Norbert Wibben

Raban und Röiven Der Feuervogel


Скачать книгу

alt=""/>

      Raban stürmt aus seinem Zimmer und läuft laut polternd die Treppe hinunter. Das macht er, da seine Mutter nicht weiß, dass er zurück ist. Es ist ihm schon oft passiert, dass sie fürchterlich erschrocken ist, wenn er unerwartet in ihrer Nähe auftaucht. Besonders schlimm ist es, wenn sie Staub saugt, so wie jetzt. Das laute Gebrumm des Motors übertönt alle anderen Geräusche, besonders natürlich die leichten Schritte eines 15-jährigen. Bevor er durch den Flur in das Wohnzimmer kommt, ruft er laut:

      »Ich bin zurück, Mom. Nicht erschrecken!« Obwohl er Ciana derart vorwarnt, fährt sie doch zusammen, als er den Raum betritt.

      »Du sollst nicht so schleichen!« Mit diesem unangebrachten Vorwurf empfängt sie den Jungen und stellt etwas zittrig die Maschine aus.

      »Vielleicht sollten wir uns einen leiseren Staubsauger kaufen. Dieser dröhnt ja so laut, dass du weder mein Poltern auf der Treppe, noch meinen Warnruf gehört hast.«

      »Ich habe tatsächlich nichts davon gehört. Dann entschuldige bitte. – Ich weiß auch nicht, warum ich so schreckhaft bin. Das ist seit letztem Sommer eher schlimmer geworden. Vielleicht rechne ich unbewusst damit, plötzlich einen Zauberer neben mir stehen zu haben. – Das trifft zwar auf dich zu, aber ich fürchte eher einen dieser dunklen Zauberer, die kommen, um dir etwas Böses anzutun.«

      »Aber Mom. Es gibt doch keine bösen Zauberer mehr, seitdem wir ihre Rückkehrmöglichkeit aus der Vergangenheit zerstört haben. Sie sind vermutlich schon vor über 50 Jahren gestorben!« In Gedanken fügt er hinzu: »Ich hoffe sehr, dass das so ist!«

      Dann fragt er: »Ich war heute mit Opa, von dem ich dich grüßen soll, im Museum. Wir haben daher noch keinen Blick in die Zeitung geworfen. Gibt es weitere, seltsame Vorfälle? Wurden erneut Tiere getötet und in einem Steinkreis niedergelegt?«

      »Danke für die Grüße. Geht es Vater gut? Hattet ihr einen schönen Tag? Nun sag schon.«

      »Großvater geht es prächtig. Er hat sich über den Ausflug gefreut und war aufgeregt wie ein kleines Kind, bevor wir ins Museum gingen. Die Vorkommnisse aus der Zeitung beschäftigen ihn genauso wie mich. Er gab mir Informationen, die er bereits recherchiert hatte und die bei dem Besuch dort bestätigt wurden.«

      »Das freut mich. Wie spät ist es denn, ich möchte die Abendnachrichten nicht verpassen.« Ihr Blick sucht die alte Wohnzimmeruhr, ohne sie aber wahrzunehmen. »Dein Dad hat mich heute Morgen telefonisch benachrichtigt, dass er voraussichtlich die nächsten Tage nicht nach Hause kommen wird. Er hat den Auftrag bekommen, Sicherheitskräfte der Regierung bei einer Mission zu koordinieren. Seit den Ereignissen im Sommer und seinem unerschrockenen Einsatz im Untergrund für die Regierung, ist er in einer geheimen Abteilung für Sonderaufgaben zu deren stellvertretendem Leiter ernannt worden. Er hat mir zwar nichts Genaues darüber sagen dürfen, aber die Arbeit ist sicher gefährlich. – Hm. Vielleicht bin ich auch deshalb schreckhafter als früher. Vermutlich rechne ich jeden Moment mit schlechten Nachrichten über deinen Vater oder über dich!« Raban umarmt seine Mutter schnell, die sich kopfschüttelnd auf dem Sofa niedergelassen hat, wo sie seltsam verloren wirkt, so wie sie vor sich hinstarrt. Ciana seufzt kurz und fährt fort: »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich will mir unbedingt die Abendnachrichten im Fernseher ansehen. Ist es schon Zeit dafür?«

      »Es ist noch genügend Zeit, vorher gemeinsam zu Abend zu essen. Komm in die Küche, ich bereite es für uns. Dazu gibt es heißen Kakao mit Zimt, oder möchtest du lieber einen Pfefferminz- oder Hagebuttentee?«

      »Kakao ist gut«, bestätigt sie den Vorschlag des Jungen. Sie steht auf und packt den Staubsauger weg, während Raban in der Küche das Essen vorbereitet. Als sie in den kleinen aber heimeligen Raum tritt, staunt sie:

      »Woher hast du denn die vielen, leckeren …Ach, ich vergesse immer wieder, dass du das mittels Magie bereitest. Das sieht wirklich köstlich aus und duftet so appetitlich.« Ciana verliert etwas von ihrem ängstlichen Blick und setzt sich an den reich gedeckten Tisch. Nach einem großen, vorsichtigen Schluck vom Kakao beißt sie in eine frische Pastete, die in einen knusprigen Teig gebettet ist. Nach den ersten Bissen, die ihr gut munden, atmet sie befreiter auf. »Das schmeckt ausgezeichnet. Ich glaube, ich habe nichts gegessen, seitdem Brendan angerufen hat. Danach war plötzlich ein gewaltiger Knoten in meinem Bauch und ich mochte mir nichts mehr zubereiten. Wenn ihm etwas passieren sollte … Wie spät ist es jetzt?«, fragt sie mit hektischem Blick.

