Du musstest ihn bereits damals dazu überreden“, erinnerte Evan mich. „Es fällt zwar schwer zu glauben, aber vielleicht ist sein Selbstbewusstsein nicht ganz so groß wie es immer den Anschein macht.“

      Das war tatsächlich schwer zu glauben! Ich meinte eigentlich, Liam gut zu kennen, aber vielleicht hatte Evan recht, anders war Liams Verhalten nicht zu erklären. Es half mir jedoch auch nicht dabei, ihn in meine Richtung zu lenken. „Evan, was soll ich tun?“, jammerte ich verzweifelt, während ich mich bei ihm einhakte.

      „Verrätst du mir, wie ich Lucas zurückbekomme?“, konterte er freudlos.

      Ich sagte es ihm nicht, weil ich ihn nicht verletzen wollte, doch er konnte an meinem Gesichtsausdruck ablesen, dass ich in der Hinsicht schwarzsah. Lucas war schon immer in Eliza verliebt gewesen. Sie war seine große Liebe und er hatte nie mehr gewollt, als mit ihr zusammen zu sein. Nun, wo sie es endlich waren, würde er sich sicher nicht von ihr trennen. Auch wenn Eliza nicht mehr die war, die ich in den letzten Monaten zu lieben gelernt hatte.

      Um ihn aufzumuntern versetzte ich ihm einen leichten Stoß. „Könntest du dich nicht einfach in mich verlieben?“, scherzte ich.

      Er schubste mich zurück. „Gegen Liam hätte ich trotzdem keine Chance!“

      „Wer weiß?“, neckte ich ihn und fuhr ihm mit den Fingern durch sein welliges Haar. „Ich kann schon verstehen, warum Lucas dir nicht widerstehen konnte. Weißt du eigentlich, wie begehrt du bei den Mädchen unserer Schule bist?“

      Er zog mich an sich und hätte man uns aus der Entfernung gesehen, hätte man uns in diesem Moment wirklich für ein Liebespaar halten können. „Mich interessieren die anderen nicht.“ Seine Hände legten sich um mein Gesicht und er sah mir tief in die Augen. „Genauso wenig wie Liam sich je für eine andere interessiert hat, nachdem er dich kannte. Winter, du warst die Einzige, die er je geliebt hat, und genau deshalb wird er auch früher oder später den Weg zu dir finden.“

      „Besser früh als spät“, maulte ich und schmiegte mich in seine tröstende Umarmung. Evan und mich machte unser gemeinsames Geheimnis zu Verbündeten. Es schweißte uns zusammen. Ohne ihn hätte ich mich verloren gefühlt.

      Ich löste mich von ihm und sehnte mich nur noch nach einer warmen Dusche, um den ganzen Schweiß von meiner Haut zu spülen. Eine warme Dusche sollte ich bekommen, jedoch ganz anders als ich es erwartet hatte – als ich rückwärts trat, stieß ich gegen jemanden und spürte, wie sich eine heiße Flüssigkeit über meinen Rücken und meine Schulter ergoss. Vor Schreck schrie ich laut auf und wich zurück, dabei knallte ich gegen Evan, der ebenfalls taumelte.

      Entsetzt sah ich auf die Kaffeeflecken, die sich auf meinem weißen T-Shirt bildeten und warf meinem Gegenüber einen schockierten Blick zu. Im ersten Moment hätte ich sie kaum erkannt: Sie stand mir aufrecht gegenüber anstatt gekrümmt im Versuch, sich vor der ganzen Welt unsichtbar zu machen. Sie trug keinen langen Pony, der die Hälfte ihres Gesichtes verdeckte, sondern hatte ihr langes braunes Haar in einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre dunklen Augen musterten mich und scheuten nicht meinen Blick.

      „Oh, das tut mir leid“, sagte Mona peinlich berührt und starrte dabei auf die braunen Flecken auf meinem Oberteil. Sie klang immer noch etwas schüchtern, aber nicht verschlossen, wie ich es von ihr gewohnt war.

      Ich wedelte beschwichtigend mit den Händen. „Mir tut es leid! Ich hätte mich nicht so ruckartig umdrehen dürfen. Jetzt ist dein ganzer Kaffee verschüttet!“

      Sie atmete erleichtert auf und schenkte mir ein Lächeln. „Schon okay, ich kaufe mir einfach einen neuen.“

      „Kommt nicht in Frage“, protestierte ich lautstark und erkannte meine Chance in dieser zufälligen Begegnung. „Ich lade dich natürlich ein!“

      Sie sah verunsichert zwischen Evan und mir hin und her. „Willst du nicht lieber nach Hause und dich umziehen?“

      Ich folgte ihrem Blick zu dem Kaffeefleck, der mir in der Tat unangenehm war, aber wer wusste schon, wann sich mir sonst nochmal die Chance bieten würde, in Kontakt mit Mona zu kommen. Es tat gut, sie so lebendig und irgendwie auch gestärkt vor mir zu sehen, und vielleicht konnte sie mir auch als seine Cousine den Weg zu Liam ebnen. „Besser wäre das“, lachte ich. „Holen wir das nach?“

      „Die Einladung zum Kaffee?“, fragte sie erstaunt.

      „Ja“, stieß ich nickend aus. Nun begann Evan ebenfalls, unsicher zu lachen, und legte mir einen Arm um die Schultern. „Entschuldige