Norbert Wibben

Raban und Röiven Der Feuervogel


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bringen würde. Der schwarze Vogel hätte jetzt noch mehr zu der herrschenden Unruhe beigetragen, die Raban ohnehin genug ablenkt. Er versucht vorauszuplanen, wie sie am effektivsten vorgehen sollten. Das verwirft er schließlich resigniert, als sein Opa fordert:

      »Bist du mit dem Sortieren deiner Gedanken fertig? Ich möchte jetzt endlich los.«

      »Wir müssen doch bis zur Öffnung des Museums warten. Ist es nicht besser, das hier zu tun, anstatt draußen vor dem Gebäude?«

      »Ich kenne dort einen kleinen Kiosk. Die verkaufen sicher nicht nur im Sommer leckeres Eis«, grinst er verschmitzt.

      »Hm. Überredet … dann wollen wir mal.«

      Erfreut steht Rabans Großvater auf, verschließt die Haustür und tritt zu dem Jungen. Sobald seine Hand auf dessen Arm ruht, flirrt die Luft.

      Als das Gleißen nachlässt, stehen sie in der Nähe zum Eingang des Museums. Raban hat erneut die Stelle hinter einer Telefonzelle gewählt, da sie dort gegen Blicke anderer Menschen geschützt sind. Jetzt treten sie auf den Weg, der im hellen Sonnenschein liegt. Vereinzelte Spinnfäden ziehen sich quer darüber und glitzern hell auf.

      »Ja, der Herbst ist da. Das merkt man nicht nur an dem verfärbten Laub der Büsche und Bäume.« Finnegan schlendert langsam dorthin, wo im Sommer der Kiosk stand. Raban folgt und lächelt dabei über seinen gutgelaunten Opa, dem der Ausflug sehr zu gefallen scheint. Am Kiosk kauft Finnegan für sich und seinen Enkel ein Eis, das sie langsam genießen, um danach zum Museum zurückzulaufen.

      »Seid ihr schon im Museum und habt ihr etwas herausgefunden?«, knarzt es in Rabans Kopf, worauf der Junge abrupt stehen bleibt.

      »Was ist los?«, will Finnegan wissen.

      »Röiven fragt, ob wir schon Informationen gefunden haben. Einen Moment.« Nun sendet er gedanklich: »Mein Freund, sobald ich etwas weiß, melde ich mich. Also störe mich nicht, da ich konzentriert suchen muss!«

      »Pö!« Dann ist die Verbindung unterbrochen. Raban versucht, den Raben erneut zu kontaktieren, der das aber blockiert. Achselzuckend gibt er es schließlich auf. Sein Freund ist, wie so oft, schnell eingeschnappt, aber das kann er auch später bereinigen. Also nickt er seinem Großvater zu und geht zusammen mit ihm zum Eingang des Museums.

      Raban und Finnegan suchen auf einer Tafel nach dem Bereich, wo die Frühgeschichte des Landes behandelt wird. Sie folgen langen Gängen und durchqueren verschiedene Räume. Schließlich stehen sie vor einem zwar nachgebildeten, aber dennoch beeindruckenden Steinkreis. Er ist nicht wirklich kreisrund, sondern eher einem großen Ei nachempfunden und weist etwa 20 Meter in der Länge und 15 Meter in der Breite auf. In der Nähe des größten Steins, der vermutlich der Wächterstein der Anlage sein soll, steht ein Urzeitmensch mit zotteligem Haupthaar und in Tierfelle gekleidet. Mit nach oben ausgebreiteten Armen hält er die Augen geschlossen.

      Eine kleine Gruppe dieser nachgebildeten Menschen befindet sich außerhalb des Kreises und blickt zu dem, der seine Arme beschwörend erhoben hat. Sie scheinen auf eine Aufforderung zu warten, dass sie in die Anlage treten dürfen. Sie haben einige Feldfrüchte und Blumen dabei, die sie offenbar als Gaben mitbringen.

      Zögernd treten der Junge und sein Großvater an den wartenden Figuren vorbei und gelangen in den Steinkreis. Einen Moment zögern sie und achten darauf, ob sich ein warmes oder kaltes Gefühl in ihnen regt, doch nichts dergleichen geschieht.

      »Das ist ja auch nur eine Nachbildung«, atmet Raban beruhigt auf. Finnegan ist ebenfalls erleichtert. Auf dem Boden sind seltsame Linien aufgemalt, die vermutlich die Kraftfelder der verschiedenen Steine andeuten sollen. An Schnittpunkten dieser Linien sind Leuchtmittel im Boden versenkt, die pulsierend rotes, blaues oder grünes Licht abstrahlen.

      »Wow. Das ist aber beeindruckend.« Raban staunt.