      »Wir haben noch etwas Zeit. Warum fieberst du denn den Nachrichten so entgegen? Hast du etwas im Radio gehört, weshalb du sie nicht verpassen möchtest?«

      »Nein. Habe ich das denn nicht gesagt, als du nach Besonderheiten in der Zeitung von heute fragtest? Nein? Also, auf der ersten Seite steht in großen Lettern: »Sensationelle Entdeckung!« In dem kurzen Artikel darunter steht aber nur, dass die Professoren aus der Hauptstadt, die die letzten Vorkommnisse mit Tieropfern in dem Steinkreis untersuchen, eine unerwartete Entdeckung gemacht haben. Sie wird als »Die Sensation« des Jahrhunderts bezeichnet. Anschließend wird darauf verwiesen, dass die Erkenntnisse, die offengelegt werden können, heute in den Abendnachrichten verbreitet werden. Alle Bürger sind aufgefordert, sich das anzuschauen. Das hört sich so mysteriös an, dass ich das mit dem geheimen Auftrag deines Vaters in Verbindung gebracht habe. Wenn das stimmt, ist möglicherweise die Sicherheit unseres Landes gefährdet. Und das wiederum bedeutet, dein Vater schwebt vielleicht in Gefahr.«

      Ciana legt den Rest des gefüllten Gebäcks auf den Teller zurück. Sie hat offensichtlich keinen Appetit mehr.

      »Geh schon mal ins Wohnzimmer vor, und schalte das Fernsehgerät an. Ich mache noch eine Tasse heißen Kakao und komme damit gleich nach.«

      Seine Mutter nickt schweigend und verlässt die Küche. Raban blickt ihr nachdenklich hinterher und grübelt, warum sie sich so verändert hat. Vielleicht liegt es daran, dass sie mehr oder weniger mit Warten beschäftigt ist, während Brendan und er gefahrvolle Aufgaben erledigen. Wenn sie allein ist, müssen sich ihre Gedanken vor Sorge im Kreis drehen und vermutlich befürchtet sie das Schlimmste. Auf Dauer muss sie das verängstigen. Raban beschließt, seine Mutter zu fragen, ob er sie für ein paar Tage zu ihrem Vater bringen soll. Im Sommer hat das beiden gutgetan. Sie hatten damals sogar in die Geschehnisse eingegriffen, indem sie Gefangenen geholfen haben und dabei die Anhänger und Schergen der Dubharan hinters Licht führten.

      Als die Nachrichtensendung mit der typischen Tonfolge angekündigt wird, betritt er das Wohnzimmer und setzt sich neben seine Mutter. Der Nachrichtensprecher beginnt mit unbewegter Miene:

      »Liebe Zuschauer!

      Wie in den letzten eineinhalb Wochen in den Zeitungen berichtet worden ist, kam es immer wieder zur Tötung verschiedener Tiere und deren Raub von den Weiden. Aufgefunden wurden die Kadaver innerhalb unterschiedlicher Steinkreise oder Pentagrammen aus toten Vögeln. Als vor einigen Tagen Tiere in einem Steinkreis im Norden entdeckt wurden, waren auf allen Steinen der großen Anlage seltsame Symbole mit Ruß oder Holzkohle gezeichnet worden. Professoren der Universität der Hauptstadt haben bei deren Erforschung eine sensationelle Entdeckung gemacht. Sie sehen jetzt eine Information der Wissenschaftler.«

      Es wird kurz das Emblem der Universität und danach der Teilausschnitt der Anlage eingeblendet, der zuvor bereits in der Zeitung abgedruckt worden war.

      Danach wechselt das Bild zu einem Mann mit langen, grauen Haaren, der durch eine Nickelbrille mit starken Gläsern in die Kamera lächelt.

      »Wir können ihnen, liebe Zuschauer, eine Sensation mitteilen. Unter den Symbolen auf den Steinen befinden sich Sonnen, Sterne und Monde, aber auch hakenförmige Striche sowie Zahlen. Meine geschätzten Kollegen und ich haben die meisten Zeichen als Keilschrift identifiziert, die etwa in der Zeit vor 5500 Jahren bis 2100 Jahren im Vorderen Orient in verschiedenen Sprachen genutzt wurde. Sie entwickelte sich im Reich der Sumerer, um