Tira Beige

Rebeccas Schüler


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ist ganz gut«, ver­si­cher­te Ro­bert, als er be­merk­te, dass sie stän­dig in der Kar­te vor- und zu­rück­blät­ter­te.

      »Gehst du hier öf­ter es­sen?«, frag­te sie, ohne das Ge­sicht von der Kar­te zu neh­men.

      »Ich kom­me hin und wie­der mit Kol­le­gen her. Mit mei­ner Fa­mi­lie bin ich auch manch­mal hier.«

      Rebecca über­leg­te, ob es zu un­ver­schämt war, ihn über den In­halt sei­nes letz­ten Sat­zes aus­zu­quet­schen. Sie schwieg und biss sich auf die Un­ter­lip­pe.

      »Na gut, dann neh­me ich die Ente«, sag­te sie.

      Ro­bert blies an­ge­hei­tert Luft durch die Nase aus und blick­te amü­siert in die Kar­te.

      »Was ist?«, woll­te Rebecca wis­sen. »War­um lachst du?«

      »Ich dach­te, du fragst mich jetzt nach mei­ner Fa­mi­lie.«

      Er hat­te also ihr Zö­gern be­merkt. Ro­bert schien ein sehr auf­merk­sa­mer Mensch zu sein.

      Be­vor Rebecca et­was er­wi­dern konn­te, hielt die Kell­ne­rin mit schnel­len Schrit­ten auf ih­ren Tisch zu. Auf dem Ta­blett trug sie zwei Glä­ser, an de­nen Was­ser­trop­fen ab­perl­ten. Sie be­stell­ten ihr Ge­richt und sa­hen der Be­die­nung hin­ter­her, die ge­nau­so schnell ver­schwand, wie sie ge­kom­men war.

      Ver­lo­ckend pri­ckel­te der gold­gel­be Sekt im Glas, das vor Rebecca stand. Sie setz­te das köst­lich kal­te Ge­tränk an ih­ren Mund an. Schon be­netz­te der Spru­del ihre Lip­pen, noch be­vor sie dar­aus trank. Eine fruch­ti­ge Süße nach Pfir­sich lieb­kos­te ihre Nase. Sie ge­noss die­se klei­nen Mo­men­te des Le­bens. Der ers­te Schluck war be­le­bend und zog zi­schend ihre Keh­le hin­un­ter.

      Ohne dass Rebecca nach­frag­te, griff Ro­bert den Ge­sprächs­fet­zen von eben auf: »Ich bin ver­hei­ra­tet. Habe zwei Söh­ne, elf und neun. Und du?«

      »Ich habe kei­ne Kin­der«, er­wi­der­te Rebecca.

      »Bist du ver­hei­ra­tet oder hast du einen Part­ner?«

      Rebecca schüt­tel­te den Kopf. Ohne ih­rer Mi­mik an­mer­ken zu las­sen, wie sie über ih­ren Be­zie­hungs­sta­tus dach­te, fass­te sie zu­sam­men: »Be­vor ich vor drei Jah­ren hier­her ge­zo­gen bin, habe ich mit ei­nem Mann zu­sam­men­ge­lebt. Gute acht Jah­re lang. Seit­dem gab es nichts Fes­tes mehr.«

      Ro­berts stahl­graue Au­gen ver­fins­ter­ten sich. Fa­mi­li­en­mensch durch und durch, dach­te Rebecca.

      »Du brauchst kein Mit­leid mit mir zu ha­ben«, gab sie schnell zu­rück, als sie re­gis­trier­te, dass Ro­berts un­be­schwer­te Mie­ne von eben durch ihre Wor­te gänz­lich ver­schwun­den war. »Wir ha­ben uns ein­ver­nehm­lich ge­trennt. Es gab ein paar … Pro­ble­me.«

      Du bist fremd­ge­gan­gen, Rebecca. Nun gut. Ihr Sei­ten­sprung mit ih­rem Schü­ler war schuld. Nach­dem Paul die Wahr­heit ver­daut hat­te, war schnell klar, dass es kei­ne Zu­kunft mit ihm ge­ben wür­de. Die Part­ner­schaft stand schon vor ih­rer Af­fä­re auf der Kip­pe. Zum Ein­sturz ge­bracht hat­te sie letzt­lich ihre Un­fä­hig­keit, mit Paul über ihre Ge­füh­le re­den zu kön­nen. Heu­te wünsch­te sie, sie hät­te sich eher ge­traut, ihm zu ge­ste­hen, wie un­g­lü­ck­lich sie die lieb­lo­se Part­ner­schaft ge­macht hat­te. Die Jah­re mit Paul wa­ren si­cher­lich nicht ver­geu­det, aber herz- und freud­los.

      Nie wie­der woll­te sie es so weit kom­men las­sen, sich ihre Ge­füh­le nicht ein­zu­ge­ste­hen und in ei­ner Part­ner­schaft zu en­den, die nur Still­stand kann­te. Nun galt es zu le­ben, mit je­der Fa­ser des Kör­pers und der See­le den Mo­ment zu ge­ni­e­ßen. Nur noch das Hier und Jetzt soll­te zäh­len.

