der Familie, hütete die Korrespondenz mit den Notaren und Buchhaltern und überwachte mit Adleraugen die Produktion. Sein Vater befand sich immerhin bereits in seinen Sechzigern und schien dankbar, sich nicht mehr mit Papierkram herumschlagen zu müssen.
Daneben Theodor, derselbe hellhäutige Typ, noch höher gewachsen mit auffallend breiten Schultern jedoch femininerem Gesicht, was sich aber an Attraktivität gegenüber Konrads nichts nahm.
Nur war Theodor bei Weitem weniger pflichtbewusst und immer schon ein Träumer gewesen. Außerdem ließ er sein Haar nie kürzer schneiden als kinnlang und fixierte es auch nie mit Pomade, sodass es ihm ins Gesicht fiel und er es in einer neckischen Bewegung zurückstreichen musste.
Als er klein war, hatte Elfriede zusammen mit ihm bei ihren Eltern gelebt, weil die Luft der immerzu größer werdenden Stadt ihr lange schlecht bekam.
Nach deren Tod verkauften sie das Haus und von dem Geld konnte sie endlich einen monatewährenden-Aufenthalt in einem Sanatorium bezahlen, wo sie ausreichend gesundete, um es außerhalb der extrem heißen Sommermonate zu Hause auszuhalten. Zu ihrem persönlichen Glück hatte der kleine Theo kaum etwas von seinem fröhlichen Gemüt eingebüßt, obwohl er während ihrer Abwesenheit sicher zunehmend unter der Unzufriedenheit des Vaters mit ihm gelitten hatte. Auch mit den Zukunftsplänen seines Erzeugers war der Junge ganz und gar nicht einverstanden, dabei würde er gewiss einen phänomenalen Anwalt abgeben, der die Interessen des aufstrebenden Unternehmens hätte verteidigen können. Allerdings beschäftigte er sich lieber mit Politik und zog es vor, Nationalökonomie zu studieren, wie er seinen Vater wissen ließ. Seit Wochen stritten die beiden nun um dieses Thema und das Ergebnis war bisher nur Stillstand.
Sobald Theodor alt genug geworden war, kam ein Einberufungsbefehl ins Haus, obgleich für Konrad damals keiner gekommen war. Heinrich tat es mit der Begründung ab, dass der Junge so lange mit ihr auf dem Land gelebt hatte und dass Stadtkinder seltener eingezogen würden. »Und dort wird der Nichtsnutz endlich lernen, wie dankbar er für all das sein kann, was ich ihm biete!«
Als Theo vom Wehrdienst zurückkehrte, schien er wie ausgewechselt und schlussendlich doch seinen frohen Charakter verloren zu haben.
Daran bist allein du schuld! Du bist das Unglück deines Kindes!, wisperten die Stimmen immer wieder.
So sehr die Mutter auch drängte, er war nicht bereit, von dieser Zeit zu erzählen.
Theodor blickte aus dem Fenster des Esszimmers, das Gesicht lustlos in seiner großen Hand abgestützt. Wenige Gemälde dekorierten die geweißten Wände. Der Esstisch, verdeckt durch ein blütenweißes Tischtuch bot bequem Platz für acht Personen, für zwölf, wenn sie sich drängten. Ansonsten befand sich nur noch eine Kommode für die Tischwäsche und Besteck im Raum, das Geschirr wurde im kleinen Nebenzimmer, einem Materialraum des Personals, aufbewahrt.
Elfriede fragte sich, ob ihren jüngeren Sohn auch in diesem Frühsommer eine Allergie quälte, wie es neuerdings genannt wurde.
Theodor indes war zu stolz, um seine Beschwerden blicken zu lassen, also überspielte er die Müdigkeit und ignorierte die juckende Nase von jeher.
Konrad redete gerade über aktuelle Verkaufszahlen, wie erfreut er war, den Vater schlussendlich vom Einsatz enzymatischer Beize überzeugt zu haben und davon, dass er demnächst mit den großen Schuhfabrikanten der Umgebung neue Abkommen aushandeln wolle. Seit jeher vermochte er es, seine Worte gewandt zu wählen und seine Absichten hübsch zu verpacken. Dennoch hatte er ausnehmend lange gebraucht, um Heinrich Fürstenberg von den Vorteilen chemischer Entwicklungen zu überzeugen, wohl auch, weil der Alte sich in seinem Stolz gekränkt sah, nicht selbst darauf gekommen zu sein.