      »Das stimmt. Ob das aber das wiedergibt, was man innerhalb eines echten Steinkreises empfindet, wenn die verschiedenen Energien auf einen wirken, möchte ich bezweifeln.« Finnegan zeigt seine Skepsis deutlich. Nachdem sie die gesamte Fläche abgeschritten sind, erkennen sie einen kleinen Raum hinter einer Trennwand, die durch ein aufgemaltes Bild als Teil der Anlage wirkt und nicht auffällt. Sie treten durch einen dichten Vorhang in diesen Bereich und starten dadurch eine kleine Filmvorführung. Sphärische Klänge ertönen zu Beginn, die an Walgesang erinnern, bis sie schließlich in einem schrillen Ton enden. Dann beginnt der Film, in dem verkleidete Schauspieler eine Opferzeremonie in diesem Steinkreis nachspielen. Sie ähneln den Figuren, die draußen aufgestellt sind. Nachdem ihr Anführer sie hereinwinkt, läuft die Gruppe langsam die Kraftfelder entlang, bis sie dort stehen, wo das rote Licht pulsiert. Hier setzen sie sich auf den Boden, stützen sich mit ihren Armen nach hinten ab, richten ihre Gesichter nach oben und schließen die Augen. Der Anführer nimmt die Opfergaben und legt diese vor einen anderen Stein auf den Boden, der dem Wächterstein gegenübersteht. Dort schließt er ebenfalls die Augen und streckt seine Arme zum Himmel empor. Ein leiser Singsang ist zu vernehmen, ohne Worte verstehen zu können. Auch diese Töne enden in einem schrillen Schrei, dann verbeugt sich der Mann und kehrt zu der Gruppe zurück. Sie erheben sich alle, verbeugen sich ebenfalls in Richtung des Opfersteins und verlassen den Steinkreis. Hier endet der Film.

      Etwas enttäuscht verlassen Raban und Finnegan den Raum. Das Gesehene bestätigt nur das, was sie bereits wussten. Sie finden auf ihrer weiteren Suche Informationen, die die Entstehungszeit vieler Steinkreise in die Bronzezeit einordnen. Auf die Lebensbedingungen der Menschen gibt es zwar Hinweise, aber keine, die auf mögliche Zauberfähigkeiten schließen lassen. Verweise auf ein altes Volk, das Minerva andeutete, gibt es nicht. Ist das Wissen der Schleiereule etwas durcheinandergeraten? Hat Finnegan mit seiner Annahme Recht, dass die Menschen von damals nicht verschwunden sind, sondern sich einfach weiterentwickelt haben? Nach mehreren Stunden schwirren Raban und seinem Großvater die Köpfe. Sie blicken auf weitere Informationstafeln, ohne noch aufzunehmen, was dort geschrieben steht. Der ältere Mann reibt sich die brennenden Augen.

      »Was meinst du, sollen wir mit unserer Suche jetzt Schluss machen? Ich kann jedenfalls fast nichts mehr lesen. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen, die zu tränen beginnen.«

      »Ja. Ich stimme dir zu. Mir geht es genauso. Es ist mir bereits früher in anderen Museen passiert, dass irgendwann die Aufnahmekapazität erreicht ist. Dann hilft nur noch, sich geraume Zeit mit anderen Dingen zu beschäftigen. – Lass uns gehen.«

      Sie atmen erleichtert auf, als sie draußen sind. Einen Moment stehen sie einfach nur still, das Gesicht mit geschlossenen Augen der wärmenden Sonne zugewandt. Plötzlich fährt Raban zusammen. Er schaut sich mehrfach suchend um, bis ihm aufgeht, dass Röiven versucht, gedanklich mit ihm Kontakt aufzunehmen.

      »Hey, Röiven, bist du nicht mehr eingeschnappt?«

      »Wieso eingeschnappt? Pö, ich doch nicht! Habt ihr etwas erreicht?«

      »Mein Freund, komm in Großvaters Wohnzimmer, dann erfährst du alles. Wir sind auch sofort dort.«

      »Röiven wartet auf uns in deinem Wohnzimmer«, sagt Raban laut. Finnegan hat das bereits aus dem Verhalten seines Enkels geschlossen und erwidert:

      »Na, dann sollten wir ihn nicht warten lassen. Er möchte sicher ein paar Brocken Schokolade naschen.« Der alte Mann schmunzelt, blickt sich vergewissernd um, dass sie unbeobachtet sind und legt eine Hand auf den Arm seines Enkels.

      Die Luft flirrt und sie sind zurück in der Küche, von wo sie heute Morgen gestartet waren.

      »Ich mach uns jetzt heiße Schokolade und komme damit ins Wohnzimmer. Geh du schon mal vor«, fordert Finnegan seinen Enkel auf, um lauter hinzuzufügen: »Ich bringe dir auch Schokolade mit, Röiven.« Sofort setzt lautes Knarzen ein, mit dem der Kolkrabe seine Freude kundtut.

      Nach wenigen Momenten sitzen sie dann alle zusammen um den Tisch und genießen die Leckereien. Anschließend beraten sie, was sie mit den Informationen anfangen können. Leider liefern sie keine neuen Erkenntnisse. Der Junge bedankt sich bei seinem Großvater und verspricht, ihn auf dem Laufenden zu halten. Danach umarmen sie