Karl May

Orangen und Datteln


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seiner riesigen Gestalt und des Waffenarsenals, welches er um sich hängen hatte, ein höchst unschädliches Menschenkind sei. Die Wüste hat ihre Renommisten ebenso wie die Bierbank oder der Salon.

      »Ich habe ihn verdient, sonst hätte ich ihn nicht, Sihdi,« antwortete er stolz. »Sieh diese Flinte, diese Pistolen, diese Muzra, dieses Kussa und dieses Abu-Thum,vor dem selbst der kühne Uëlad Sliman flieht! Und du willst mir meinen Namen verweigern? Selbst Sihdi Emir hat ihn mir gegeben!«

      Sihdi Emir? Verwandelte er vielleicht das englische Emery in das morgenländische Emir?

      »Wer ist Sihdi Emir?« fragte ich ihn.

      »Rabbena chaliëk, Gott erhalte dich, Sihdi, und deinen Verstand! Kennst du nicht den Namen dessen, der mich zu dir sendet?«

      Wahrhaftig, er hatte aus unserm Emery einen Emir gemacht! Der liebenswürdige Wunsch, mit welchem er seine Verwunderung aussprach, mußte mich belustigen, doch nahm ich einen ernsteren Ton an, um ihn in die gebotenen Schranken zurückzuweisen.

      »Erzähle mir von Sihdi Emery!«

      »Ich war in Bilma, von wo aus ich eine Kaffila nach Zinder geleitete. Du mußt nämlich wissen, Sihdi, daß Hassan el Kebihr, Hassan der Große, ein berühmter Khabir ist, der alle Wege der Sahara kennt und ein Auge besitzt, dem nicht die geringsten Darub und Ethar(Spuren und Fährten"> entgehen!«

      War dies wirklich so, dann mußte mir seine Begleitung allerdings von großem Vorteile sein. Ich beschloß, ihn sofort auf die Probe zu stellen, um zu sehen, was ich von ihm zu halten hatte.

      »Sagst du die Wahrheit, Hassan?«

      Er nahm die stolzeste Haltung und Miene an, die ihm möglich war.

      »Weißt du, was ein Hafizh ist, Sihdi?«

      »Einer, der den Koran auswendig kennt.«

      »Du bist klug, obgleich du aus dem Lande Frankhistan stammst. Nun wohlan, Sihdi! Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-Ibn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli ist ein Hafizh, der dir alle hundertvierzehn Suras und alle sechstausendsechshundertsechsundsechzig Ayats des Kuran hersagen kann; du aber bist ein Giaur. Willst du an dem Worte eines echten Moslem zweifeln?«

      »Hüte deine Zunge, Hassan, denn ich bin nicht gewohnt, mich von jemand beschimpfen zu lassen, und wenn er zehnmal ein Hafizh und hundertmal ein Moslem ist! Strenge dein Gedächtnis an, so wirst du dich entsinnen, daß die Christen nicht ungläubig sind, weil sie ebenso wie ihr ein ›heiliges Buch‹ empfangen haben; so sagen alle weisen Lehrer von dem ersten Emir el Mumiain an bis herab zu deinem frommen Abu Hanifa, dem jeder Gläubige gehorcht, wie du vorhin sagtest. Du hast den Koran gelernt; aber kennst du auch den Ilm tefsir el Kuran? Dort heißt es, daß nur ein Parsi und ein Götzendiener ein Giaur ist!«

      »Du bist weise wie ein Softha, Sihdi; noch weiser aber wärst du, wenn du glaubtest, was ich dir sage!«

      »Ich will es glauben, wenn du mir sagst, welche Oasen den Schlüssel zum Rif (Küste von Tripolis und Aegypten) bilden!«

      »Ain es Salah, Ghadames, Ghat, Murzuk, Audschelah und Siut.«

      »Und zum Sudan?«

      »Aghades und Ahir, Bilma, Dongola, Khartum und Berber.«

      »Wie reist man von Kordofan nach Kairo?«

      »Von Lobeidh nach Khartum über Kurssi, Sanzür, Koamat und Tor el Khada. Die Reise dauert zehn Tage. Oder von Lobeidh nach Debbeh über Barah, Kaymar, Dschebel, Haraza, Way und Ombelillah. Dieser Weg ist um acht Tage länger, aber besser als der vorige.«

      »Wie lange braucht man, um von Soaken nach Berber zu kommen?«

      »Der Weg geht über den berühmten Brunnen von Ruay und durch das Gebiet der Amaver, Hadendoa und Omram, die sämtlich nubische Hirten sind. Du kannst ihn in zwölf Tagen zurücklegen, Sihdi.«

      Er gab seine Antworten schnell, korrekt und mit einer Miene, in welcher sich eine sichtbare Genugthuung über die glanzvolle Art und Weise aussprach, mit der er das kurze Examen bestand.