»Wir sind endlich wieder auf dem Weg nach vorn«, erzählte Konrad, »Ich trete derzeit mit allen Lederfabrikanten der Stadt und der weiteren Umgebung in Kontakt. Was Vater einmal bewirkt hatte, wird sich wiederholen: Wir werden dem guten Namen unseres Unternehmens erneut Ehre machen und zu altem Glanz aufsteigen. Mir fehlt nur noch die Zusage eines namhaften Geschäftspartners, dann werden andere folgen.«
»Da du gerade davon sprichst, meine Freundin Dorothea kommt zum Kaffee.«
»Ich weiß, Mutter, und ja, ich werde ihr meine Aufwartung machen.«
»Du weißt, wer sie ist, oder?«, lächelte Elfriede wissend.
»Eine Dame aus dem Frauenverband …«, gab Konrad zurück.
»Nein, wer sie außerhalb dessen ist.«
Ihr Ältester blickte auf und jeder sah, wie die Zahnräder arbeiteten. »Mutter … haben Sie Dorothea Hoheloh zu uns eingeladen?«
Sogar Theodor riss es aus seinen Gedanken und beide sahen sie nun erstaunt an.
Stolz lehnte Elfriede sich zurück und nahm einen Schluck Wasser. »Ich denke, du wirst ihr mehr als gerne deine Aufwartung machen.«
°°°
Bevor es Konrad allerdings erlaubt war, vorzusprechen, gedachte die Mutter mit Frau Hoheloh allein einen Plausch zu halten. Solange lief er unruhig im Zimmer seines Bruders auf und ab. Warum wusste er nicht. Es war schon immer seine Angewohnheit in Theodors Gemächern zu weilen, wenn er nervös war, unabhängig davon, ob dieser zuhause war, geschweige denn, ob er stören könne. Er schritt hin und her über den merklich verbrauchten Teppich des Schlafzimmers und über das ausgeblichene Parkett im Arbeitszimmer. Nur das winzige Bad mied er seit jeher.
Es verschaffte ihm Genugtuung, dass die Räume seines Bruders regelrecht ärmlich ausgestattet waren. Zu seinen im oberen Geschoss zählten ein Badezimmer mit Dusche und Wanne und einem separaten Klosett, ein Aufenthaltsraum, ein Arbeitszimmer mit angrenzender Bibliothek und zu guter Letzt sein weiträumiges Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank. All dies war gerade erst renoviert und neu eingerichtet worden und sollte Konrad heiraten, stünden seiner Gattin drei weitere Räume in diesem Haus zur Verfügung, die aber noch eine Sanierung nötig hätten.
»Wie hat sie das geschafft?«
Das fragte er gewiss zehnmal, bis der Jüngere, der auf dem Bett lag und desinteressiert in ein Buch starrte, antwortete: »Wahrscheinlich gar nicht. Ich gehe davon aus, Frau Hoheloh hat unsere Mutter umworben, nicht andersrum.«
»Weshalb?«
»Muss ich dir deine Hausaufgaben erklären? Bis über die Grenzen der Stadt ist ihr kommunikatives Genie berühmt. Sie wird genau wie du an der Wiederauferstehung eines Geschäftsverhältnisses interessiert sein.«
»Ja, da sagst du was … aber wie kriegen wir unseren Vater überzeugt?«
»Was fragst du mich das? Wenn du nicht weißt, wie der alte Esel zu überzeugen ist, dann niemand!«
Konrad schnaufte hörbar aus. »Dein Ungehorsam ihm gegenüber wird dir noch mal leidtun.«
»Tut es schon, Bruder. Aber das Einzige, womit er mich noch mehr meiner Existenz wegen strafen könnte als mit dem Wehrdienst, wäre ein Krieg. Jedoch, so hoffe ich, da hören seine Beziehungen auf.«
»Ich bitte dich«, stieß Konrad aus und ließ sich schwer auf das Sofa neben dem Bett plumpsen, »leg diese Überzeugung ab, dass er es dir eingebrockt hat. Er war Küchengehilfe, kein General.«
Theodor schnaubte verächtlich: »Wenn du eine hungrige Kompanie zu leiten hast, funktioniert etliches darüber, wie viele Kartoffeln du dem Einzelnen zuteilst.«
»Lachhaft! Und nun fort mit dieser Bittermiene. Was ist nur aus dir geworden? Ich sage es ja, komm wieder mit ins Bordell und lass dir ordentlich den Schwanz lutschen, dann geht es dir besser.«
Theodor lachte kalt und verkniff sich die Bemerkung, dass er auch gut ohne ihn in der Lage wäre, ein Freudenhaus aufzusuchen: »Wenn Mutter wüsste, wie dreckig dein Mundwerk sein kann, sobald du von den Huren redest, würde sie tot umfallen.«
Konrad wollte antworten, doch in diesem Moment klopfte der Dienstbote, der ihn zu den Damen rufen sollte.
Wie