      »Lass uns über die Schü­ler spre­chen, die ich be­kom­me«, schlug sie vor, um nicht mehr an ih­ren Ex und an die ver­lo­re­ne Lie­be zu ih­rem Schü­ler den­ken zu müs­sen.

      »Lass uns erst mal es­sen«, mach­te Ro­bert den Ge­gen­vor­schlag, als er sah, dass die Mahl­zeit ser­viert wur­de. Die Be­die­nung stell­te den Tel­ler mit der damp­fen­den En­ten­brust auf eine Warm­hal­te­plat­te. Dann lief sie da­von und brach­te als Nächs­tes den Reis in klei­nen, weiß-blau­en Por­zel­lan­schäl­chen her­bei.

      Rebecca nahm sich et­was von dem ver­füh­re­risch duf­ten­den Fleisch auf ih­ren Tel­ler. Da­ne­ben sta­pel­te sie eine or­dent­li­che Por­ti­on von dem Kle­be­reis, der sich schwer vom Por­zel­lan­löf­fel lös­te. Wie Kleis­ter hing er dar­an. Ro­bert schau­fel­te sich ähn­lich viel da­von auf sei­nen Tel­ler drauf.

      Es schmeck­te in der Tat sehr ap­pe­tit­lich. Ihr neu­er Kol­le­ge hat­te nicht über­trie­ben.

      »Kennst du mei­ne Schü­ler, die ich be­kom­me?«, frag­te Rebecca kau­end.

      Ro­bert schluck­te sei­nen Bis­sen hin­un­ter und sag­te: »Ich bin vie­le Jah­re lang Klas­sen­leh­rer in die­ser Jahr­gangs­stu­fe ge­we­sen. Ich ken­ne alle Schü­ler sehr gut. Als Tu­tor muss man sich na­tür­lich noch mal ganz an­ders um sie küm­mern. Man be­glei­tet sie bis zum Ab­itur, steht ih­nen sehr nahe.«

      Rebeccas Er­fah­rung ging bis­her nicht über die ei­ner Klas­sen­leh­re­rin hin­aus. Dass sie in die­ser Ver­ant­wor­tung nicht er­folg­reich war, weil sie kei­nen Draht zu den Kin­dern auf­bau­en konn­te, ver­schwieg sie. Tu­to­rin zu sein, stell­te für sie eine gänz­lich neue Her­aus­for­de­rung dar. Nun muss­te sie be­wei­sen, dass sie Em­pa­thie be­saß und fä­hig dazu war, die Schü­ler zu Stu­die­ren­den zu ma­chen.

      »Mein Leis­tungs­kurs in Deutsch wird mein Tu­tor­kurs«, sag­te Rebecca. »Ich möch­te nicht nur un­ter­rich­ten, son­dern die Schü­ler ken­nen­ler­nen.« Das Ziel muss­te dies­mal kon­se­quent ver­folgt wer­den, um von vorn­her­ein Kom­pli­ka­ti­o­nen mit den Ju­gend­li­chen aus­zu­schlie­ßen.

      Ro­bert nick­te und schob sich einen Hap­pen von der En­ten­brust in den Mund, ge­nau wie Rebecca.

      »Aber du hast Glück mit dei­nen Leu­ten«, ant­wor­te­te er und lä­chel­te sie mit sei­nen di­cken Wan­gen an. Sei­ne Kie­fer­mus­ku­la­tur wirk­te beim Kau­en noch ver­scho­be­ner.

      »Du hast nur zwölf Schü­ler in dei­nem Kurs. Zehn Mäd­chen und zwei Jungs. Aber die ha­ben es in sich«, deu­te­te Ro­bert ver­schwö­re­risch an und schau­te von sei­nem Ge­richt auf. Sein schel­mi­sches Grin­sen ver­stell­te sei­nen oh­ne­hin schie­fen Mund.

      »Du meinst, die Jungs ha­ben es in sich?«, woll­te Rebecca wis­sen.

      Ro­bert schnitt mit der Ga­bel ein Stück En­ten­brust ab, be­vor er tief ein­at­mend sag­te: »Ich war der Klas­sen­leh­rer von Ce­d­ric und Li­nus und rate dir, ein Auge auf die bei­den zu ha­ben.«

      Krach!!! Die Ga­bel kam schep­pernd auf dem Por­zel­lan­tel­ler auf.

      Die bei­den Ker­le aus der Dis­co wür­den ihre neu­en Schü­ler sein?!

      »Was ist los?«, frag­te Ro­bert, sicht­lich er­schro­cken von dem lau­ten Ge­räusch, den das Me­tall ver­ur­sacht hat­te.

      »Nichts. Mir ist die Ga­bel aus der Hand ge­fal­len«, be­kräf­tig­te Rebecca, die Mühe da­mit hat­te, den di­cken Klum­pen En­ten­brust, der sich in ihre Luft­röh­re ver­irrt hat­te, nach oben zu wür­gen. Has­tig er­griff sie das Sekt­glas und leer­te es in we­ni­gen Zü­gen.

      »Ce­d­ric vor al­lem