      »Ich glaube dir, Hassan,« entschied ich jetzt einfach. »Jetzt erzähle weiter! Also du geleitetest eine Kaffila nach Zinder!«

      »Von Bilma nach Zinder. Dort traf ich den Sihdi Emir. Er gab mir alles, was ich brauchte, und sandte mich hierher, wo ich einen tapfern Sihdi aus Germanistan finden würde, den ich zu ihm bringen soll.«

      »Wo soll ich ihn treffen?«

      »Beim Bab-el-Ghud (Dünenthor), wo man aus den wandernden Sandhaufen in die Felsen des Serir (Steinwüste) gelangt. Hast du gehört von den bösen Djinns (Geistern) der Wüste, Sihdi?«

      »Ich kenne sie. Hast du Angst vor ihnen, Hassan?«

      »Angst? Hassan el Kebihr, der große Hassan, fürchtet weder die Scheitans (Teufel) noch die bösen Djinns; er weiß, daß sie fliehen, wenn er den Surat en nas und den Surat el falak betet. Du aber bist ein Christ und kannst keinen Surat (Sure) beten, darum werden sie dich verschlingen, wenn du in das Serir kommst, wo sie wohnen.«

      »Warum hast du da den Sihdi Emir nach dem Bab-el-Ghud gehen lassen? Sie werden ihn verschlungen haben, ehe wir ihn erreichen!«

      Diese unerwartete Entgegnung brachte ihn doch in einige Verlegenheit, aber er wußte sich zu helfen.

      »Ich werde für ihn beten!«

      »Für einen Ungläubigen? Gut, Hassan, ich sehe, daß du ein frommer Sohn des Propheten bist; bete auch für mich: für ihn den Surat en nas und für mich den Surat el falak, dann brauchen wir uns vor den Djinns der Wüste nicht zu fürchten. Ich werde aufbrechen morgen, wenn die Sonne sich erhebt.«

      »Allah akbar, Gott ist groß, Sihdi! Er kann alles und darf alles; der Mensch aber muß ihm gehorchen und darf keine Reise antreten zur Zeit der Morgenröte. Die Zeit des Aufbruches ist drei Uhr nachmittags oder das heilige Assr, zwei Stunden vor dem Abend.«

      »Du vergissest, Hassan, daß diese Zeit nur den Karawanen gilt; der einzelne Reisende aber kann gehen, wenn es ihm beliebt.«

      »Sihdi, du bist wirklich ein großer und gelehrter Fakih (Gesetzkundiger), und ich beklage die Stunde, welche dir einen Franken zum Vater und eine Christin zur Mutter gegeben hat. Ich sehe, daß du ein Hafizh bist, der nicht allein den Kuran, sondern auch den Ilm tefsir el Kuran auswendig kennt, und werde dir treu und gehorsam sein und dich führen, wohin du willst!«

      »Was hast du für Tiere?«

      »Keines, Sihdi. Ich ritt mit zwei Djemmels (Kamelen) von Zinder ab; das eine stürzte mir in der Tehama (flachen Wüste) und das andere war, als ich hier anlangte, so abgetrieben, daß ich es verkaufen mußte.«

      »So werden wir mit der Steppenpost von hier nach Batna gehen und von dort mit der Wüstenpost über den Djebel-bouRezal nach den achtzehn Oasen des Siban, wo wir uns in Biskara mit guten Hedjihns (Reitkamelen) versehen können. Also halte dich bereit, früh mit der Sonne aufzubrechen, und überzeugst du mich bis Bab-el-Ghud von deiner Tapferkeit, so werde ich mich nicht weigern, dich Djezzar-Bei und el Kebihr zu nennen!«

      »Meinst du vielleicht, Sihdi, daß ich ein Tuschan bin? Ich fürchte weder den Löwen noch den Smum (Wüstenwind); ich fange die Assaleh (gefährlichste Schlange der Steppe) und den Vogel Strauß; ich jage die Gazelle und das Gnu, und ich töte den Panther und den Skorpion. Wenn meine Stimme erschallt, so zittert jedermann, und auch du wirst mir den Namen nicht versagen, der mir gebührt. Sallam aaleikum, Friede sei mit Euch!«

      Nach einer tiefen Verbeugung verließ er das Zimmer.

      Madame Latréaumont trat abermals auf mich zu und faßte meine Hand.

      »Also wirklich, Sie erfüllen unsere Bitte, Monseigneur, obgleich dieselbe so groß und so kühn ist? Und schon morgen wollen Sie fort, ohne zuvor unsere Gastfreundschaft zu genießen?«

      »Madame, wir befinden uns in einer Lage, welche schnelles Handeln erfordert, und wenn Sie mir erlauben, werde ich Sie nach unserer Rückkehr um Ihre Gastfreundschaft ersuchen. Vielleicht gestatten