Norbert Wibben

Raban und Röiven Der Feuervogel


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dessen Ergreifung nach.

      »Bist du krank, oder warum liegst du noch im Bett?«, fragt Ciana bereits von der Treppe aus, um kurz darauf die Zimmertür zum Zimmer ihres Sohnes zu öffnen und besorgt hineinzuschauen. Das Zimmer ist in helles Sonnenlicht getaucht, das durchs Fenster hereinfällt. Raban liegt voll bekleidet auf seinem Bett und reibt sich verschlafen die Augen, während der Kolkrabe auf dem Tischchen daneben seinen Kopf unter dem Flügel hervorzieht.

      »Wa… Was ist los, Mom? Ich habe doch nur ein kleines Nickerchen gemacht!«

      »Wieso ein kleines Nickerchen? Du bist gestern Nachmittag in den geheimen Wald gewechselt, um deinen Freund zu besuchen, wie du sagtest. Ich habe dich gestern Abend zwar nicht mehr gesehen, bin aber davon ausgegangen, dass du nachts zurückgekommen bist. Mittlerweile ist es fast Mittag, was mich dann erstaunt hat. Sonst schläfst du doch nicht so lange, also vermutete ich, dass es dir nicht gut gehen könnte.«

      »Wow, so eine lange Rede direkt nach dem Wachwerden auf einen loslassen, das können nur Mütter oder Großmütter. Ich erinnere mich daran, wie mich einmal Großmutter Elfrun so begrüßte, als ich nach einer Auseinandersetzung mit einer von dem schwarz-weißen Lumpenpack, also mit einer Elster hatte, …«

      »Halt, stopp! Ruhe, bitte«, unterbricht der Junge seinen Freund, der nun aufgebracht mit den Augendeckeln klappert. Aber auch Ciana steht erstaunt da und blickt ihren Sohn an.

      »Was ist los? Warum krächzt dieser große Vogel so aufgeregt und warum möchtest du Ruhe haben?«

      »Sorry, Mom. Ich meinte Röiven, der sonst vor dem Abend nicht zu plappern aufgehört hätte. Und du, mein Freund, dreh dich ja nicht empört weg von mir. Du beklagst dich über die lange Rede meiner Mutter und bist selbst nicht besser.«

      »Was, ich plappere? Pö! Muss ich mir das gefallen lassen?« Der Kolkrabe dreht sich zwar nicht von seinem Freund weg, schmollt aber eindeutig.

      »Was hat dein Freund von mir gesagt, ich hätte lange geredet? Ich wollte euch gerade zu einem verspäteten Frühstück mit Cornflakes, Eiern und Speck einladen. Das hat sich damit wohl erledigt!«

      »Och, bitte. Ich entschuldige mich tausendmal«, krächzt der schwarze Vogel, während er aufgeregt auf dem Tischchen herumhopst. »Bitte, sag es deiner Mutter, mein Freund. Ich bin noch völlig erledigt – von dem Besuch bei Minerva. Ob ich vielleicht auch ein Stück Schokolade bekommen kann?«

      Lachend befolgt der Junge den Wunsch seines Freundes und entschuldigt dessen Verhalten. Anschließend erläutert er die Ursache für ihren nur scheinbar langen Schlaf.

      »Wir haben in der Nacht Wache bei Leanas und Ileas Ziegen gehalten, von denen gestern zwei getötet worden sind. Danach haben wir Minerva, die Schleiereule um Rat gebeten und nach unserer Rückkehr wohl vor Erschöpfung so lange geschlafen.« Dass sie zwischendurch noch einen kurzen Abstecher bei Ilea gemacht hatten, um mit ihr die gedankliche Kontaktaufnahme zu üben, hat er weggelassen. Das haben sie gemacht, damit Ilea sie notfalls schnell herbeirufen kann, falls erneut Ziegen in Gefahr sein würden. Seiner Mutter will Raban aber lieber nichts von möglichen Bedrohungen erzählen, damit sie sich nicht um ihn sorgt.

      »Na, dann will ich mal die Eier und den Speck in die Pfanne geben. Das Frühstück, das eigentlich richtiger jetzt »Spätstück« heißen müsste, ist gleich fertig. Also trödelt nicht und folgt mir schnell, sonst bekommt es Nachbars Katze.« Damit verlässt die Mutter lachend das Zimmer.

