Amalia Frey

Alvine Hoheloh


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Magen rebellierte vor Ärger und das verschlimmerte die Unterleibskrämpfe. Sie fragte sich unweigerlich, ob sie wohl mehr oder weniger belästigt werden würde, entspräche ihr Aussehen dem gängigen Schönheitsideal.

      Würde dieses teure Kleid von einer Blondine mit roséfarbener Haut getragen, deren üppige Form durch ein raffiniertes Korsett bestens betont wäre, würde man ihr ehrerbietig begegnen? Vor allem Männer zollten ihr erst Respekt, vielmehr entwickelten sie ein fast romantisches Interesse, sobald sie ihren Namen und von dem damit verbundenen Erbe erfuhren.

      Alvine war darin geübt, trotz ihrer Schmerzen, ein festes Gesicht zu machen und Unflätigkeiten an sich abprallen zu lassen. Sie trug auch heute ihre Nase demonstrativ so hoch, dass kaum einer der Männer sich ernstlich erdreistete, penetrant zu werden.

      Einmal streifte eine Hand fühlbar ihre Hüfte und sogleich trat und traf sie in die richtige Richtung: Ein gedämpftes Japsen erklang, der Stimme nach gehörte es einem von den lüsternen Alten, und Alvine drängelte sich zufrieden davon.

      Wüsste ihr Vater um seine sich bewahrheitete Prophezeiung, würde er ihr sofort wieder verbieten, ohne Gesellschaft das Haus zu verlassen. Ihr war diese lieb gewonnene kleine Freiheit jedoch so teuer, dass sie ihm um nichts auf der Welt davon erzählt hätte. Und Belästigungen mit unauffälligen Tritten und Zwicke zu begegnen, darin war sie geübt, schon bevor sie auf ihrem ersten Ball eine für sie gefährliche Situation hatte abwenden müssen.

      Das Kronprinzenufer erstreckte sich vor ihr, und während sie am Fluss entlangspazierte, erwischte sie eine luftige Brise. Sie genoss den frischen Luftzug, der nur bedingt durch all die Stoffschichten, die ihren Körper bedeckten, drang.

      Als sie die Augen öffnete, erblickte sie die leuchtend rote Haarpracht ihrer besten Freundin, die auf einer Bank saß.

      »Emmi!«

      Wilhelmina Wändler sah von ihrem Buch auf und lächelte sogleich hocherfreut. Sie trug ein – für ihre Verhältnisse – sehr mädchenhaftes Sommerkleid und keinen Hut auf dem Kopf, was gewiss Gift für ihre Haut war. Alvine gehörte jedoch nicht zu diesen Damen, die ihresgleichen gängelten. Wenn Emmi sich verbrennen wollte, so war es allein ihre Entscheidung.

      »Wie hast du dich heute davon gestohlen?«, fragte Alvine, auf einen weiteren Gruß verzichtend und setze sich zu ihr.

      »Ach, der alte Rupprecht«, antwortete die Gefragte abwinkend, »der gibt sich gar keine Mühe mehr, mich aufzuhalten.«

      Alvine nickte wissend.

      Als die beiden Mädchen vierzehn gewesen waren, besuchten sie dasselbe Mädchenpensionat und entdeckten bald schon die tiefe Zuneigung und Verbundenheit zueinander. Während die anderen höheren Töchter Taschentücher bestickten oder sich um einen wohlklingenden Sopran bemühten, ritten Emmi und »Winnie« hosentragend alle Pferde des Stalls müde oder ersannen Theaterstücke, die oftmals an der Grenze des guten Geschmacks einer Dame endeten. Alvine übernahm stets die Rolle eines männlichen Helden. Ihre vollen Locken wurden unter Musketierhüten versteckt oder gar festgeflochten und von ihrem Hemd verdeckt. Da sie von jeher sehr schlank und für ihr Alter groß gewesen war, wirkte es auch auf niemanden befremdlich.

      Nur als sie mit fast 17 Jahren aus den Sommerferien zurückkehrte und ihr elfengleiche Rundungen gewachsen waren, da sollte es damit vorbei sein. Emmi war schon immer die burschikosere dieses Zweiergespanns gewesen. Obgleich ihre milchweiße Haut zart wie Seide war, ihr glattes Haar glänzte und ihr Körper viel früher als der der anderen weiblich anmutete, so wirkten ihre ruckartigen Bewegungen, die Art wie sie ging und saß und vor allem ihre raue Stimme erschreckend maskulin. Zudem war sie ein Hitzkopf, da nahmen sie und Alvine sich nichts.

      »Was hat Frau Lange gesagt?«, fragte Emmi im Hinblick auf Alvines jüngste Begegnung.

