Amalia Frey

Alvine Hoheloh


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hysterisch abzutun!«

      »Dein Vater sieht es so, nun gut. Deine Brüder auch, weil sie es ihm nachtun. Aber welcher Kerl bitte sonst?«

      »Bebel!«, konterte Alvine.

      »Lass den aus dem Spiel. Auf ihn kommen alle Männer des Reiches, die es nicht so sehen.«

      »Nun gut, dann: Rupprecht!«

      Ihr Gegenüber schwieg und lief ebenso hellrot an wie ihr Haar, das vor Hitze, Schweiß und Zug zerzaust um sie fiel. Ihre Sommersprossen gingen in dieser Färbung unter.

      Alvine kam nicht umhin, ihrer Verwunderung einen Gesichtsausdruck zu schenken, der, wie Emmi nun sah, einer höchst undamenhaften Fratze glich. So starrten sie einander an und schließlich brachen sie in schallendes Gelächter aus.

      Es folgte eine schwesterliche Umarmung, bei der die eine der anderen ins Ohr flüsterte: »Verzeih, du hast so recht. Deine Männer sind großartig.« Als sie sich voneinander lösten, setzte sie nach: »Ich bin gespannt, wann wir einen Weiteren treffen, der von ähnlicher Größe, sowohl in Intellekt als auch Charakter, ist.«

      »Oder einen, der mich erst einmal kennenlernen will und nicht nur meine Mitgift sieht.«

      Emmi lächelte zu der einen Kopf größeren Alvine hinauf. Heimlich bewunderte sie sie für die Vielzahl ihrer Verehrer. Aber wie wäre es anders zu erwarten, bei einer so reichen Tochter? Dann schnappte sie sich Alvines Hut und legte ihn ihr haltlos auf die Frisur.

      »Vielleicht möchte dein Vater, dass du ihn trägst, weil du damit fast beängstigend erscheinst. Da halten wenigstens nicht die Kleinen um dich an.«

      Eine Antwort verstummte unter dem wilden Hufgetrappel, das sich ihnen näherte. Selten, ja eigentlich nie, ritt man dermaßen ungebändigt durch diese Parkanlage und die Flanierer*innen sprangen erschrocken aus dem Weg.

      Nur Alvine bemerkte ihn zu spät und so preschte der Reiter nur eine Elle entfernt an ihr vorbei. Ihr schwerer Hut wurde von dem Luftzug mit Leichtigkeit emporgewirbelt, sodass sie schlagartig begriff, welche Kraft dahinter gesteckt hatte und sie wohl knapp dem Tod entkommen sein mochte. Der Hut drehte sich in der Luft ein paar Mal um sich selbst, ehe er hinabpfiff und mit einem seichten Platscher ufernah im Goldfischteich landete.

      »Was für ein unverschämter …«, setzte Emmi lautstark an, als ihnen und den Umstehenden gewahr wurde, dass der Gemeinte schlagartig sein Pferd gestoppt hatte und es kurzerhand ins Nass lenkte.

      Wie Alvine nun sah, schien er fast zwei Meter hochgewachsen zu sein, sodass es ihm genügte, sich im Sattel sitzend hinab zum Wasser zu strecken und so mühelos eine der vielfach geschwungenen Rüschen zu erwischen. Dann wendete er das überaus hübsche braune Tier gekonnt und ritt durchs seichte Wasser zurück auf sie zu. Er setzte ab, schüttelte den Hut ungelenk aus und sah sie an. Seine bis dahin ungewöhnlich entspannte Körperhaltung zuckte bei ihrem Anblick zusammen und seine blauen Iriden hellten sich sichtlich auf. Obgleich seine Augen auffallend groß waren und sein Gesicht kindlich machten, schätzte Alvine ihn auf etwa zwanzig.

      Seine Mundwinkel vibrierten merklich und er schien nach Worten zu ringen. Schließlich und endlich verneigte er sich demütig vor ihr, wobei ihm sein strohblondes, kinnlanges Haar ins Gesicht fiel. Mit einer Hand strich er sich durch seine weiche Mähne und richtete sie, ehe er sprach: »Verzeihen Sie, ich kann nicht in Worte fassen, wie unentschuldbar mein Verhalten war.«

      »Da muss ich Ihnen leider recht geben. Sie hätten jemanden ernsthaft verletzen können«, erwiderte Alvine verärgert, allerdings vielmehr fasziniert von seinem auffällig ansehnlichen Gesicht.