      »Was meinte deine Mutter mit »Spätstück«?«, knarzt der Rabe mit schräg gelegtem Kopf. »Frühstück kenne ich ja schon von früheren Besuchen, aber das habe ich noch nie gehört. Ist das auch etwas zu essen und wenn ja, schmeckt das überhaupt. Kannst du mir das erklären? Und haben eure Nachbarn tatsächlich eine Katze, die das bekommen würde, wenn wir uns nicht beeilen?«

      »Jo, jepp, wenn du mich zu Wort kommen lässt.«

      »Was, willst du schon wieder anfangen? Ich kann natürlich auch in den geheimen Wald wechseln und mir dort ein … ein …, also das, was deine Mutter sagte, besorgen.« Schon wieder wendet sich der Kolkrabe um und will zu schmollen beginnen, als Raban einlenkt:

      »Sei doch nicht gleich eingeschnappt! Ein »Spätstück« gibt es nicht, Mom hat einen Spaß gemacht und das späte Frühstück kurzerhand so benannt. Aber jetzt müssen wir uns sputen, sonst gibt es gleich weder ein frühes, noch ein spätes Stück!«

      »Was ist das denn jetzt wieder? Hey, warte, mein Freund. Ich komm ja schon.« Röiven erhebt sich jetzt wirklich von dem Tisch und fliegt Raban hinterher, der bereits durch die offen gelassene Tür gelaufen ist und der Treppe nach unten folgt. Vor dem Eingang zur Küche hat er den Jungen eingeholt und landet auf dessen Schulter.

      Nach dem leckeren Frühstück klärt Raban seine Mom über ihre bisherigen Erkenntnisse und die Vermutung Minervas auf.

      »Kennst du das alte Volk und ist es richtig, dass sie die Steinkreise errichtet haben?«

      »So heißt es«, erwidert Ciana. »Sie lebten vor weit über 2000 Jahren in diesem Land. Bevor du aber weiter fragst, mehr weiß ich nicht über sie.«

      »Wir haben in der Schule nichts über sie erfahren. Ich meine das alte Volk. Die Steinkreise sollen, wenn ich mich richtig erinnere, etwa in der Bronzezeit entstanden sein, zumindest einige von ihnen. Sie sind dann wesentlich älter, das können sogar über 5000 Jahre sein. Warum jetzt gleich mehrere von ihnen genutzt und ob die toten Tiere als Opfer irgendwelchen Göttern dargebracht werden? – Hm. Sollte ich mal Opa fragen? Er kennt sich doch ganz gut in griechischer Mythologie aus, vielleicht weiß er auch einiges über das alte Volk.«

      »Griechische Mythologie und das alte Volk sind zwei total unterschiedliche Dinge. Du kannst ihn natürlich trotzdem besuchen und fragen. Er freut sich bestimmt, dich zu sehen und vielleicht irre ich mich ja auch.«

      »Gut, Mom, das mach ich als nächstes. Warte, ich helfe dir beim Aufräumen. Soll ich Großvater etwas mitbringen?«

      »Ich habe heute Morgen ein Sauerteigbrot gebacken, von dem du gerade gegessen hast. Ich gebe dir die Hälfte davon mit. Das isst er sehr gerne, besonders wenn er Schmalz darauf streicht. Davon gebe ich dir auch etwas mit. Einen Moment, ich packe es schnell zusammen.« Sobald sie damit fertig ist, überlegt sie kurz, ob sie nicht mitgehen soll, doch dann trägt sie Raban nur Grüße an ihren Vater auf. »Sag ihm, ich komme beim nächsten Mal mit. Das Reisen mit dem magischen Sprung geht zwar schneller als alle anderen Arten, um von A nach B zu kommen, aber ich habe heute noch viel zu erledigen und könnte bei deinem Opa doch nur möglichen Erklärungen zuhören. Also pass auf dich auf.«

      »Mach ich doch immer!«, grinst der Junge.

      »Ich mein das im Ernst. Du gerätst in der letzten Zeit so mir nichts, dir nichts, in gefährliche Auseinandersetzungen mit Zauberern. Wenn ich an den letzten Sommer zurückdenke, wird mir noch jetzt angst und bange. Reisen in der Zeit, brrr. Was dadurch alles durcheinandergeraten kann. Sei vorsichtig, versprochen?«

      »Versprochen!«

      »Gut. Dein Dad und ich erwarten dich zum Abendessen.« Ciana lächelt und blickt Raban hinterher, als dieser aus der Küche in den Flur eilt und die Treppe hinaufpoltert. Röiven hat kaum Zeit, ihm zu folgen, so schnell ist der Junge.

      Oben angekommen hockt sich der Rabe auf dessen Schulter, dann flirrt die Luft und beide sind verschwunden.

      »Hallo Opa, ich bin’s, Raban. Bitte erschrick nicht. Ich komm dich besuchen.« Dies ruft der Junge schon bevor das Gleißen nachlässt. Er möchte den alten Mann nicht in Angst versetzen, wenn er plötzlich