      »Mehr oder minder ist sie traurig. Das kann ich ihr wohl kaum verübeln.«

      »Und … hast du dich erklärt?«

      »Das war mir nicht möglich. Ich möchte nicht, dass sie sich gezwungen sieht, mich zu einer Nachprüfung vorladen zu lassen.«

      Emmi sah sie scharf an. »Winnie! Du bist die klügste Frau, die ich kenne. Weshalb in Gottes Namen willst du denn nicht studieren?«

      Alvine biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte es als Wink der höheren Macht verstanden, dass ihr Vater genau dann krank geworden war, als sie sich für das Studium hätte vorbereiten sollen. Und so, was außerhalb der Familie keine*r wusste, hatte sie die Geschäfte geleitet.

      Von Kindesbeinen an hatte Alfred Hoheloh sie mit in die Schuhfabriken genommen, sie unterrichtet, in Zahlen und Kalkulation, in Führung von Angestellten, in Auftreten und Haltung und so ihren Unternehmeringeist gestärkt. Und schließlich übte er mit ihr, seine Unterschrift in smaragdgrüner Tinte zu kopieren. Da diese nur 'A. Hoheloh' lautete, war es nicht einmal eine Sünde.

      Gewiss hätte ihre Gönnerin darüber geschwiegen, aber Alvine hatte geschworen und ihrem alten Vater bei der Familienehre gelobt, das Geheimnis zu wahren. So war es am besten für die Geschäfte und ihre Arbeiter*innen.

      »Ich will nicht noch weniger Zeit mit meinem Vater verbringen. Vor allem nicht jetzt, da er kränker wird und ich erwachsen genug bin, ihm all die Wertschätzung zu zollen, der ich mich bei ihm schuldig gemacht habe.«

      Emmi sah verbissen fort. Ihr Vater, ja, auch ihre Mutter, hatten sie nie großartig wertgeschätzt. Auf die höhere Töchterschule und auf das Lyzeum hatte man sie nur geschickt, weil es ihren Wert auf dem Heiratsmarkt steigern sollte.

      Ihr Weg war vorbestimmt: Sie sollte eine gute Partie machen und nur für ihre Familie da sein. Aber sie wollte Lehrerin werden und die Geister der künftigen Generationen formen. Von ihren Eltern wurde dieser Wunsch verlacht und sie hatte keine Unterstützung zu erwarten. Sie sollte heiraten, Kinder kriegen und sich zurückhalten, so verstand ihr Vater die Rolle der Frau.

      Vermutlich wurde Emmi nur von Alvine gemocht, von ihrer Winnie. Und von ihrem Dienstboten, dem zwölf Jahre älteren Rupprecht, der seit ihrer frühesten Kindheit im Haus ihrer Eltern angestellt war. Die hatten damals wohl gehofft, dass sich die Kleine vor dem Jüngling mit einer Haut so schwarz wie Kohle fürchten würde. Aber sie hatte in sein Herz geblickt und gewusst, dass sie einen Verbündeten gefunden hatte.

      Emmi sah Alvine nun böse an: »Du vertust die Gelegenheit deines Lebens, Winnie! Sosehr dein Vater dich auch liebt, die Fabrik und alles wird er Karl oder eher noch Eduard vermachen und dann musst du doch heiraten.«

      »Meine Brüder werden mich einstellen. Wir leiten das Unternehmen zusammen, sollte es, was Gott verhüte, eines Tages so weit sein. Und wie du weißt, gehört mein alter Herr zum zähen Leder, wie jede Hoheloh. Zudem ist mir unser Schwur ernst. Ich gedenke, niemals zu heiraten!«

      »Das musst du mir nicht sagen«, schnaubte Emmi verächtlich, mit Blick auf zwei passierende Soldaten in Preußischblau, die sie lüstern anlinsten. »Das Mannsvolk ist durch und durch übel und letztlich sind auch dein Vater und deine Brüder ihresgleichen, wenn sie mir jedoch die kleinsten Übel ihrer Gattung zu sein scheinen.«

      »Emmi bei aller Freundschaft: Ich verbiete dir, meine Familie mit denen über einen Kamm zu scheren!«

      Alvine deutete mit einem Nicken in Richtung der kleinen Garde, die sich offenbar nicht sattsehen konnte. Damit erhob sie sich und Emmi tat es ihr gleich. Sie suchten eiligst das Weite quer durch die Grünanlagen. Erst am Goldfischteich verlangsamten sie ihre Schritte. Erfahrungen, die sie bis dato mit den geilen Böcken des kaiserlichen Heeres gemacht hatten, würde sie auf ewig zu einem Gefühl des Unbehagens in deren Nähe verleiten.

      Alvines Unterleib rebellierte, sie musste sich bald frisch machen. Doch ehe sie eine Toilette aufzusuchen gedachte, wollte sie das Thema mit Emmi klären. So setzte sie gleich zum Nächsten an: »Wie kannst du nur alle Männer für so einfältig halten? Das, da du weißt, dass es Ausnahmen gibt?!«

      »Gerade nach den kecken Cochonnerien dieser Kommissköpfe fragst du mich das? Sie sind alle gleich. Dreiste, eitle Pinsel, die alles für sich vereinnahmen wollen«, entgegnete ihr Gegenüber.