      Ihr Gegenüber lächelte scheu, bevor er antwortete: »Wohl kaum, ich habe mein Pferd fest im Griff und das habe ich mit meinem Spießrutenritt bewiesen.«

      »Ihr Pferd offensichtlich. Aber wen auch immer Sie mit Ihrem Husarenstück zu beeindrucken versuchten – Sie können nie Einfluss darauf nehmen, wie Ihre Mitmenschen reagieren. Ein Kind beispielsweise hätte vielleicht entgegen dem Überlebensinstinkt gehandelt und wäre nicht vorbei, sondern Ihnen genau entgegengesprungen.«

      Die Erkenntnis erhellte seinen Gesichtsausdruck und sogleich biss er sich auf die Unterlippe. Erneut senkte er demütig den Kopf und gab ihr recht: »Daran hatte ich beim besten Willen nicht gedacht.«

      »Somit war Ihr Handeln nicht nur gefährlich, sondern auch höchst egoistisch, mein Herr!« Alvine konnte sich nicht erinnern, je einem Menschen eine Strafpredigt gehalten zu haben, und nun tat sie es bei jemandem, der ihr doch völlig fremd war.

      »Den Hut …«, lenkte er ab, »werde ich reinigen lassen.«

      »Machen Sie sich keine Umstände, ich mag ihn sowieso nicht gern.« Jetzt erst nahm sie Emmis hochgezogene Braue aus dem Augenwinkel wahr.

      »Aber wie kann ich es wieder gut machen?«, fragte der Hüne höflich lächelnd.

      »Ich weiß nicht … vielleicht versprechen Sie, nie mehr gefährdend zu handeln … und kaufen Sie den umstehenden Kindern Zuckerwatte«, gab sie zurück. Auch sie lächelte nun.

      Ehe er antworten konnte, wurden sie erneut vom lauten Getrappel wilder Hufe unterbrochen. Eine offene Kutsche näherte sich und Emmi stöhnte auf. Auf dem Kutschbock saß Rupprecht, ein schwarzer gut angezogener Mann von Statur. Er war im Geiste Emmis großer Bruder, Strafvollzugsbevollmächtigter und Beschützer zugleich.

      Genau vor ihnen hielt er, und während er abstieg und flink die niedrige Türe zu den Hinterbänken öffnete, rief er: »Liebes Fräulein Emmi, ich bin untröstlich, aber Ihr Vater bestellt Sie auf schnellstem Wege nach Hause.«

      Obwohl hörbare Ergebenheit in seiner tiefen Stimme mitklang, erlaubte seine Mimik keine Verhandlung und entgegen ihrer Natur greinte die Angesprochene nicht, sondern nahm seine liebevoll dargebotene Hand und ließ sich in die Kutsche helfen.

      »Du kommst doch mit, oder?«, wandte sie sich an Alvine und darauf wie ein bettelndes Kind an Rupprecht: »Nicht wahr, wir bringen erst Winnie nach Hause und dann …«

      »So leid es mir tut, liebes Fräulein Emmi, ich habe den Auftrag, Sie unverzüglich heimzuschaffen«, worauf er der Gemeinten hilfreich nur den Arm anbot. »Aber ich werde Ihre Freundin danach gerne fahren, wohin auch immer sie möchte.« Er linste merklich naserümpfend auf den jungen Mann bei Alvine und machte so deutlich, dass er die beiden unter keinen Umständen alleine lassen würde.

      Sie lächelte daraufhin und knickste kurz vor dem Fremden, ehe auch sie in die Kutsche stieg.

      »Erfahre ich Ihren Namen?«, rief der ihr hinterher, doch ehe sie antworten konnte, ging Rupprecht, auf den Kutschbock steigend, dazwischen: »Das ist wohl kaum im Rahmen des Nötigen.« Er ließ die Peitsche knallen und die Damen entfernten sich in Windeseile aus des Fremden Blickfeld.

      Alvine Hohelohs bernsteinfarbene Augen hafteten auf den blauen Iriden des Hünen, der dort noch immer stand, ihren durchgeweichten Hut umklammerte und erneut sein Herz an sie verloren hatte.

      °°°

      »Alvine, mein Kind, was hast du?«

      Immer, wenn Dorothea Hoheloh den Namen ihrer einzigen Tochter aussprach, legte sich ein zutiefst zärtlicher Zug um ihre Lippen. Und mit ebenso viel Liebe blickte sie auf ihr Mädchen, das ihr so ähnlich sah. Die gleiche Statur, die gleichen Augen, nur etwas größer als sie. Doch im Gegensatz zu ihr war Alvine gesegnet mit der zarten rotgoldenen Haut ihres Vaters und mit seinen wunderschönen dunklen Haaren.

      Natürlich war die gnädige Frau auch auf das Aussehen ihrer zwei Söhne stolz, hatte jedoch nie hinter den Berg gehalten, dass ihre Tochter eine perfekte Synthese aus Alfred und ihr war.

      Das junge Mädchen saß, die langen Locken noch feucht von der wöchentlichen Pflege mit Rosenseife und Sesamöl, im lichtdurchfluteten Wintergarten, umgeben von der reichen Orchideenzucht ihrer Mutter. Sie hatte ein Buch aufgeschlagen, starrte aber schon minutenlang ins Nichts.

      »Ich träume nur, Mama.«

      »Das sehe ich, doch mir scheint dein Träumen